Außerordentliche Staatliche Kommission

Die Außerordentliche Staatliche Kommission (vollständig: „Außerordentliche Staatliche Kommission für die Feststellung und Untersuchung der Gräueltaten der deutsch-faschistischen Aggressoren und ihrer Komplizen, und des Schadens, den sie den Bürgern, Kolchosen, öffentlichen Organisationen, staatlichen Betrieben und Einrichtungen der UdSSR zugefügt haben“; russisch Чрезвычайная Государственная Комиссия – TschGK) war eine Untersuchungskommission für die „Untersuchung und Bestrafung der Verbrechen der deutsch-faschistischen Aggressoren“ und deren Verbündeten. Sie wurde am 2. November 1942 durch Erlass des Präsidiums des Obersten Sowjets gegründet.

Untersuchung von Massengräbern beim Zwangsarbeitslager Lemberg-Janowska, 1944

Im Einzelnen hatte die Kommission folgende Aufgaben:

  • den vollen Umfang der Verbrechen und materiellen Schäden erheben,
  • die erhaltenen Informationen überprüfen, bearbeiten und für eine Publikation vorbereiten,
  • die bereits angelaufenen Erhebungen bündeln,
  • das Ausmaß einer möglichen Entschädigung und Wiedergutmachung für persönliches Leid festlegen,
  • die Täter ausfindig machen und sie den Gerichten zur strengen Bestrafung überantworten.[1]

Nach Angaben der TschGK beteiligten sich 32.000 Funktionäre an der Arbeit der Kommission und 7.000.000 Sowjetbürger beteiligten sich an der Sammlung und Erstellung von Dokumenten. Die Kommission sammelte 54.000 Erklärungen und protokollierte mehr als 250.000 Zeugenaussagen über NS-Verbrechen zusätzlich zu fast 4.000.000 Dokumente über den verursachten Schaden. Im Auftrag der Kommission wurden Exhumierungen von Massengräbern der Opfer der deutschen Besatzer untersucht, die Gutachten wurden in Kriegsverbrecherprozesse eingebracht.[2] Die Oberaufsicht über die Exhumierungen führte der Leiter des Wissenschaftlichen Forschungsinstituts für Gerichtsmedizin (NISM) beim Volkskommissariat für Gesundheitswesen der UdSSR, Wiktor Prosorowski, der 1946 auch beim Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher aussagte.[3]

Die Kommission legte Hunderttausende von Dossiers zu Einzelpersonen an, die den sowjetischen Behörden zur Verfügung standen. „Volksfeinde“, worunter Deserteure der Roten Armee, Ostarbeiter und andere Personen, die im Dienst der deutschen Besatzungsmacht gestanden hatten, verstanden wurden, konnten so ausfindig gemacht und von NKWD, NKGB und Smersch verhaftet werden.

Die 32 Berichte der TschGK bis 1945 bildeten das Kernstück der sowjetischen Anklage in den Nürnberger Prozessen sowie den japanischen Kriegsverbrecherprozessen. Da bei den Prozessen in Nürnberg kein sowjetisches Redaktionsteam zur Verfügung stand, wurden sämtliche Berichte auf Englisch oder Deutsch veröffentlicht.[4] Die Unterlagen der TschGK befinden sich heute im Staatlichen Archiv der Russischen Föderation. Zahlreiche Dokumente finden sich auch in den Archivfonds von Molotow und Wyschinski im Außenpolitischen Archiv der Russischen Föderation.

Vorsitzender der Kommission wurde Nikolai Michailowitsch Schwernik (1888–1970), der Vorsitzende des sowjetischen Rats der Gewerkschaften seit 1930.

Der TschGK gehörten weiterhin an:[5]

Die TschGK veröffentlichte ein Kommuniqué am 24. August 1944 unter der Überschrift „Finnland demaskiert“. Finnland habe die gesamte sowjetische Bevölkerung der besetzten Gebiete in Konzentrationslager überführt, denen 40 % der Insassen zum Opfer gefallen seien. Ähnliche Beschuldigungen wie gegen Finnland wurden am 22. Juni gegen Rumänien erhoben.

Als eine der schrecklichsten Untaten der „deutsch-faschistischen Eroberer“ wurde die Leningrader Blockade genannt, der mehr als eine Million Menschen zum Opfer fielen.

