Benediktinerinnenkloster St. Johann

Benediktinerinnenkloster St. Johann
UNESCO-Welterbe UNESCO-Welterbe-Emblem

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Vertragsstaat(en):Schweiz Schweiz
Typ:Kultur
Kriterien:(iii)
Referenz-Nr.:269
UNESCO-Region:Europa und Nordamerika
Geschichte der Einschreibung
Einschreibung:1983  (Sitzung 7)
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Klosterkirche, ab 775 erbaut, und Wohnturm von 960 („Plantaturm“)

Das Benediktinerinnenkloster St. Johannes Baptist (rätoromanisch Claustra Son Jon) in Müstair im Münstertal (Val Müstair) im Schweizer Kanton Graubünden ist ein sehr gut erhaltenes mittelalterliches Kloster der Karolingerzeit. Das Kloster wurde von der UNESCO 1983 in die Liste des Weltkulturerbes aufgenommen.[1][2] Es ist Mitglied der Schweizerischen Benediktinerinnenföderation.

Weihe

Die Klosterkirche ist Johannes dem Täufer geweiht; die Heiligkreuzkapelle (möglicherweise die Privatkapelle des Abtes) dient hingegen der Verehrung des Heiligen Kreuzes. Eine weitere Kapelle trägt das Doppelpatrozinium von St. Ulrich und St. Nikolaus.

Beschreibung

Heiligkreuzkapelle

Am Eingang des Friedhofs steht die zweistöckige Heiligkreuzkapelle, die durch ihre rundbogenförmigen Blendnischen auffällt. Die Kleeblattform des Chorbereichs ist im 8. Jahrhundert entstanden; dies belegt die dendrochronologische Jahresdatierung der noch tragenden Bodenbalken im Obergeschoss. Diese ist damit die älteste Holzbalkendecke Europas.[3] Das Untergeschoss diente vom 16. Jahrhundert an als Beinhaus, das Obergeschoss wahrscheinlich als Totenkapelle.[4]

Inneres der Klosterkirche mit den drei Apsiden

Zentrum der Anlage ist die in ihren Ursprüngen aus der karolingischen Zeit stammende Klosterkirche. Sie wurde ab 775 zunächst als einfache Saalkirche mit drei Apsiden und flacher Holzdecke errichtet. Die Wände wurden mit prächtigen Freskenzyklen verziert. Das Presbyterium war um drei Stufen erhöht und mit einer Schranke von der Gemeinde getrennt, die wohl aus Laaser Marmor gefertigt war. Der gesamte Raum wurde nur durch die drei Apsisfenster, drei Fenster im Westen und zwei hoch gelegene Fenster im Kirchenschiff beleuchtet. An das Hauptschiff schloss sich auf der Nord- und auf der Südseite je ein niedrigeres Nebenschiff an, die eine eigene Apsis hatten und vom restlichen Kirchenraum separiert waren. Durch diese bekam die gesamte Kirchenanlage einen quadratischen Grundriss und wurde zur Fünfapsidenkirche. An der Ostfassade der Kirche ist eine Baunaht zu sehen, welche die ursprüngliche Höhe des karolingischen Dachstuhls markiert, über dem später der heutige gotische errichtet wurde. Irgendwann wurden die karolingischen Fresken in Inneren übertüncht und gerieten in Vergessenheit. Daher baute man bis 1492 das spätgotische Netzgewölbe ungefähr einen Meter niedriger als die ursprüngliche Holzdecke ein, sodass heute ein Teil der Fresken unter dem Mauerwerk der Gewölbe verborgen ist. Der Einbau der Gewölbe zog auch den Einbau der Säulen mit sich, welche die Saalkirche zu einer dreischiffigen Hallenkirche wandelten.[5] Die Fresken wurden 1947 wiederentdeckt und bis 1951 freigelegt.[6] Bauwerk und Fresken zählen zu den bedeutendsten erhaltenen Zeugnissen der Karolingischen Renaissance.

Den im Westen gelegenen Wirtschaftshof schliessen zwei Tortürme ab. Diese stammen aus der Zeit um 1500 und sind aussen rundbogenförmig, innen spitzbogenförmig. Der Südturm zeigt ein Wandbild mit einem Esel auf rotem Grund, der den Dudelsack eines Junkers bläst. Die drei Figuren stellen Immaculata, St. Benedikt und St. Scholastika dar. Das Rokokowerk stammt von Christian Greiner.

Die Doppelkapelle St. Ulrich und St. Nikolaus fällt durch ihre frühbarocke Ausstattung einer Sgraffitobordüren und schwarz gemalten Fensterzier auf. In der Unterkapelle ist vom ursprünglichen Kuppelgewölbe des Chors eine Stucco-Verzierung erkennbar, vier Engelsfiguren in antikisierenden Gewändern. Westlich der Doppelkapelle schliesst sich ein dreistöckiger Wohnturm an, umgeben von zweigeschossigen Saalbauten; er wurde unter Bischof Hartpert von Chur als Wohn- und Wehrturm um 960 erbaut und unter der Äbtissin Angelina von Planta ab 1499 neu ausgebaut, aufgestockt sowie mit Schwalbenschwanzzinnen versehen; er wird daher „Plantaturm“ genannt.

