Bernhard Stadié

Bernhard Stadié (auch Bernhard Stadie; * 29. Juli 1833 in Marienburg (Westpreußen); † 26. November 1895 in Weißenfels) war evangelischer Pfarrer und Historiker in Preußisch Stargard, ein aktiver Heimatforscher Westpreußens, Schriftsteller sowie Verleger der Mitteldeutschen Zeitung und Kommunalpolitiker in Weißenfels.

Leben und Wirken

Bernhard Stadié war ein Sohn des Danziger Archivars Wilhelm Stadie aus einer aus Ostpreußen eingewanderten prußischen Familie. Nach einem Theologiestudium in Halle und Königsberg wurde Stadié 1856 Pfarrgehilfe bei seinem zukünftigen Schwiegervater Ernst Wahl im entlegenen Groß Leistenau in Westpreußen. Danach war er Rektor in Domnau, 1859–68 evangelischer Pfarrer und Lehrer an der Bürgerschule in Pr. Stargard, dann 1868–73 Pfarrer in Neukirch, 1873–75 Neumarkt, seit 1875 Graudenz und 1887–89 Groß Krebs. Aus unbekannten Gründen war er aus Graudenz strafversetzt worden und wurde dann schon nach zwei Jahren nach Konflikten mit der Gemeinde vorzeitig pensioniert. Angeblich waren Missachtung der Liturgie und seine Freisinnigkeit der Anlass. Er hatte sich allerdings inzwischen einen Namen als westpreußischer Historiker gemacht. Seit den 1860er Jahren engagierte sich Stadié in mehreren historischen Gesellschaften und veröffentlichte Arbeiten über die Geschichte Westpreußens. Besonders wichtig waren seine lokalhistorischen Arbeiten zu Preußisch Stargard, von denen eine von der Universität Jena als Promotion zum Dr. phil. angenommen wurde. Dr. Bernhard Stadie ist „weit über die Grenzen Stargards hinaus bekannt geworden“, heißt es in der 1969 veröffentlichten Stargarder Chronik,[1] er „hatte sich neben seiner amtlichen Tätigkeit mit wissenschaftlicher Forschung beschäftigt und nach sehr eingehendem Quellenstudium die bisher einzige Heimatgeschichte von Pr. Stargard geschrieben.“ Er dokumentierte außerdem frühgeschichtliche Münzfunde in der Region. Der Freimaurerloge „Viktoria zu den drei Gekrönten Thürmen“ zu Marienburg (das jetzige Malbork in Polen) widmete er als deren Mitglied ein gedrucktes Festgedicht, das aber verschollen ist.

Nach seiner Entlassung erwarb er um 1890 Druckerei und Verlag der freisinnigen Mitteldeutschen Zeitung zu Weißenfels a. d. Saale, wo er mit seiner Familie im Novalishaus, Klosterstraße 24, ansässig war. Daneben war Stadié auch kommunalpolitisch in Weißenfels aktiv und eine der führenden Persönlichkeiten in der Stadt. Bei den Wahlen zur Stadtverordnetenversammlung am 23.–25. November 1891 war er Kandidat und wurde mit der mit Abstand höchsten Stimmenzahl für die Dauer von sechs Jahren gewählt (85,14 %: 510 von 599 Stimmen). 1895 war er der Vorsitzende des Stadtparlaments und Vorstands-Mitglied des Weissenfelser Vereins für Natur- und Altertums-Kunde.

Familie

Seine schriftstellerisch tätige Frau Mathilde Wahl war Nachfahrin der westpreußischen Honoratioren- und Pfarrerfamilien Wahl, Kummer, Jackstein, Bobrik und Sperber (u. a. zurückgehend auf den theologischen Publizisten Erhardus Sperber). Sie veröffentlichte unter unbekanntem Pseudonym Romane, um das Einkommen der Familie aufzubessern. Wahrscheinlich sind die ihrem Mann zugeschriebenen patriotischen Romane, veröffentlicht in Mohrungen, in Wirklichkeit von ihr verfasst worden. Sie führte den Verlag ihres Mannes von 1895 bis 1897. Ihre leidenschaftlichen unveröffentlichten Liebesbriefe waren mehrmals Gegenstand historischer Untersuchungen zur Geschichte des deutschen Bürgertums (Budde 1994; Trepp 2000).

Sie hatten acht Kinder, von denen eines bei der Geburt starb. Unter den Nachkommen befinden sich mehrere Schriftsteller und Wissenschaftler. Die Töchter Grete und Erna Stadié wurden als Nachfolger Verlegerinnen der Mitteldeutschen Zeitung (1897 bis 1904). Der jüngste Sohn war der Pfarrer von Großzünder Dr. phil. Johannes Stadie (der um 1900 die Namensform Stadié ablegte), neben seiner Amtstätigkeit westpreußischer Lokalhistoriker und Aramäist (1925 Ruf an die Protestantische Hochschule Riga). Zwei Enkelinnen waren die Dichterin Ruth Niehaus-Stadie[2] und die weitgehend erfolglose westpreußische Schriftstellerin Edda Schultze verw. Barczewski geb. Stadie (Pseudonym Charlotte Esceha); deren Enkelin ist die historische Schriftstellerin Ellen Alpsten und einer ihrer Urenkel ist der Tänzer David Moll.[3]