Der TschGK unterstand die Burdenko-Kommission, die Beweise für die deutsche Täterschaft beim Massaker von Katyn vorlegen sollte. Am 24. Januar 1944 wurde ein Kommuniqué unter der Überschrift „Die Wahrheit über Katyn. Bericht der Spezialkommission zur Feststellung und Untersuchung der Umstände der Erschießung der Kriegsgefangenen polnischen Offiziere durch die deutsch-faschistischen Eindringlinge im Wald von Katyn“ veröffentlicht. Das umfangreiche Dokument behauptete „mit unwiderlegbarer Klarheit“, die „Deutsch-Faschisten“ hätten die Polen erschossen.[6]

Bewertung der Quellen

Der Historiker Dieter Pohl warnt vor einem ausschließlichen Rückgriff auf die Materialien der Außerordentlichen Staatlichen Kommission, deren eigene Geschichte bisher noch nicht genau untersucht wurde. So sei „der Einfluss regionaler KP-Organisationen und der Geheimpolizei, die eng mit der Staatskommission verflochten waren, auf die Untersuchungsergebnisse nicht genau abzuschätzen“. Auffällig seien „die bisweilen relativ pauschalen Schätzungen zu Opferzahlen, überhaupt ein starr vorgegebenes Untersuchungsschema“. [7]

Als bedauerlich bewertet Dieter Pohl den frühzeitigen, allem Anschein nach politisch bedingten Abbruch der Ermittlungen zumeist schon im Jahre 1945. Das umfangreiche Material der Staatskommission, das gelegentlich auch erbeutete deutsche Dokumente enthält, schätzt Pohl dennoch als wichtig ein. Eine trübere Quelle stellten die zahllosen sowjetischen Broschüren dar, die sich gegen ehemalige Kollaborateure richten.

Literatur

  • Stefan Karner: „Zum Umgang mit der historischen Wahrheit in der Sowjetunion. Die „Außerordentliche Staatliche Kommission“ 1942 bis 1951“, in: W. Wadl (Hg.): Kärntner Landesgeschichte und Archivwissenschaft. Festschrift für Alfred Ogris. Klagenfurt 2001, S. 508–523.
  • Alexander E. Epifanow: Die Außerordentliche Staatliche Kommission. Stöcker, Wien 1997.
  • Marina Sorokina: “People and Procedures. Toward a History of the Investigation of Nazi Crimes in the USSR”, in: Kritika. Explorations in Russian and Eurasian History 6, 4 (Fall 2005), S. 797–831.
  • Andrej Umansky: "Geschichtsschreiber wider Willen? Einblick in die Quellen der „Außerordentlichen Staatlichen Kommission“ und der „Zentralen Stelle“", in: A. Nußberger u. a. (Hrsg.), Bewusstes Erinnern und bewusstes Vergessen. Der juristische Umgang mit der Vergangenheit in den Ländern Mittel- und Osteuropas, Tübingen 2011, S. 347–374.

Einzelnachweise

  1. Stefan Karner: Material für „Vergeltung“ und Kampagnen: Zur Arbeit und Instrumentalisierung der „Außerordentlichen Staatlichen Kommission“ der Sowjetunion (Online)
  2. Claudia Weber: Krieg der Täter. Die Massenerschießungen von Katyń. Hamburg 2015, S. 268.
  3. Claudia Weber: Krieg der Täter. Die Massenerschießungen von Katyń. Hamburg 2015, S. 320.
  4. Trial of the Major War Criminals before the International Military Tribunal, 1949, Volume XXXIX "Documents and Other Material in Evidence", Editor's Note und S. 241–555.
  5. Katrin Boeckh: Stalinismus in der Ukraine: Die Rekonstruktion des sowjetischen Systems nach dem zweiten Weltkrieg, Wiesbaden 2007, ISBN 978-3-447-05538-3, S. 268.
  6. englischsprachige Ausgabe des Berichts der Burdenko-Kommission in: Supplement to the "Soviet War News Weekly" (PDF; 2,0 MB)
  7. Dieter Pohl: Die einheimischen Forschungen und der Mord an Juden in den besetzten Gebieten. S. 206 / In: Wolf Kaiser: Täter im Vernichtungskrieg. Berlin 2002, ISBN 3-549-07161-2, S. 204–216.

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Site of Janowska Nazi Camp - Lviv, 1944.jpg
At the site of Nazi concentration camp "Janowska" in Lviv, western Ukraine. Photo from 1944 - Soviet extraordinary commission researches the crimes of German Nazis at Janowska concentartion camp (Lviv, west Ukraine) and mass graves adjoining the camp.

Janowska was a Nazi German labor, transit and concentration camp established September 1941 in occupied Poland on the outskirts of Lwów (Poland, today Lviv in Ukraine). The camp was labeled Janowska after the nearby street's name ulica Janowska, nowadays Shevchenka street (Ukrainian: Вулиця Шевченка).

Notable inmates of Janowska camp: