Armand Gatti

Armand Gatti, eigentlich Dante Sauveur Gatti, (* 26. Januar 1924 in Monaco; † 6. April 2017 in Saint-Mandé[1]) war ein französischer Schriftsteller sowie Theater- und Filmregisseur. Er wurde vor allem durch seine Dramen bekannt.

Leben und Werk

Gatti entstammte einer italienisch-russischen Familie von teilweise jüdischer Herkunft und war der Sohn von Laetitia Luzona, einer Putzfrau, und des Auguste Reinier Gatti, eines Straßenkehrers. Als Armand 15 Jahre alt war, verstarb sein Vater an den Folgen von Verletzungen, die Polizisten ihm im Einsatz gegen Streikende zugefügt hatten.[2] 1941 erwarb er das Abitur. Seit 1942 lebte er mit anderen jungen Männern im französischen Untergrund. Die G.M.R. „Groupe mobile de réserve“ des Vichy-Regimes verhaftete Gatti. Er wurde zum Tod verurteilt; aufgrund seines Alters (17) wurde das Urteil in Zwangsarbeit umgewandelt.[Anmerkung 1]

Gatti wurde 1943 nach Hamburg deportiert, wo er bei dem Schiffsausrüster und Schiffszimmermanns-Betrieb Lindemann in einem Zwangsarbeiterlager wohnte.[Anmerkung 2] Es gab in Hamburg „Lindemann“, meistens „John Lindemann“ oder „John M. Lindemann“ genannt, ein sogenanntes „Zivilarbeiterlager“ oder „Wohnlager“ auf der Veddel, eines der zahlreichen Zwangsarbeitslager in der Stadt,[Anmerkung 3] Ihm gelang durch Mut und glückliche Umstände[Anmerkung 4] die Flucht zurück nach Südfrankreich (in die Corrèze), überwiegend zu Fuß.[Anmerkung 5] Die Résistance schickte ihn von dort nach England, zu einer Ausbildung als Fallschirmjäger.[Anmerkung 6] Er war an der Befreiung der Niederlande durch die Operation Market Garden in Arnheim beteiligt. Nach dem Krieg arbeitete er zunächst als Gerichtsjournalist für den Parisien Libéré, später unternahm er weite Reisen als Reporter verschiedener renommierter Zeitungen. Neben Dramen verfasste er auch Drehbücher.[3]

Joseph Long fasst sein Werk so zusammen:

Sowohl „Tatenberg“ als auch „Le Cigogne“ beziehen sich auf die Geschichte und die Erfahrungen von Zeitgenossen im 20. Jahrhundert. In Gattis Werk finden wir immer wieder die gleichen Themen …: Die Parallelwelt der Lager, ob in Nazideutschland, Sowjetrußland oder anderswo; Ortsverlust, Zerstörung; und hinter diesen Ereignissen die umfassenderen Themen der Identität, des Überlebens, der Menschenwürde; und die Notwendigkeit, eine Sprache zu finden, um das eigentlich Unsagbare auszudrücken.[4]

Gatti selbst schreibt über seine Zwangsarbeit in Norddeutschland:[Anmerkung 7]

Diese Verbissenheit,[Anmerkung 8] diese Aufgabe ohne Ende: das war meine Weise, in das KZ zurückzukehren. … Später habe ich dann versucht, die Erinnerung auszutreiben, indem ich ‚Die zweite Existenz des Lagers Tatenberg‘ schrieb.[5]

Im Dialog mit Marc Kravetz führt Gatti aus:

Ich betrat die Welt des Konkaven[Anmerkung 9] (und zwar als ein Pionier dieser Welt, wie er feststellen wird).[Anmerkung 10] Es[Anmerkung 11] ist für mich zu einer Art Kleid geworden. Bisweilen habe ich das Gefühl – auch deshalb, weil sich der Wind von der Ostsee her niemals legte –, dass ich es niemals abgelegt habe. Manchmal macht sich dieses Kleid selbständig. Es unternimmt eine Weltreise,[Anmerkung 12] in einer einzigen Nacht; und das ist immer eine KZ-Nacht.[6]