Stuckfigur Karls des Grossen in der Klosterkirche (zwischen 800 und 1165)

Geschichte

Das Kloster gilt als Stiftung Karls des Grossen, dessen lebensgrosse Stuckskulptur aus dem Hochmittelalter zwischen Mitten- und Südapsis der Klosterkirche steht. Herwig Wolfram hält auch eine Gründung durch Tassilo III. für möglich, wenn auch unwahrscheinlich.[7] Gegründet wurde es zur Zeit der karolingischen Eroberungen der Gebiete der Langobarden (774) und der Bajuwaren (778); so wurde das älteste Bauholz der Kirche dendrochronologisch auf etwa 775 datiert, ein Jahr nach der Eroberung der Lombardei. Die Einrichtung des Klosters mag jedoch vom Bischof von Chur als Vertrautem des Kaisers umgesetzt worden sein. Damit sicherte er sich den Zugang zum bis 1816 zum Bistum Chur gehörenden Vinschgau. Das Kloster diente dem Kaiser als Stützpunkt, der Kontrolle sich kreuzender Verkehrswege, den Reisenden als Hospiz, dem Bischof als Verwaltungszentrum und nicht zuletzt als Ort des Gottesdienstes. Johannes dem Täufer wurde die Schutzherrschaft über die Stiftung zugewiesen, die schlicht Monasterium geheissen wurde, wovon sich der heutige rätoromanische Name Müstair ableitet. Ursprünglich ein Männerkloster, ist es seit dem 12. Jahrhundert ein Konvent der Benediktinerinnen. Erste namentlich bekannte Äbtissin war die zwischen 1211 und 1231 belegte Adelheid, über deren Herkunft es keine zeitgenössischen Quellen gibt.[8]

Karolingische Fresken

Gastmahl des Herodes mit tanzender Salome (um 1200)
Das Jüngste Gericht von Müstair

Die karolingischen Fresken, mit denen die Klosterkirche um 800 ausgestattet wurde, sind ein in Art und Ausmass einzigartiges kulturgeschichtliches Denkmal frühmittelalterlicher sakraler Bilddarstellung; ihretwegen erlangte die Kirche überregionale Berühmtheit. 135 Einzelszenen sind grösstenteils gut erhalten. Um 1200 vollständig übermalt und im späten 15. Jahrhundert übertüncht, wurden sie Ende des 19. Jahrhunderts neu entdeckt. Eine Szenenfolge aus dem Leben Davids, die als Bildstreifen die gesamte Kirche umzog, wurde 1908/09 in das Schweizerische Landesmuseum in Zürich verbracht, die übrigen wurden in den Jahren 1947 bis 1951 freigelegt.

Die karolingischen Bilderzyklen ziehen sich in fünf waagerechten Streifen über die Nord- und Südwand des Innenraums. Eines der bekanntesten Motive befindet sich an der Nordwand, die Flucht nach Ägypten darstellend; drei weitere Darstellungen in den Apsiden zeigen Christus als Kirchengründer, Herrscher und Lehrer der Welt sowie als Triumphator. Ein anderes (romanisches, um 1200) in der Mittelapsis gibt darunter das Gastmahl des Herodes wieder, in der die tanzende Salome die Enthauptung des Täufers, des Schutzpatrons der Kirche und des Klosters, erreicht. Der unbekannte Maler der karolingischen Fresken wird in der Kunstgeschichte manchmal als Meister von Müstair bezeichnet.

Klosterleben

Im Benediktinerinnenkloster leben elf Nonnen (Stand Juli 2019).[9] Die Gemeinschaft wählte am 11. Oktober 2012 Sr. Domenica Dethomas zur neuen Priorin.[10] Nach 120 Jahren Unterbruch ist sie wieder eine dieses Amt bekleidende und rätoromanisch sprechende Einheimische. Sie übernahm am 28. Januar 2013 das Amt von Sr. Pia Willi, die das Kloster die letzten 26 Jahre geleitet hatte.[11]

Glocken

In der Glockenstube befindet sich das historische Geläut mit 4 Glocken. Diese Disposition kommt sehr selten vor und die Glocken 2 und 3 haben einen ziemlich gravierenden Tonabstand. Das Plenum wird regelmässig von gross auf klein geläutet und das macht sich bei der Schweizer Läutekultur bemerkbar.[12]

Das historische Geläut der Klosterkirche in Müstair
Glocke Nr.Giesser und GussortGussjahrNominal
1Kaspar Sermund, Bormio1558d1
2Jörg Schellener, Bozen1665e1
3unbekannt1505d2
4unbekannt1504fis2