Publikationen

  • Der Hohenzollern Staat „vom Fels zum Meer.“ Rautenberg, Mohrungen 1964–67 (= Preußische Volksbücher Nr. 37), 136 Seiten, mit 7 Bildern.
  • „zur Fahne einberufen.“ Ein Lebensbild aus der Gegenwart. Fürs Volk erzählt. Rautenberg, Mohrungen 1964–67 (= Preußische Volksbücher Nr. 58), 96 Seiten.
  • Die Ansprüche der Polen auf Westpreußen. Lambeck, Thorn 1867 (zeitgenössische Rezension)
  • Geschichte der Stadt Stargard, aus vielen, bisher ungedruckten archivalischen Quellen, und älteren Chroniken, sowie aus größern Geschichtswerken gesammelt und bearbeitet. Zugleich ein Beitrag zur Geschichte des Kreises. Kienitz, Pr. Stargard 1864 (Dissertation) (Volltext)
  • Der Loge „Victoria“ zu den drei Gekrönten Thürmen im Or. zu Marienburg an ihrem 100jähr. Stiftungsfeste am 18. Oct. 1872 gewidmet von Bernhard Stadie (Lied). Bretschneider, Marienburg 1872
  • Der landrätliche Kreis Stargard in Westpreußen in historischer Beziehung von den ältesten Zeiten bis jetzt. In Preußische Provinzial-Blätter. Band 70, Königsberg 1867, S. 489–510 (Volltext) und S. 585–620 (Volltext)
  • Der landrätliche Kreis Stargard in Westpreußen in historischer Beziehung von den ältesten Zeiten bis jetzt. Teil II: Historische Notizen über die einzelnen Ortschaften des Kreises. In: Preußische Provinzial-Blätter. Band 72, Königsberg 1869, S. 289–314 (Volltext) und S. 699–726 (Volltext)
  • Der landräthliche Kreis Stargard in Westpreußen in historischer Beziehung. Kienitz, Preuß. Stargard 1870; Sonderdruck aus der Altpreußischen Monatsschrift (= Preußische Provinzial-Blätter).
  • mehrere Kurzaufsätze in der Altpreußischen Monatsschrift (Ein Münzfund bei Pr. Stargard, S. 570 ff. im 4. Band 1867, Münzenfund, S. 183 im 5. Band 1868).
  • Ein angeblich von Stadié verfasstes, unveröffentlichtes vergleichendes Wörterbuch zur pruzzischen und litauischen Sprache und zu Polnisch und Sanskrit, verbrannte bei einem Hausbrand der Enkelin Edda Schultze in Hildburghausen
Als Herausgeber

Literatur

  • Susanne Stadie: Der große, grüne Garten. Lebenserinnerungen, 1977 (unveröffentlicht; Kempowski-Archiv Nartum)
  • Wolbert Smidt: Stadié, Bernhard Wilhelm Julius. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 32, Bautz, Nordhausen 2011, ISBN 978-3-88309-615-5.
  • Gunilla-Friederike Budde: Auf dem Weg ins Bürgerleben: Kindheit und Erziehung in deutschen und englischen Bürgerfamilien, 1840–1914. Dissertation, Freie Universität Berlin, Wintersemester 1992/93 (veröffentlicht Göttingen 1994), S. 31.
  • Geschichte Stargards. Hrsg. vom Heimatkreis Pr. Stargard, 1969, Grenzland-Druckerei Rock in Wolfenbüttel (Einleitung; S. 191: Erwähnungen Dr. B. Stadies).
  • Anne-Charlott Trepp: Emotion und bürgerliche Sinnstiftung oder die Metaphysik des Gefühls. Liebe am Beginn des bürgerlichen Zeitalters. In: Manfred Hettling, Stefan-Ludwig Hoffmann: Der bürgerliche Wertehimmel, Innenansichten des 19. Jahrhunderts. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2000, S. 23–56, hier S. 34.
  • Weissenfelser Kreisblatt. 28. November 1895
  • Danziger Amtsblatt. 1859, 44. Jg., In: Friedwald Moeller (Bearb.): Amts-Blatt der Königlichen Preußischen Regierung zu Danzig. Personenkundliche Auszüge 1834–1870. Hamburg 1995 (Sonderschriften des Vereins für Familienforschung in Ost- und Westpreußen e.V.; Nr. 87), S. 154.

Einzelnachweise

  1. Geschichte Stargards, Hg. vom Heimatkreis Pr.Stargard, 1969, Grenzland-Druckerei Rock in Wolfenbüttel, Einleitung
  2. Vgl. Namensschlüssel zu Pseudonymen, Doppelnamen und Namensabwandlungen, Bd. I, Hildesheim: Georg Olms Verlagsbuchhandlung 1965, S. 878.
  3. siehe Archivlink (Memento vom 30. November 2007 im Internet Archive)