Autobahnkirche

BABKirche.svg
RWBA Kirche.svg


Symbol Autobahnkirche auf Verkehrsschildern
Autobahnkirche Baden-Baden an der A5 (Foto: 2013)
Autobahnkirche Uhyst an der A4 in der Oberlausitz (Foto: 2010)

Autobahnkirchen und -kapellen sind christliche Gotteshäuser, die ausdrücklich zu Autobahnkirchen beziehungsweise -kapellen erklärt (oder sogar meistens spezifisch zu diesem Zweck errichtet) wurden, in unmittelbarer Nähe einer Autobahn. Autobahn-Gotteshäuser dienen zur ganz überwiegend individuellen, anonymen und zeitlich beliebigen Einkehr und Besinnung für die Autoreisenden; Gottesdienste und direkte Ansprechpartner sind Ausnahmen.

Autobahnkirchen sind nahezu ausschließlich entlang deutscher Autobahnen anzutreffen. In neuerer Zeit gibt es in anderen Ländern Bestrebungen, diesem Vorbild zu folgen. So wurde beispielsweise im Jahr 2007 im tschechischen Plzeň (Pilsen)[1] eine Autobahnkirche eröffnet. In Österreich gibt es die Autobahnkirche Dolina an der A 2 bei Klagenfurt sowie die Autobahnkirche Haid an der Anschlussstelle Traun (Oberösterreich). In den skandinavischen Ländern bestehen Autobahnkirchen, die nur in der Touristiksaison geöffnet sind.

Zweckbestimmung

Das erste feststellbare Grundkonzept dieser Einrichtungen war das des mittelalterlichen Wegstocks beziehungsweise der Wegkapelle als Erinnerung oder Mahnung Gottes. Autobahnkirchen erinnern den Menschen an den „Rausch des Verkehrs“. Eine neuere, in den Medien gern zitierte Motivation für ein solches Angebot ist die einer „Raststätte für die Seele“. Diese recht blumige Benennung kommt den empirisch abfragbaren Gründen der Besucher deutlich näher: Denn die Fahrsituation generiert psychisch einen ganz spezifischen Stress, der sich zwischen dem typischen Überholen und Überholtwerden („Jagen und Gejagtwerden“) im Fluss des Straßenverkehrs bewegt. Selbst von Beifahrern kann die Autobahnfahrt – zumal bei hohen Geschwindigkeiten – nicht als entspannt wahrgenommen werden. Entsprechend suchen die Reisenden in den Gotteshäusern visuelle Fix- und Konzentrationspunkte, finden eine geschützte Situation vor und regenerieren sich mental in ihrer Kontingenzerfahrung durch die Vergewisserung der Nähe und der Zuwendung Gottes beziehungsweise auch der Gottesmutter Maria. Vielfach gelten die von Reisenden in den ausliegenden Fürbitt- oder Anliegenbüchern handschriftlich eingetragenen kurzen Gedanken dem Schutz vor den Gefahren der Fahrt beziehungsweise dem Dank für die bisherige Unversehrtheit. Auffällig ist der recht große Anteil, der nicht zu den sonntäglichen Kirchgängern gehört: An diesen Orten entfallen die sonst kirchlich bestehenden Vorgaben von Gottesdienstzeiten, Predigern, Innehalten und Stilen zugunsten einer individuell frei bestimmbaren Religiosität (niederschwelliges Angebot).

Umstritten ist, ob vor allem die räumliche Nähe einer Kirche zur Autobahn das entscheidende Kriterium bildet, nicht aber die Ausgestaltung oder architektonische Eignung.

Durchgängige Besucherzählungen gibt es nicht und die vorliegenden Schätzungen gehen erheblich auseinander. In die Autobahnkirche in Adelsried und in die Autobahnkirche Baden-Baden kommen schätzungsweise ca. 300.000 Besucher pro Jahr. In der Autobahnkirche Himmelkron werden jährlich zwischen 100.000 und 120.000 Signale durch die Lichtschranke erfasst.

