Bernard Kouchner

An der Universität Freiburg, Schweiz
Beim Weltwirtschaftsforum 2008 in Davos

Bernard Kouchner (* 1. November 1939 in Avignon) ist ein französischer Politiker und Arzt. Er ist Mitgründer von Médecins sans Frontières (MSF, Ärzte ohne Grenzen), Médecins du Monde (MDM, Ärzte der Welt) und war vom 18. Mai 2007 bis 14. November 2010 französischer Außenminister und Minister für Europäische Angelegenheiten in der Regierung von François Fillon. In der zweiten Jahreshälfte 2008 war er außerdem Präsident des Rats der Europäischen Union.

Leben

Kouchner ist ein Gastroenterologe. Der Sohn eines jüdischen Vaters und einer protestantischen Mutter begann seine politische Karriere als Mitglied der Kommunistischen Partei, aus der er 1966 ausgeschlossen wurde. 1968 arbeitete er als Arzt für Secours médical français (SMF) in der nigerianischen Provinz Biafra. Der dortige Bürgerkrieg wurde zu einem Schlüsselerlebnis für Kouchner. Angesichts des Leidens und des Hungers der Bevölkerung und der Grausamkeit der Soldateska wollte sich der junge Arzt nicht an das vom SMF geforderte Schweigegebot halten. Dies war für ihn mit dem Eid des Hippokrates nicht zu vereinbaren. „Unparteilichkeit ja, Neutralität nein.“ So diente ihm die humanitäre Aktion auch dazu, die Unterdrückung und die Verbrechen sichtbar zu machen.

1971 gründete er zusammen mit anderen engagierten Medizinern die nichtstaatliche Organisation Médecins sans Frontières, die aus der französischen Secours médical français hervorging. Darüber hinaus geriet Kouchner mit dem Direktor von MSF Claude Malhuret in Meinungsverschiedenheiten und trat aus MSF aus, um 1980 die zweite Hilfsorganisation Médecins du Monde (MDM) zu gründen. Kouchners „french doctors“ wurden bald in den Konflikt- und Krisengebieten rund um den Erdball zu einem Begriff, ebenso wie sein Credo: Das Recht, ja, die Pflicht, sich einzumischen, um das Elend der Menschen in aller Welt zu bekämpfen. „Das Recht auf humanitäre Intervention (droit d’ingérence humanitaire) geht vor. Im Zweifelsfall sogar vor staatliche Souveränität.“

1977 unterschrieb er wie etwa sechzig andere Intellektuelle auch einen Appell zur Entkriminalisierung der Pädophilie, der in den Zeitungen Libération und Le Monde erschien. Initiator des Appells war der pädophile Schriftsteller Gabriel Matzneff.[1]

Er trat für ein Langzeitkonzept humanitärer Einmischung ein. 1993 gründete er deshalb die Stiftung Fondation pour l’action humanitaire. Obwohl er zu diesem Zeitpunkt nicht Mitglied einer politischen Partei war, kandidierte er 1994 auf der Liste von Michel Rocard erfolgreich zum Europäischen Parlament. 1995 trat er der Parti radical de gauche bei, deren Pressesprecher er wurde. Gleichzeitig trat er für die Reformen der Sozialen Sicherheit des gaullistischen Ministers Alain Juppé ein. Er leitete den Club Réunir (Vereinigung) und stand sowohl Michel Rocard als auch Lionel Jospin nahe.

Von 1999 bis 2001 entsandte ihn der Generalsekretär der Vereinten Nationen Kofi Annan als Sondergesandten und Leiter der UNMIK ins Kosovo. Kouchner war persönlich befreundet mit dem brasilianischen Diplomaten und UN-Hochkommissar für Menschenrechte Sérgio Vieira de Mello.

Er ist Autor einer Reihe von Büchern mit hauptsächlich medizinisch-humanitären und politischen Themen.

Das so genannte Loi Kouchner (Kouchner-Gesetz), offiziell: Suspension de peine pour raison médicale, sieht einen Antrag auf Haftaussetzung für Gefangene vor, deren Gesundheitszustand mit der Haft nicht vereinbar ist. Die Regelung führte insbesondere durch die Anwendung im Fall des Kriegsverbrechers Maurice Papon zu einer öffentlichen Kontroverse.

