Ausbleiben

Ausbleiben des Angeklagten bedeutet im deutschen Strafprozessrecht das Nichterscheinen trotz ordnungsgemäßer Ladung zu einem Termin.[1]

Pflicht zum Erscheinen

Ein Beschuldigter ist verpflichtet, auf Ladung vor der Staatsanwaltschaft zu erscheinen (§ 163a StPO), nicht jedoch zur polizeilichen Vernehmung. Der Angeklagte muss in der Hauptverhandlung anwesend sein (§ 231 StPO). Das Gericht ist stets befugt, das persönliche Erscheinen des Angeklagten anzuordnen (§ 236 StPO), da er zur Wahrheitsermittlung verpflichtet ist.[2] Über die Pflicht zum Erscheinen hinaus besteht jedoch keine Pflicht, zur Sache auszusagen.

Gegen einen ausgebliebenen Angeklagten findet eine Hauptverhandlung grundsätzlich nicht statt (§ 230 Abs. 1 StPO), da der Angeklagte auch ein Recht auf Anwesenheit in der Hauptverhandlung hat und sein Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) nicht nur als subjektives Grundrecht, sondern auch als objektive Verfahrensnorm verbürgt ist.[3]

„Ausgeblieben“ ist der Angeklagte in der Hauptverhandlung, wenn er bei Aufruf der Sache körperlich nicht anwesend ist, außerdem wenn er zwar anwesend, aber nicht verhandlungsfähig ist oder er seine Anwesenheit als Angeklagter nicht zu erkennen gibt.[4]

Fehlt eine ausreichende Entschuldigung, so muss der Angeklagte vorgeführt werden oder ein Haftbefehl zu sog. Verhandlungshaft erlassen werden, § 230 Abs. 2 StPO.[5] Ausreichend entschuldigt ist das Ausbleiben, wenn dem Angeklagten bei Abwägung aller Umstände des Einzelfalls daraus billigerweise kein Vorwurf gemacht werden kann.[6] Das kann beispielsweise bei einer körperlichen oder psychischen Erkrankung,[7][8][9] bei einer Autopanne auf dem Weg zum Termin[10] oder bei falschen Auskünften des Verteidigers der Fall sein.[11] Gegen ein in Abwesenheit ergangenes Urteil ist bei ausreichender Entschuldigung ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand möglich (§ 235 StPO).

Verfahren bei Ausbleiben des Angeklagten

Bei Verfahren vor dem Amtsgericht, bei dem auch ein Strafbefehl in Betracht kommt, kann auf Antrag der Staatsanwaltschaft statt der Zwangsmittel bei Ausbleiben des Angeklagten auch ein Strafbefehl gemäß § 408a StPO erlassen werden (Kontumazentscheidung). Gegen Vorführung und Haftbefehl ist die Beschwerde als Rechtsmittel statthaft, gegen den Strafbefehl kann Einspruch eingelegt werden.

Ausnahmsweise kann gegen einen Angeklagten auch in Abwesenheit verhandelt werden,[12] z. B. bei unentschuldigtem oder eigenmächtigem Entfernen aus der Hauptverhandlung (§ 231 Abs. 2 StPO)[13][14] oder bei selbstverschuldeter Verhandlungsunfähigkeit (§ 231a StPO).[15] Gem. § 232 Abs. 1 StPO darf jedoch keine Freiheitsstrafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung zu erwarten sein (Fälle sog. Kleinkriminalität).

Handelt es sich bei der Hauptverhandlung um ein Verfahren wegen des Einspruchs gegen einen Strafbefehl, so kann der Einspruch wegen des Ausbleibens des Angeklagten nach § 412 StPO verworfen werden. Da der Strafbefehl dann in Rechtskraft erwächst, ist als solches nur die Berufung und unter Umständen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand möglich.

Hat der Angeklagte Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts eingelegt und erscheint zur Berufungsverhandlung vor dem Landgericht nicht, so wird die Berufung gemäß § 329 StPO verworfen. Dagegen ist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand möglich. Zugleich kann aber auch die Vorführung oder der Haftbefehl wie im erstinstanzlichen Verfahren angeordnet werden.

Verfahren gegen Abwesende

Ist der Aufenthalt eines Beschuldigten unbekannt oder hält er sich im Ausland auf und ist seine Gestellung vor das zuständige Gericht nicht ausführbar oder erscheint sie nicht angemessen, ist ein Verfahren gegen Abwesende möglich (§§ 276 StPO ff.). Es findet jedoch keine Hauptverhandlung statt. Das Verfahren dient allein der Beweissicherung für den Fall seiner künftigen Gestellung (§ 285 StPO).[16][17] Möglich sind z. B. Zeugenvernehmungen durch einen beauftragten oder ersuchten Richter (§ 289 StPO).

Steht der Eröffnung oder Durchführung des Hauptverfahrens für längere Zeit die Abwesenheit des Beschuldigten bzw. Angeschuldigten entgegen, können Staatsanwaltschaft bzw. Gericht das Verfahren vorläufig einstellen und die Beweise so weit wie nötig sichern (§ 154f, § 205 StPO).

Literatur

  • Christian Laue: Die Hauptverhandlung ohne den Angeklagten. JA 2010, S. 294–297.

Weblinks

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Ausbleiben des Angeklagten Rechtslexikon.net, abgerufen am 16. September 2020.
  2. BGHSt 26, 84, 90.
  3. Knemeyer, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. VI, 2. Aufl. 2001, § 155, Rdnr. 20 ff.
  4. Detlef Burhoff: Folgen des Ausbleibens des Angeklagten in der Hauptverhandlung in der 1. Instanz. Aus: ZAP Heft 19/18, F. 22, S. 939.
  5. Untersuchungshaftanordnung: Haftgründe nach Ausbleiben des Angeklagten in der Hauptverhandlung LG Frankfurt (Oder), Az.: 22 Qs 168/14, Beschluss vom 21. Oktober 2014.
  6. BVerfG NJW 2007, 2318; OLG Brandenburg NJW 1998, 842; OLG Karlsruhe NStZ-RR 20120, 287; OLG Köln StraFo 2010, 73; 2011, 54; KK-Gmel, § 230 Rn 11.
  7. OLG Düsseldorf NStZ 1984.
  8. OLG Hamm StraFo 1998, 233.
  9. OLG Köln StraFo 2010, 73.
  10. OLG Hamm VRS 7, 31; DAR 1999, 277 [Ls.]; OLG Karlsruhe NJW 1973, 1515.
  11. KG DAR 2012, 395.
  12. Benjamin Lanz: „Erscheinen Sie, sonst weinen Sie?“ – Möglichkeiten der Verhandlung in Abwesenheit des Angeklagten 15. Dezember 2016.
  13. BGH, Beschluss vom 25. Juli 2011 – 1 StR 631/10
  14. Sascha Böttner: Fortsetzung der Hauptverhandlung in Abwesendheit des Angeklagten 4. Strafsenat des BGH, Az. 4 StR 276/09. 17. Februar 2010.
  15. vgl. Verhandlung in Abwesenheit des Angeklagten 122 Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV).
  16. Abwesenheitsverfahren Rechtslexikon.net, abgerufen am 16. September 2020.
  17. Wilfried Oppe: Das Abwesenheitsverfahren in der Strafprozessreform. ZRP 1972, 56.