Binnenwanderung

Als Binnenwanderung oder Binnenmigration bezeichnet man die Migration innerhalb einer festgelegten Region, etwa eines Staates oder einer politischen Verwaltungsgliederung. Die Binnenmigration unterscheidet sich also von der transnationalen Migration dadurch, dass in der Regel keine Staatsgrenzen überschritten werden. In die EU betreffenden Kontexten wird jedoch inzwischen auch bei Staatsgrenzen überschreitenden Wanderungen innerhalb der EU von Binnenmigration gesprochen. Dementsprechend ist dieser Begriff nur unscharf definiert, weil sowohl die Migration innerhalb einer kleinen Region oder einem Gliedstaat als auch die Wanderung in einem sehr großen Staat, einer supranationalen Organisation oder einem Staatenverbund als Binnenmigration benannt werden kann.[1][2]

Das Binnenwanderungssaldo, auch Binnenwanderungsbilanz genannt, ist die Differenz von Zuzügen und Fortzügen in einem bestimmten Gebiet innerhalb eines bestimmten Zeitraums, wobei die Ausländermigration dabei nicht berücksichtigt wird.

Geschichte

Mit Beginn der 1890er Jahre wanderten vornehmlich Bewohner der nordöstlichen Provinzen Preußens (Ostpreußen, Westpreußen, Posen) und aus Mecklenburg in die Hansestädte und nach Berlin, zum weit überwiegenden Teil aber in die preußischen Industrieprovinzen Rheinland und Westfalen aus.

Im Gegensatz zur Landflucht des 19. Jahrhunderts (vom Land in die Stadt) kam es nach dem Mauerfall 1989 zu einer Binnenwanderung vom Osten in den industriellen Westen und vom Westen in den Osten. Die Ost-West-Wanderung überstieg die West-Ost-Wanderung, sodass die Einwohnerzahl der neuen Bundesländer insgesamt kleiner geworden ist.

Im gesamten Bundesgebiet gab es, wie in vielen anderen Industriestaaten, lange eine Stadtflucht (von der Stadt aufs Land).

EU-Binnenmigration

Als EU-Binnenmigration bezeichnet man die Zu- und Abwanderung von Unionsbürgern und ihrer Familienangehörigen.[3] Die Europäische Union ist ein Raum ohne Binnengrenzen (Binnenmarkt, Art. 14 EU-Vertrag) mit dem Verfassungs- und Grundrecht der Freizügigkeit für alle Unionsbürgerinnen und -bürger ist (Art. 18 EU-Vertrag, Art. 45 Charta der Grundrechte der EU 2009).

Der Europäische Rat und die Europäische Kommission unterstützen Bestrebungen zur Erleichterung der europäischen Binnenmigration, insbesondere der beruflichen Migration. Zu den zentralen Themen gehören rechtliche Voraussetzungen für eine verbesserte Mobilität der in Bildung, Forschung und Innovation tätigen Personen, die gegenseitige Anerkennung von Qualifikationen, die Übertragbarkeit von Rentenansprüchen und Sozialschutzansprüchen im Allgemeinen und die Einführung der Europäischen Krankenversicherungskarte. Weitere Themenbereiche sind Schulpartnerschaften und der schulische Fremdsprachenunterricht. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) hat Begriff und Recht der EU-Binnenmigration durch viele Urteile vertieft.

Europarechtlich strittig ist das österreichische Konzept der Regierungsparteien SPÖ und ÖVP für einen „Beschäftigungsbonus“, das vorsieht 50 Prozent der Lohnnebenkosten eines neuen Arbeitsplatzes zu erstatten, sofern die neu angestellte Person beim AMS arbeitslos gemeldet oder Abgänger einer österreichischen Bildungseinrichtung ist oder aber bereits in Österreich beschäftigt war oder über eine Rot-Weiß-Rot-Karte beschäftigt wird. Dieses Konzept wird als indirekte Diskriminierung von EU-Ausländern kritisiert.[4]

Die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 sieht diskriminierungsfreien Zugang von EU-Ausländern zu den nationalen Sozialversicherungssystemen vor; allerdings haben EU-Bürger erst nach mehreren Monaten Anspruch auf Sozialleistungen (siehe hierzu auch: Sozialversicherung#Koordinierung der Sozialversicherungsleistungen innerhalb der EU; zu Sozialleistungen siehe Unionsbürgerschaft#Sozialleistungen). Viele wohnungslose EU-Bürger in Deutschland leben in besonders prekärer Lebenslage, da sie keinerlei Anspruch auf soziale Unterstützung haben – auch nicht auf Zugang zu Notunterkünften oder Gesundheitsversorgung –, weil von der Möglichkeit der Selbsthilfe durch Rückreise ausgegangen wird. Laut der Rechtssprechung ist für den Ausschluss allerdings eine Einzelfallprüfung erforderlich, und Behörden sind verpflichtet, „unfreiwillig obdachlose“ EU-Bürger in einer akuten Notlage für einen angemessenen Zeitraum bis zur Klärung etwaiger sozialrechtlicher Ansprüche ordnungsrechtlich unterzubringen.[5]