Unmittelbar nachdem Kouchner vom konservativen französischen Staatspräsident, Nicolas Sarkozy, im Mai 2007 zum Außenminister ernannt worden war, erklärte die Parti Socialiste Kouchners Ausschluss: „Wer in diese Regierung eintritt“, verkündete Parteichef François Hollande, „ist ein rechter Minister und kann nicht gleichzeitig den Sozialisten angehören. Kouchner ist nicht mehr Mitglied der Sozialistischen Partei.“ PS-Fraktionschef Jean-Marc Ayrault kritisierte, die von Sarkozy versprochene „Öffnung“ beschränke sich auf vereinzelte Abwerbungen und Kouchner, der eine „Persönlichkeit ohne Grenzen“ sei und nun „sorgfältig unter die direkte Oberaufsicht des Elysée gestellt wurde“.

Seit Mai 2015 ist Kouchner als Workstream-Leader für die Agentur zur Modernisierung der Ukraine (AMU) tätig. Sein Ziel ist die Ausarbeitung eines Modernisierungsprogramms für medizinisch-humanitäre Themen.[2]

Trivia

In erster Ehe war Bernard Kouchner mit Évelyne Pisier, einer Ex-Geliebten Fidel Castros und einer der ersten Professorinnen für Öffentliches Recht in Frankreich, verheiratet. Mit ihr hat er Zwillingskinder: eine Tochter, Camille, und einen Sohn, Antoine, beide 1975 geboren. Nach ihrer Scheidung heiratete Évelyne Pisier einen Verfassungsrechtler und Abgeordneten der Sozialistischen Partei im Europäischen Parlament, Olivier Duhamel. Dieser soll nach dem 2021 von Camille Kouchner veröffentlichten Buch, La familia grande, ihren Bruder Antoine im Alter von 12 bis 14 Jahren sexuell missbraucht haben. Duhamel schweigt zu dem Vorwurf.[3] Dem Vater des Jungen, Bernard Kouchner, soll der Missbrauch lange verheimlicht worden sein. Erst 2011 soll er davon erfahren haben.[4]

Die derzeitige Lebensgefährtin Kouchners ist die Journalistin Christine Ockrent.

Politischer Lebenslauf

  • 1988–1992 Staatssekretär für humanitäre Angelegenheiten
  • 1992–1993 Minister für Gesundheit
  • 1994–1997 Abgeordneter im Europäischen Parlament
  • 1997–1999 Minister für Gesundheit und humanitäre Angelegenheiten
  • 1999–2001 repräsentierender Administrator der Vereinten Nationen im Kosovo
  • 2001–2002 delegierter Gesundheitsminister
  • 2007–2010 Außenminister der französischen Regierung von Premierminister François Fillon

Literatur

  • Camille Kouchner: La familia grande, SEUIL 2021 ISBN 978-2021472660

Weblinks

Commons: Bernard Kouchner – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
  • Christopher Caldwell: Communiste et Rastignac: Le Monde selon K. by Pierre Péan. In: London Review of Books. 9. Juli 2009, archiviert vom Original am 6. Juli 2009;.
  • Elaine Sciolino: Sarkozy’s Top Diplomat: Undiplomatic Opposite. In: The New York Times. 19. Mai 2007, archiviert vom Original am 30. Januar 2013;.
  • Bernard Kouchner in der Abgeordneten-Datenbank des Europäischen Parlaments

Einzelnachweise

  1. Pascale Hugues: Es war verboten, zu verbieten. In: Die Zeit. 25. Januar 2020, S. 53.
  2. The Agency for the Modernisation of Ukraine (Hrsg.): AMU-Team beginnt Programm-Arbeit. In: ots.at. 13. Mai 2015, abgerufen am 21. Mai 2021.
  3. Barbara Wesel: Dunkle Geheimnisse einer "großen Familie". In: www.dw.com. Deutsche Welle, 20. Januar 2021, abgerufen am 21. Dezember 2021 (deutsch).
  4. Martina Meister: Camille Kouchner enthüllt Missbrauch in Elite-Familie. In: welt.de. 15. Januar 2021, abgerufen am 15. Januar 2021.

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DAVOS/SWITZERLAND, 24JAN08 - Bernard Kouchner, Minister of Foreign Affairs of France captured during the session 'Asia on the Global Stage: Is It Ready to Perform?' at the Annual Meeting 2008 of the World Economic Forum at the Hotel Sunstar Park in Davos, Switzerland, January 24, 2008.

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