Als Bessel-Funktionen bezeichnet man Funktionen, welche Lösungen der besselschen Differentialgleichung sind, die eine lineare gewöhnliche Differentialgleichung zweiter Ordnung ist. Benannt sind die Funktionen und die Gleichung nach dem deutschen Mathematiker Friedrich Wilhelm Bessel. Die Bessel-Funktionen werden auch Zylinderfunktionen genannt.
Die Lösungen der Besselschen Differentialgleichung heißen Bessel-Funktionen. Sie spielen eine wichtige Rolle in der Physik, da die Besselsche Differentialgleichung den radialen Anteil der Laplace-Gleichung bei zylindrischer Symmetrie darstellt. Auf die Bessel-Funktionen trifft man unter anderem bei der Untersuchung von Eigenschwingungen einer kreisförmigen Membran oder einer Orgelpfeife, der Ausbreitung von Wasserwellen in runden Behältern, der Wärmeleitung in Stäben, der Analyse des Frequenzspektrums frequenzmodulierter Signale, der Feldverteilung im Querschnitt von Rundhohlleitern, den stationären Zuständen von Kastenpotentialen, der Leistungsverteilung in Kernreaktoren, der Intensität von Lichtbeugung an kreisförmigen Löchern sowie bei Filtern in der Elektrotechnik (Bessel-Filter). Man zählt die Bessel-Funktionen wegen ihrer vielfältigen Anwendungen in der mathematischen Physik zu den speziellen Funktionen.
Als Differentialgleichung zweiter Ableitungsordnung besitzt die Besselsche Differentialgleichung zwei linear unabhängige Lösungen. Sie lassen sich in verschiedenen Varianten beschreiben.
Bessel-Funktionen erster Gattung: Jν
Die Bessel-Funktion erster Gattung -ter Ordnung ist definiert als
,
wobei die Gammafunktion ist. Im Ursprung () sind diese Funktionen für ganzzahlige endlich.
Für nicht-ganzzahlige sind und linear unabhängige Lösungen.
Dieser Ausdruck hängt mit der Entwicklung der Bessel-Funktion in Abhängigkeit zur Bessel-Clifford-Funktion zusammen.
Bessel-Funktionen zweiter Gattung: Yν
Auch die Bessel-Funktionen zweiter Gattung (auch Weber-Funktionen oder Neumann-Funktionen genannt) lösen die Besselsche Differentialgleichung. Eine alternative Bezeichnung ist . Für nicht-ganzzahlige kann man die definieren durch
Für ganzzahlige ist die durch den Grenzübergang gebildete Funktion
weiterhin eine Lösung der Besselschen Differentialgleichung.
Wie für die Bessel-Funktionen erster Gattung gilt auch für die Besselfunktionen zweiter Gattung folgende Beziehung:
Seien , dann gelten für die asymptotischen Darstellungen
Für große Argumente findet man
Diese Formeln sind für exakt. Vergleiche hierfür mit den sphärischen Besselfunktionen weiter unten.
Modifizierte Bessel-Funktionen: Iν, Kν
Die Differentialgleichung
wird durch Bessel-Funktionen mit rein imaginärem Argument gelöst. Man definiert für ihre Lösung normalerweise die modifizierten Bessel-Funktionen
und
Die Funktion ist auch als MacDonald-Funktion bekannt. Anders als die „normalen“ Besselfunktionen weisen die modifizierten Besselfunktionen kein oszillierendes, sondern ein exponentielles Verhalten auf.
Exemplarisch wird im Folgenden Bessel-Funktionen dargestellt:
Airysche Integrale
Für die Funktionen und kann man eine Integraldarstellung angeben
Wir nehmen wieder an, dass reell und nicht-negativ ist. Für kleine Argumente findet man
Für große Argumente erhält man
Sphärische Besselfunktionen: jμ, yμ, hμ(1,2)
Die Helmholtz-Gleichung in Kugelkoordinaten führt nach Separation der Variablen auf die Radialgleichung
.
Nach der Substitution
erhält man die Besselsche Differentialgleichung
.
Für die Lösung der Radialgleichung werden üblicherweise die sphärischen Bessel-Funktionen , die sphärischen Neumann-Funktionen und die sphärischen Hankel-Funktionen definiert:
.
Es gelten die alternativen Darstellungen für
Die sphärischen Bessel- und Hankelfunktionen werden beispielsweise für die Behandlung des kugelsymmetrischen Potentialtopfs in der Quantenmechanik benötigt.
Die Hankel-Transformation ist eine Integraltransformation, die eng mit der Fourier-Transformation verwandt ist. Der Integralkern der Hankel-Transformation ist die Bessel-Funktion erster Gattung , das heißt, der Integraloperator lautet:
.
Eine besondere Eigenschaft der Hankel-Transformation ist, dass mit ihr der Bessel-Operator in einen algebraischen Ausdruck (eine Multiplikation) überführt werden kann.
G. N. WatsonA Treatise on the Theory of Bessel functions, Cambridge University Press 1922, 1944, Archive
Besselfunktionen werden in vielen Lehrbüchern der Theoretischen Physik behandelt z. B.:
John David Jackson: Classical Electrodynamics. John Wiley, New York NY 1962 (3. edition. ebenda 1999, ISBN 0-471-30932-X; deutsch: 4. überarbeitete Auflage. de Gruyter, Berlin u. a. 2006, ISBN 3-11-018970-4).
Wolfgang Nolting: Grundkurs Theoretische Physik 5/2. Quantenmechanik – Methoden und Anwendungen, 6. Auflage, Springer-Lehrbuch, 2006, ISBN 978-3-540-26035-6
Arnold SommerfeldVorlesungen über Theoretische Physik, Band 6: Partielle Differentialgleichungen der Physik, Harri Deutsch 1992, ISBN 3-87144-379-4.
Einzelnachweise
↑Bessel-Operator. In: Guido Walz (Hrsg.): Lexikon der Mathematik. 1. Auflage. Spektrum Akademischer Verlag, Mannheim/Heidelberg 2000, ISBN 978-3-8274-0439-8.