Blühende Landschaften
Der Begriff blühende Landschaften war 1990 die bildhafte Vision des damaligen deutschen Bundeskanzlers Helmut Kohl als ökonomische Zukunftsperspektive für die neuen Bundesländer.
Zum Begriff
Erstmals benutzte Kohl die Metapher in einer Fernsehansprache anlässlich des Inkrafttretens der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion am 1. Juli 1990. Der Kanzler versprach:
„Durch eine gemeinsame Anstrengung wird es uns gelingen, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Sachsen und Thüringen schon bald wieder in blühende Landschaften zu verwandeln, in denen es sich zu leben und zu arbeiten lohnt.“[1]
Beinahe wortgleich formulierte es Kohl in seiner Fernsehansprache am Vorabend der Wiedervereinigung.[2] Im Jahr darauf erklärte Kohl, er sei „mehr denn je davon überzeugt, dass wir in den nächsten drei bis vier Jahren in den neuen Bundesländern blühende Landschaften gestalten werden“.[3]
Im Wahlkampf zur Bundestagswahl 1998 wurde der Begriff wieder aufgenommen und auf offiziellen Wahlplakaten der CDU verwendet. Unter der Überschrift Blühende Landschaften wurden beispielsweise Bilder von restaurierten Bauwerken aus den neuen Bundesländern gezeigt.
Die optimistische Prognose hatte sich aber bald nach der Wiedervereinigung als Illusion erwiesen: Die Wirtschaft der DDR brach nach der Wiedervereinigung großenteils zusammen oder wurde abgewickelt. 1990 bis 1995 wurde 57 % der Erwerbsbevölkerung der neuen Länder in Arbeitsbeschaffungs- und Qualifizierungsmaßnahmen beschäftigt, viele sogar mehrfach. Noch in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre lag die offene und verdeckte Arbeitslosigkeit unter den Ostdeutschen bei etwa 25 % und damit mehr als doppelt so hoch wie in Westdeutschland. Trotz teurer öffentlicher Investitionen, die von den Steuerzahlern unter anderem mit dem Solidaritätszuschlag bezahlt wurden, gelang es nicht, einen selbsttragenden Aufschwung der ostdeutschen Wirtschaft zu induzieren, auch weil die Löhne schneller stiegen als die wirtschaftliche Produktivität, die Ende der 1990er Jahre immer noch nur halb so hoch war wie in den westlichen Bundesländern. Der ostdeutsche Anteil am Bruttoinlandsprodukt der Bundesrepublik lag bei nur zehn Prozent.[4] Nachdem die Natur sich stillgelegte Industrielandschaften und Rangierbahnhöfe zurückerobert hat (Sukzession), wird der Begriff manchmal als Sinnbild für die Deindustrialisierung bzw. Entvölkerung von Teilen Ostdeutschlands verstanden.[3] In den 1990er Jahren wurde Kohl für diese Äußerung oft verspottet, oder es wurde ihm unterstellt, er habe die Ostdeutschen absichtlich getäuscht.[5]
2018 berichtete Der Spiegel von einem Gespräch, das Kohl 1999 seinen Mitarbeitern geführt hatte. Demnach soll der Altbundeskanzler erklärt haben, er habe damals die „miese Lage bewusst nicht […] hochgespielt“, und bezeichnete dies als „psychologisch richtig“, um das Selbstwertgefühl der Ostdeutschen nicht zu beschädigen. Der Journalist Klaus Wiegrefe bezeichnete dies als „Kohls Lüge von den blühenden Landschaften“.[6]
Sonstiges
Blühende Landschaften war auch der Titel einer regelmäßig in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung erschienenen Glosse Peter Richters, die sich mit dem Verhältnis zwischen alten und neuen Bundesländern auseinandersetzt, sowie eines Buches des gleichen Autors zum selben Thema.
In Ostdeutschland gibt es das Bonmot beleuchtete Wiesen, womit Wiesen gemeint sind, auf denen Gewerbegebiets-Infrastruktur gebaut wurde, bevor man Käufer für die Gewerbeflächen hatte – in manchen Gewerbegebieten kamen nie Käufer, weil das Angebot die Nachfrage bei weitem überstieg.[7]
Künstlerische Rezeption
Der Komponist Günter Kochan (1930–2009) rezipierte das Thema in seiner Sinfonie Nr. 6.[8]
Weblinks
- „Blühende Landschaften“ – mehr als eine Metapher. Artikel / Editorial von Dieter Stolte. Welt am Sonntag, 26. September 2010 – Sonderausgabe „20 Jahre Wiedervereinigung“
Einzelnachweise
- ↑ Helmut Kohl: Fernsehansprache von Bundeskanzler Kohl anlässlich des Inkrafttretens der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion, 1. Juli 1990. In: Helmut-Kohl.de. 1. Juli 1990, abgerufen am 21. Juli 2008.
- ↑ Rundfunk- und Fernsehansprache von Bundeskanzler Helmut Kohl, 2. Oktober 1990. chronik-der-mauer.de, Zugriff am 15. Januar 2022.
- ↑ a b Blühende Landschaften oder Zukunft Ost heißt Urwald. In: MDR.DE. 4. Mai 2004, archiviert vom Original am 19. Juni 2004; abgerufen am 23. Mai 2016.
- ↑ Manfred Görtemaker: Geschichte der Bundesrepublik. Von der Gründung bis zur Gegenwart. C.H. Beck, München 1999, ISBN 3-406-45846-7, S. 768 ff.
- ↑ Diethelm Prowe: Kohl and the German Reunification Era. In: Journal of Modern History 74, Heft 1 (2002), S. 120–138, hier S. 132.
- ↑ Klaus Wiegrefe: Kohls Lüge von den blühenden Landschaften. spiegel.de, 26. Mai 2018, Zugriff am 15. Januar 2002.
- ↑ Thomas Köster: Distel und Zottelwicke in blühender Landschaft. In: faz.net vom 26. Februar 2009, Seite R8
- ↑ Verheißung. In: Berliner Morgenpost von 10. Februar 2011.
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Abbildung:
Blühende Rose, Seebrücke von Ahlbeck, Leipziger Bahnhof, Marktplatz Wismar, Schwarze Pumpe (Fotos)
Plakatart:
Motiv-/Textplakat
Künstler_Grafiker:
Fotos: Ullstein, Kohls, Weisflog
Auftraggeber:
CDU-Bundesgeschäftsstelle, Hauptabteilung Öffentlichkeitsarbeit, Bonn
Objekt-Signatur:
10-001: 5015
Bestand:
Plakate zu Bundestagswahlen (10-001)
GliederungBestand10-18:
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ADN-Grubitzsch 16.9.90- Leipzig: Bundeskanzler Helmut Kohl hat in Leipzig-Markleeberg seine Überzeugung bekräftigt, daß es kein Zurück zum deutschen Nationalstaat geben werde. Kohl sprach auf dem Deutschlandtag 1990 der Jungen Union.
Abgebildete Personen:
- Kohl, Helmut: Bundeskanzler, Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, CDU, Bundesrepublik Deutschland (GND 118564595)