Noch 1961 empfand er Beklemmung, als in Moskau von seinem Leidensgenossen Vladimir in der Taucherglocke die Rede war:

Die Glocke stülpte sich schwer über mich, in jenen Tagen, als ich auf dem Grund der Ostsee mit einer dreieckigen Schaufel im Sand grub.[7]

Zu seiner Dramaturgie und zum Umgang mit der Erinnerung schreibt Gatti im Vorwort zu „Tatenberg“:

Ihrem Lauf (sc. dem der Erinnerung) zu folgen, das führt dazu: einen Weg zu bahnen, der zur sichtbaren Wirklichkeit parallel verläuft, der mit ihr jedoch nur durch Zufall Bezüge herstellt. Noch genauer: die sichtbare Wirklichkeit wurde zu einer Folie, einer Kinoleinwand, auf welche die Erinnerung Schatten warf. Die Schatten wurden (dann) durch die eigenen, erinnerten Gedanken in Bewegung gesetzt. Wenn aber das Vorführgerät gedreht wird, gehen die Schatten von der Leinwand weg und setzen ihr Spiel auf den Wänden oder den Türen (des Kinos) fort.[8]

Marc Kravetz fasste Gattis Weg so zusammen:

Die Geschichte beginnt in einem eiskalten Loch in einem Buschwald von Berbeyrolle (Corrèze) im Winter 1942, mit einem einsamen Dialog zwischen einem jungen Partisanen ohne Waffen und dem Gott der Unendlichen. … Die Geschichte beginnt in einem Konzentrationslager, mit der Häftlingsnummer 17173 von Linderman, und auf dem Fluchtweg aus der Gefangenschaft, den ein junger Mann zu Fuß zurücklegt, und (der), ohne es zu wissen, den Weg zu Hölderlin wiedergefunden hatte.

An Alain Resnais’ Film Nacht und Nebel übt Gatti eine solidarische Kritik, was die Darstellung von schwer erträglichen Szenen aus der Zeit, als die KZs von den Alliierten befreit wurden, angeht (z. B. von den Bulldozern, die Leichenberge schieben), also an der Bildsprache:

Mich stört nicht nur, daß es sich um ein fälschlich typisiertes Bild von der Vernichtung handelt, weil […] die Wahrheit der Vernichtung gerade in der Nicht-Existenz solcher Bilder besteht. In der Logik des nationalsozialistischen Vernichtungsprozesses mußten alle Spuren verwischt werden. Alles verlief ordentlich und streng geregelt. Die Bilder … drücken einen, wenn auch realen, Aspekt der Grausamkeit des Lagers aus, einen Aspekt, der jedoch nicht im Zentrum des Vernichtungsprozesses steht. Das eigentlich Inakzeptable an diesen Bulldozern ist, daß sie allen Opfern genau das verweigern, was ihnen auch die Nazis nicht gewähren wollten, nämlich eine Bestattung. Sie sind nur noch Körper, ›Figuren‹. Welche Erinnerung kann es für die Nachkommen jener so übereinander geschichteten Männer und Frauen geben? Alles verliert sich in der Uniformität und Anonymität des Grauens.[9][10]

Im Jahr 2010 gab es eine Diskussion darüber, ob Gattis detaillierte Aussagen über seinen Zwangsaufenthalt im Reich historisch tragfähig sind. Sie entzündete sich in Frankreich am Begriff „Deportierter“, einer Person, die in diesem Land juristisch genau definiert und mit Rechtsprivilegien ausgestattet ist. Gatti stellte daraufhin klar, er sei kein Insasse des KZ Neuengamme gewesen.[11][Anmerkung 13]