Ende 2012 lebten insgesamt 14,1 Millionen EU-Bürger für ein Jahr oder länger in einem anderen Mitgliedstaat als ihrem Herkunftsstaat.[6]

Die EU-Kommission stellte im Januar 2017 einen Dienstleistungspakt vor, der u. a. Regelungen zu einer „Elektronischen Dienstleistungskarte“ (E-Card) beinhalten sollte. Damit sollte es Unternehmen und Freiberuflern möglich sein, mit geringerem bürokratischen Aufwand grenzüberschreitend Dienstleistungen zu erbringen.[7] Kritiker befürchten, damit drohe eine faktische Einführung des Herkunftslandprinzips; Handwerkerverbände äußerten die Befürchtung, eine solche Deregulierung fördere Sozialdumping.[8] Die Ausschüsse des Europaparlaments lehnten die Pläne für eine Dienstleistungskarte im April 2018 ab.[9]

Siehe auch: Richtlinie 2006/123/EG über Dienstleistungen im Binnenmarkt zu grenzüberschreitenden Dienstleistungen und zur Entsendung innerhalb der EU.
Siehe auch: Willkommens- und Anerkennungskultur#Zugewanderte aus Staaten der Europäischen Union sowie Bildungsmigration und Altersmigration innerhalb der EU zur Migration innerhalb der EU.

Begeben sich Geflüchtete aus einem EU-Mitgliedsstaat in einen anderen, spricht man hingegen von Sekundärmigration (siehe hierzu auch: Transitmigration).[10]

Deutschland

Jährlich gibt es etwa 3,5 bis 4 Millionen Menschen, die ihren Wohnsitz innerhalb der Grenzen Deutschlands, aber über eine Gemeindegrenze hinaus verlegen. Junge Menschen wandern überwiegend in die Städte, junge Familien und Ältere vor allem aus den Städten hinaus ins städtische Umland oder in ländliche Gebiete.[11]

Laut Auswertungen von Die Zeit von Daten des Statistischen Bundesamtes zu allen Umzügen zwischen Landkreisen und kreisfreien Städten in Deutschland zogen zwischen 1991 und 2017 insgesamt über 3,6 Millionen Menschen aus den neuen Bundesländern in die alten Bundesländer, und über 2,4 Millionen Menschen zogen in die Gegenrichtung. Zudem verließen allein 1989 und 1990 etwa 800.000 Menschen den Osten. Erstmals im Jahr 2017 war die Zahl derer, die von West nach Ost wanderten, größer als in die umgekehrte Richtung.[12]

Über die Grenzen der Bundesländer hinaus wanderten in Deutschland im Jahr 2008 etwa 1,1 Millionen Menschen. Sieben Bundesländer – die drei Stadtstaaten, Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und Schleswig-Holstein – waren Nettoeinwanderungsländer, die neun anderen Bundesländer waren Nettoauswanderungsländer. Die meisten Einwohner verlor mit 153.026 NRW, während Sachsen-Anhalt mit 17.268 den größten Nettoschwund zu verzeichnen hatte. Die meisten Zuzüge hatte mit 141.863 NRW zu verzeichnen, den größten Nettozuwachs Bayern mit 26.151 Zugewanderten.[13]

2003 hatten acht Bundesländer einen positiven Saldo. Den stärksten Nettozuzug hatte Bayern mit 34.212 Menschen zu verzeichnen, während Niedersachsen den stärksten Nettorückgang mit 50.790 Menschen zu verzeichnen hatte. Insgesamt wanderten im Jahr 2003 etwa 11.000 Menschen mehr über die Grenzen der Bundesländer.

Im Jahr 2020 wurden laut dem Bundesamt für Statistik 1.032.000 Wanderungen über die Bundeslandgrenzen registriert.[14]

BundeslandZuzüge 2008Veränderung
gegenüber 2003
in %
Fortzüge 2008Veränderung
gegenüber 2003
in %
Überschuss 2008Überschuss 2003
Baden-Württemberg128.456−2,07115.61610,90+ 12.840+ 26.926
Bayern133.4380,02107.2878,16+ 26.151+ 34.212
Berlin86.90315,8273.945−9,91+ 12.958−7.043
Brandenburg51.882−10,1755.984−3,90−4.102−498
Bremen22.5951,3522.3733,47+ 222+ 673
Hamburg64.34511,4853.1471,39+ 11.198+ 5.302
Hessen95.6726,3690.9056,33+ 4.767+ 4.458
Mecklenburg-Vorpommern24.619−4,6735.191−0,84−10.572−9.664
Niedersachsen117.048−4,32122.335−29,34−5.287−50.790
Nordrhein-Westfalen141.863−8,80153.02610,94−11.163+ 17.628
Rheinland-Pfalz64.125−4,3368.27116,68−4.146+ 8.515
Saarland11.3583,8713.09619,72−1.738−4
Sachsen46.6720,8857.253−4,40−10.581−13.626
Sachsen-Anhalt27.023−11,3044.291−4,73−17.268−16.022
Schleswig-Holstein61.070−1,8452.4772,02+ 8.593+ 10.780
Thüringen26.815−0,2838.6682,47−11.853−10.844
Gesamt1.103.884−0,981.103.865−0,99+ 19+ 3