Entstehung

(c) Bundesarchiv, Bild 194-3318-33 / Lachmann, Hans / CC-BY-SA 3.0
Evangelische Autobahnkirche in Exter, geweiht im Mai 1959, Nordrhein-Westfalen
Die Kirche von San Giovanni Battista, an der Kreuzung von A1 und A11, genannt „Autobahnkirche“, von Giovanni Michelucci (1960–64) fotografiert von Paolo Monti

Die erste Kirche dieser Art war Maria, Schutz der Reisenden geweiht und entstand 1958 im Landkreis Augsburg an der A 8 bei Adelsried. Sämtliche Autobahnkirchen und -kapellen entstammen regionalen, überwiegend privat finanzierten Initiativen. Es gibt keine übergeordnetes kirchliche Gremium, denen diese Gotteshäuser unterstellt sind, wie etwa bei Bahnhofsmissionen die Konferenz für kirchliche Bahnhofsmission. Je nach Spenderherkunft sind die Autobahnkirchen und -kapellen katholisch oder evangelisch geprägt, sie beruhen allerdings meist auf ökumenischen Initiativen und haben diesen Anspruch. Die Unterscheidung von Autobahnkirchen und Autobahnkapellen ist in der Art des Gebäudes begründet. Manche der Autobahn-Gotteshäuser sind lediglich zimmergroß und werden deswegen als Kapelle bezeichnet, andere entsprechen Kirchengebäuden.

Gebäude, die auf dem Gelände von Autobahn-Raststätten eigens zu diesem Zweck errichtet wurden, und jene, die als bestehende Dorf- oder Stadtkirchen in der Nachbarschaft zu einer Autobahnauffahrt lediglich eine zusätzliche Funktion zuerkannt bekamen und meistens kaum verändert wurden, unterscheiden sich erheblich. Standards für die Gestaltung oder das inhaltliche Angebot gibt es für die Autobahn-Gotteshäuser bisher nicht. Von daher ist die Zuordnung in einigen Fällen durchaus anzuzweifeln, wenn es sich lediglich um teil-umgewidmete Kirchen in Autobahnnähe handelt.

Mit Stand Juli 2014 bestehen in Deutschland 41 oder 42 Autobahnkirchen und -kapellen, je nachdem, ob man die beiden in unmittelbarer Nähe stehenden und daher gemeinsam ausgewiesenen Dorfkirchen in Grasdorf als eine oder zwei Kirchen zählt.

Auswahlkriterien

Hinweis auf eine Autobahnkirche

Eine Autobahnkirche muss eine direkte Anbindung an eine Autobahnraststätte bzw. Autobahnabfahrt haben, wobei im letzteren Fall die Entfernung nicht mehr als 1000 Meter betragen sollte. Parkplätze und sanitäre Anlagen müssen vorhanden sein. Der Träger hat tägliche Mindestöffnungszeiten von 8:00 bis 20:00 Uhr zu gewährleisten und die damit verbundenen Kosten für Energie und Sauberhaltung aufzubringen. Der Innenraum einer Autobahnkirche oder -kapelle ist möglichst so groß, dass auch einer Bus-Reisegruppe der gemeinsame Besuch möglich ist. Außerdem ist die Zustimmung des Bundesverkehrsministeriums sowie der jeweiligen Landeskirche bzw. des Bistums notwendig.[2]

Ein Sonderfall in Bezug auf die Entfernungsregel ist die 2003 ausgewiesene Autobahnkirche in Brehna: Im September 2005 wurde die zugehörige Autobahnabfahrt an der A 9 umgestaltet, gleichzeitig ging eine Ortsumfahrung in Betrieb.[3] Die Entfernung der Kirche zur Autobahn beträgt heute rund 1600 Meter.[4]

Siehe auch

Varia

  • Seit 2001 gibt es in Deutschland die erste private ökumenische Autobahnkirche, die Autobahnkirche Licht auf unserem Weg[5] in Geiselwind.

Literatur

  • Harald Rein: Grenzen der Seelsorge. Die Spannung zwischen territorialer Pfarrgemeinde und funktionaler Seelsorge am Beispiel der Autobahnkirchen in der Bundesrepublik Deutschland. Lang, Bern / Frankfurt am Main 1987, ISBN 3-261-03779-2.
  • Gereon Vogler: Besinnung in Autobahnkapellen. In: Roman Bleistein (Hrsg.): Menschen unterwegs. Das Angebot der Kirche in Freizeit und Tourismus. Josef Knecht Verlag, Frankfurt am Main 1988, ISBN 3-7820-0575-9. S. 214–220.
  • Ulli Tückmantel: Gott to go. Das Autobahnkirchen-Buch fürs Handschuhfach. Books on Demand, 2019, ISBN 978-3-7347-6720-3.