Werke

Dramen

  • Le Seuil
  • La Vie de Churchill, 1954
  • Envoyé spécial dans la cage aux fauves, 1955
  • Chine, 1956
  • Le Poisson noir, 1957 (dt. Der schwarze Fisch; auch in Theater im S. Fischer Verlag Band 1, 1962)
  • Sibérie, O + l’infini, 1958
  • L’Enfant-rat und Le Voyage du Grand Tchou, 1960 (der 1. Titel wieder aufgelegt 1997)
  • La Vie imaginaire de l’éboueur Auguste G. (dt. Das imaginäre Leben des Straßenkehrers Auguste G.),[12] La Seconde existence du camp de Tatenberg (dt. Die zweite Existenz des Lagers Tatenberg[13]), Chroniques d’une planète provisoire (dt. Berichte von einem provisorischen Planeten), 1962[Anmerkung 14]
  • Chant public devant deux chaises électriques, 1964, 1966 dt.Öffentlicher Gesang vor zwei elektrischen Stühlen
  • V comme Viêt Nam, 1967 (dt. V wie Vietnam)
  • Les Treize Soleils de la rue Saint-Blaise, 1968
  • La Naissance, 1968[14]
  • La Passion du général Franco, 1968 (dt. General Francos Leidenswege)
  • Journal d’un guérillero, 1968 (dt. Kleines Handbuch der Stadtguerilla)
  • Un homme seul, 1969 (dt. Die Schlacht der sieben Tage und sieben Nächte)
  • Les hauts plateaux, dt. Hochland Verl. d. Autoren 1969
  • Machine excavatrice pour entrer dans le plan de défrichement de la colonne d’invasion Che Guevara. dt. Maschine, mit der die Arbeit zur Erschliessung neuen Landes durch die „Brigade Che Guevara“ begonnen wird. Verl. d. Autoren 1970
  • Rose blanche. dt. Weiße Rose. Verl. d. Autoren 1970
  • Rosa collective, 1973 (dt. Rosa Kollektiv Verl. d. Autoren 1974)
  • Die Hälfte des Himmels und wir (La Moitié du ciel et nous), 1975
  • La Passion du général Franco par les émigrés eux-mêmes und La Tribu des Carcana en guerre contre quoi?, 1975
  • L’Arche
  • Le Crapaud-buffle, 1959
  • L’Éther vague
  • Il tuo nome era Letizia (Ton nom était joie), 1987
  • Le Chant d’amour des alphabets d’Auschwitz, 1992 (veränd. Fassung Adam quoi?, Marseille 1993, mit vielen Co-Autoren)
  • La Journée d’une infirmière ou: Pourquoi les animaux domestiques?, Reihe: Petit manuel de la guérilla urbaine. Verdier 1993[15]
  • Notre tranchée de chaque jour, 1996
  • La Part en trop, 1997
  • La Parole errante, 1999
  • De l’anarchie comme battement d’ailes: I, 2000; II, 2001; III, 2002; IV, 2003,
  • Le couteau-toast d’Evariste Galois, 2006
  • Le Bombardement de Berlin, 2009
  • Ce que chantent les arbres de Montreuil und Mort-Ouvrier, 2009

Gedichte

  • Les cinq noms de résistance de Georges Guingouin. (Langgedicht) Auszug (franz.)

Filme

  • L’Enclos, 1960; Preis für die beste Kritik des DFJW und des Senders TV 5-Monde Paris – Le prix de la meilleure critique. Cannes 1961; als DVD bei Doriane/Clavis 2003[16]
  • El Otro Cristobal, 1962; im Wettbewerb in Cannes (Auswahlliste) 1963
  • Der Übergang über den Ebro (Le Passage de l’Ebre), 1969
  • Le Lion, sa cage et ses ailes, 1975–1977
  • La Première Lettre, 1977–1979
  • Nous étions tous des noms d’arbres, 1981–1982
  • Ton nom était joie, 1987