Literatur

  • Hans Rudolf Sennhauser u. a. (Hrsg.): Müstair, Kloster St. Johann, 1. Vorklösterliche Befunde. Zur Klosteranlage (= Veröffentlichungen des Instituts für Denkmalpflege an der ETH Zürich 16/1). vdf Hochschulverlag AG an der ETH Zürich, Zürich 1996 (Digitalisat).
  • Iso Müller: Geschichte des Klosters Müstair. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Desertina-Verlag, Disentis 1978.
  • Lothar Deplazes: Müstair (Kloster). In: Historisches Lexikon der Schweiz. 2. September 2010.
  • Manuel Maissen: https://www.research-collection.ethz.ch/handle/20.500.11850/454176 Gewölbebau der Spätgotik in Graubünden. Dissertation ETH Zürich, 2020 (Digitalisat).
  • Hans Rutishauser, Hans Rudolf Sennhauser, Marèse Sennhauser-Girard: Das Benediktinerinnenkloster St. Johann in Müstair (= Schweizerischer Kunstführer, Band 733/734, Serie 74). Hrsg. von der Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte GSK. Bern 2003, ISBN 3-85782-733-5.
  • Manuel Maissen: Gewölbebau der Spätgotik in Graubünden 1450-1525. Hrsg.: Staatsarchiv Graubünden in der der Reihe Quellen und Forschungen zur Bündner Geschichte (2023). ISBN 978-3-7965-4749-2
  • Alfred Wyss, Hans Rutishauser, Marc Antoni Nay: Die mittelalterlichen Wandmalereien im Kloster Müstair: Grundlagen zu Konservierung und Pflege, Zürich 2002, ISBN 978-3-72812-803-4, eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche
  • Jürg Goll, Matthias Exner, Susanne Hirsch: Müstair. Die mittelalterlichen Wandbilder. Verlag Neue Zürcher Zeitung, Zürich 2007, ISBN 978-3-03823-324-4.

Weblinks

Commons: Benediktinerkloster St. Johann – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Eintrag auf der Website des Welterbezentrums der UNESCO (englisch und französisch).
  2. https://www.myswitzerland.com/de-de/erlebnisse/benediktinerinnenkloster-st-johann/
  3. 785: Heiligkreuzkapelle: älteste datierte tragende Balkendecke Europas. Abgerufen am 13. Januar 2021.
  4. Benediktinerinnenkloster St. Johannes Baptist (Foto) auf baukultur.gr.ch
  5. Manuel Maissen: Gewölbebau der Spätgotik in Graubünden. Dissertation ETH Zürich, 2020, S. 117–126.
  6. Aleksis Dind, Jürgen Groll: Kloster St. Johann Müstair. 30. Auflage. Schnell und Steiner, Regensburg 2008, S. 16/17, 24.
  7. Herwig Wolfram: Tassilo III., Höchster Fürst und niedrigster Mönch. Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 2016, ISBN 978-3-7917-6091-9.
  8. Veronika Feller-Vest: Adelheid. In: Historisches Lexikon der Schweiz. 28. Februar 2001, abgerufen am 27. Februar 2019.
  9. Regionaljournal Ostschweiz Sendung vom 16. Oktober 2012
  10. Neue Priorin im Kloster St. Johann Müstair. Artikel vom 16. Oktober 2012, auf kath.ch
  11. Sr. Domenica Dethomas ist neue Priorin. (Memento vom 29. Januar 2017 im Internet Archive) Artikel vom 28. Jänner 2013, auf muestair.ch
  12. Es läuten die vier historischen Glocken der Klosterkirche in Müstair. Youtube-Video 5:40 min, Arlberg09, 12. Juli 2019

Koordinaten: 46° 37′ 46,4″ N, 10° 26′ 52,6″ O; CH1903: 830402 / 168676

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Gastmahl des Herodes mit der tanzenden Salome und dem Kopf des enthaupteten Täufers Johann, des Schutzpatrons der Kirche und des Klosters St. Johann, Müstair. Romanisches Fresko um 1200 in der Mittelapsis.
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Inneres der Klosterkirche Müstair
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Stuckstatue Karls des Großen in der Klosterkirche. Die Skulptur gilt als die älteste Monumeltalstatue Karls. Schätzungen zum Alter gehen allerdings weit auseinander, "zwischen dem 8. und dem 12. Jh.". D.h. einige Experten hielten sie für eine zeitgenössische Darstellung, andere brachten sie mit der Heiligsprechung Karls 1165 in Verbindung. Sicher ist, dass die Statue mehrmals überarbeitet wurde, und ihre älteste Schicht daher nicht an der Oberfläche liegt. In einem Nationalfondsprojekt wurde die Statue 2013/5 mit Röntgenstrahlung untersucht.[1]

[2]
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Kreuzkapelle, Benediktinerkloster St. Johann, Müstair