Weblinks

Commons: Autobahnkirchen – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Autobahnkirchen als Orte der Besinnung und Ruhe (Memento vom 16. Mai 2012 im Internet Archive) Website der EKD
  2. Autobahnkirchen in Deutschland: Tankstelle für die Seele. In: domradio.de Onlinemagazin. 15. Oktober 2016, abgerufen am 31. August 2017.
  3. Verkehr rollt auf Ortsumfahrung für Brehna In: Mitteldeutsche Zeitung vom 9. September 2005
  4. Autobahnkirche: Unterstützung von ganz oben Eisenach Online, 13. Februar 2009, abgerufen am 6. November 2013
  5. https://www.autobahnkirche-geiselwind.de/impressum.html

Auf dieser Seite verwendete Medien

Bundesarchiv Bild 194-3318-33, Exter, evangelische Autobahnkirche, Autos.jpg
(c) Bundesarchiv, Bild 194-3318-33 / Lachmann, Hans / CC-BY-SA 3.0
Es folgt die historische Originalbeschreibung, die das Bundesarchiv aus dokumentarischen Gründen übernommen hat. Diese kann allerdings fehlerhaft, tendenziös, überholt oder politisch extrem sein. Info non-talk.svg
"Haben sie schon für ihre heile Rückkehr gedankt?"
Evangelische Autobahnkirche Exter
RWBA Kirche.svg
RWBA-Symbol: Autobahnkapelle
BABKirche.svg
Schild Autobahnkapelle für Autobahnbox
Burkau - Uhyst am Taucher - Autobahnkirche 04 ies.jpg
Autor/Urheber: Frank Vincentz, Lizenz: CC BY-SA 3.0
Evangelische Autobahnkirche (Parochialkirche Peter & Paul), Taucherwaldstraße 73, Uhyst am Taucher, Burkau
Hinweisschild Autobahnkirche Wilsdruff.JPG
Autor/Urheber: Inkowik, Lizenz: CC BY-SA 3.0
Blaues Hinweisschild auf die Autobahnkirche Wilsdruff kurz vor der Anschlussstelle Wilsdruff an der Bundesautobahn 4 Dresden Richtung Chemnitz.
Paolo Monti - Servizio fotografico - BEIC 6346984.jpg
Autor/Urheber: Paolo Monti , Lizenz: CC BY-SA 4.0
Servizio fotografico : Firenze, 1977 / Paolo Monti, Istituto di fotografia Paolo Monti. - Stampe: 3 : Positivo b/n, gelatina bromuro d'argento/ carta, 18x24, 24x30. - ((Al verso delle stampe manoscritti i numeri dei negativi corrispondenti con indicazione del fotogramma (nel formato 35 mm): 14200 [il negativo risulta mancante], 14202, 2916bis/16; iscrizioni didascaliche manoscritte a matita e a penna; timbri a inchiostro con copyright (Corso Sempione - Milano) e "Istituto di Fotografia Paolo Monti". - Sul coperchio della scatola iscrizione didascalica manoscritta a pennarello nero: "Architett. Moderna". - Fonte: Agenda di Paolo Monti: Leica 1501-3000 Controllo numerazione (1950-1978), presso Archivio Paolo Monti. - Fonte: Fattura di Paolo Monti: IV. Commesse/ Fattura n. 05/ Fotografie per volume architetto veneziano Codussi - Prof. Puppi (1977/03/31), presso Archivio Paolo Monti. - Fonte: Rubrica di Paolo Monti: Archivio fino 1-4-1961/ 31-3-1963 (1961-1963), presso Archivio Paolo Monti. - Fonte: Agenda di Paolo Monti: Monti/ 3 aprile 1966 - 9 marzo 1971/ 12421-16823 (1966-1971), presso Archivio Paolo Monti. - Fonte: Monografia di Fleming John, Honour Hugh, Pevsner Nikolaus: Dizionario d'architettura, Torino, Einaudi (1981). - Fonte: Monografia di Koenig, Giovanni Klaus: Architettura in Toscana, 1931-1968, Torino, ERI, 1968 (1968)