Quelle: Destatis[13]

Binnenmigration junger Menschen

In Deutschland ziehen 20- bis 35-Jährige überdurchschnittlich häufig in Großstädte, die gegenüber dem Landesdurchschnitt einen über 20 % erhöhten Anteil in dieser Altersgruppe haben. Ausgenommen Süddeutschland sowie einige Landkreise mit einer hohen Geburtenrate (z. B. Cloppenburg und Emsland) verzeichnen fast alle ländlichen Regionen Wanderungsverluste bei jungen Erwachsenen.[15]

Anteil der 20- bis 35-Jährigen an der Kreisbevölkerung, Stand 21. Dezember 2011
Index: Deutschland = 100
  • unter 95
  • 95 bis unter 120
  • 120 und mehr
  • Mögliche Gründe

    Literatur

    • Rudolf Heberle, Fritz W. Meyer: Die Großstädte im Strome der Binnenwanderung. Wirtschafts- und bevölkerungswissenschaftliche Untersuchungen über Wanderung und Mobilität in deutschen Städten. Hirzel, Leipzig 1937.
    • Matthias Blazek: „Genealogisches von der Familie Blazek – Der Weg ins Ruhrgebiet wurde in der Wilhelminischen Zeit zurückgelegt“, in: Genealogie – Deutsche Zeitschrift für Familienkunde. Bd. XXXI/61. Jahrg., Heft 1/Januar–März 2012, S. 34 ff.

    Weblinks

    Wiktionary: Binnenwanderung – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

    Quellen

    1. Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung: Binnenmigration (auf Wayback Machine (Memento vom 17. Dezember 2007 im Internet Archive))
    2. Jan C. Jugl: Binnenmigration in der Europäischen Union.
    3. Migrationsbericht des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge im Auftrag der Bundesregierung. Migrationsbericht 2014. (PDF) BMI, BAMF, Januar 2016, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 19. Juni 2016; abgerufen am 19. Juni 2016. S. 30.
    4. Beschäftigungsbonus: Experten befürchten EU-Rechtswidrigkeit – derstandard.at/2000052920446/Beschaeftigungsbonus-auch-fuerRot-Weiss-Rot-Karte-Inhaber. derStandard.at, 21. Februar 2017, abgerufen am 28. Februar 2017.
    5. Claudia Engelmann: Notunterkünfte für Wohnungslose menschenrechtskonform gestalten: Leitlinien für Mindeststandards in der ordnungsrechtlichen Unterbringung. (PDF) In: institut-fuer-menschenrechte.de. Deutsches Institut für Menschenrechte, Juni 2022, abgerufen am 9. Mai 2023. ISBN 978-3-949459-08-5. Abschnitt Exkurs: Unterbringungsverpflichtung – auch bei EU-Bürger*innen? S. 20–21.
    6. Europäische Kommission hält an der Personenfreizügigkeit fest. In: Memo. Europäische Kommission, 15. Januar 2014, abgerufen am 5. November 2017.
    7. EU-Binnenmarkt: DGB fürchtet mehr Scheinselbstständigkeit durch EU-Dienstleistungskarte. In: Tagesspiegel. 20. März 2018, abgerufen am 18. Mai 2018.
    8. Streit um EU-Dienstleistungskarte: Handwerker befürchteten Sozialdumping. In: Tagesspiegel. 3. Februar 2018, abgerufen am 18. Mai 2018.
    9. Martin Feldmann: EU-Binnenmarkt: Neuer EU-Pass für grenzüberschreitende Dienstleistungen vorerst gescheitert. In: mitbestimmung.de. 26. April 2018, abgerufen am 19. Mai 2018.
    10. Stefan Sommer: 5 Begriffe, die jeder benutzt und keiner versteht – einfach erklärt. In: BR. 18. Juli 2018, abgerufen am 2. März 2019.
    11. Binnenwanderungen. Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BIB), 2017, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 23. Juni 2017; abgerufen am 17. Juli 2017.
    12. Die Millionen, die gingen. In: Zeit online. 2. Mai 2019, abgerufen am 8. Mai 2019.
    13. a b statistik-portal.de (Memento vom 24. Juni 2016 im Internet Archive) Gemeinsames Datenangebot der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder, abgerufen am 19. August 2011.
    14. Migration 2020: Starker Rückgang der registrierten Zu- und Fortzüge. In: Pressemitteilung Nr. 306, destatis.de. Bundesamt für Statistik, 29. Juni 2021, abgerufen am 20. Dezember 2021.
    15. Felix Rohrbeck: Wohnungsmarkt: Sie hassen die Provinz. In: Zeit Online. 9. Oktober 2014, abgerufen am 17. Mai 2016.

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    Anteil der 20- bis 35-Jährigen an der Kreisbevölkerung, Stand 21.12.2011

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