Literatur

  • Peter-Jürgen Klein: Theater für den Zuschauer, Theater mit dem Zuschauer. Die Dramen Armand Gattis als Mittel zur Initiierung humanen Verhaltens (= Humanitas. Studien zur Romanistik). Athenaion, Wiesbaden 1975, ISBN 3-7997-0259-8 (Dissertation Universität Köln 1974, 300 Seiten, 23 cm).
  • Joseph Long: Armand Gatti: Three Plays. Sheffield Academic Press – Continuum Internat., Sheffield 2000, ISBN 1-84127-120-9
  • John Ireland: History, utopia and the concentration camp in Gatti’s early plays. in Claude Schumacher Hrsg.: Staging the Holocaust. The Shoah in drama and performance. Cambridge UP 1989, ISBN 0-521-62415-0, S. 184 ff. (Kap. 11)
    • Dorothy Knowles: A. G. and the silence of the 1059 days of Auschwitz. in Claude Schumacher Hrsg.: Staging the Holocaust. The Shoah in drama and performance. Cambridge UP 1989, ISBN 0-521-62415-0, S. 203–215 (Kap. 12)
  • Philippe Tancelin (Hrsg.): Salut Armand Gatti – Théâtre Sûr Paroles, L’Éther Vague, Toulouse 1989, ISBN 2-904620-26-5
  • Dorothy Knowles: Armand Gatti in the Theatre – Wild Duck Against the Wind, The Athlone Press, London 1989, ISBN 0-485-11364-3
  • Patricia Fasching: Das komplexe Theater des Armand Gatti. Zur Analyse zweier gesellschaftskritischer Stücke. Dipl.Arb. beim Lehrstuhl Moser, Univ. Innsbruck 1993[Anmerkung 16]
  • Armand Gatti, in: Internationales Biographisches Archiv 03/1994 vom 10. Januar 1994, im Munzinger-Archiv (Artikelanfang frei abrufbar)
  • Heinz Neumann-Riegner: Das Prinzip Leben. Macht, Widerstand und Erinnerung im Werk Armand Gattis (= Abhandlungen zur Sprache und Literatur, Band 62, ISSN 0178-8515), Romanistischer Verlag, Bonn 1993, ISBN 3-86143-010-X ISSN 0178-8515 (Dissertation Universität Regensburg 1992, L, 610 Seiten mit graphischen Darstellungen, 21 cm, Inhaltsverzeichnis).[Anmerkung 15]

Weblinks

Anmerkungen

  1. Da andere Gleichaltrige sofort hingerichtet wurden, hängt die Begnadigung eher mit Gattis italienischer Staatsbürgerschaft zusammen. Vichy war darauf bedacht, die Italiener nicht zu verprellen, die zu dieser Zeit noch einen kleinen Teil Frankreichs besetzt hielten und Nazi-Verbündete waren.
  2. in der Literatur auch „Linderman“, „Lintermann“ oder „Lindermann“ geschrieben. Das ist evtl. eine falsche Übertragung von Gehörtem, oder eine Folge davon, dass der Firmenname damals in Fraktur geschrieben wurde, wobei ein Ungeübter leicht den ersten Bogen des m für ein r halten kann, siehe: Alte Flagge oben links und Schriftzug (Memento vom 23. August 2010 im Internet Archive). Gattis Lager-Nummer war 17.173 (nach anderen Quellen: 171 173), sie erscheint in der Variante 173.173 in Tatenberg (engl. Fass. S. 81); abgerufen am 15. Mai 2023
  3. zugehörig zu einem ganzen Konglomerat von Arbeitslagern unter der gemeinsamen Signatur „Zwangsarbeiterlager 79“, derzeit bekannt sind fünf Firmen, darunter auch eine zum Konzern Blohm und Voss gehörende, welcher im Bau unterirdischer U-Boot-Bunker aktiv war. Gatti erinnert sich, während einer Bombardierung Hamburgs von vier Tagen und Nächten bei Lindemann gewesen zu sein; diese schweren Bombardements fanden vom 25. bis 30. Juli 1943 statt. Auf der Strecke vom KZ Neuengamme zur Veddel per Marschlandbahn lag der Bahnhof Tatenberg; die Stadt Hamburg als Eigentümerin hatte 1942 eigens einen Gleisanschluss zur schnellen Zu- und Abfahrt zum KZ geschaffen. Gatti musste, nach seinen Angaben, von Lindemann aus an der Ostsee, u. a. in einer Taucherglocke, unter Wasser arbeiten, mit einer Schaufel am Meeresboden. Er gibt „nördlich von Rostock“ an.
  4. ein Unfall mit der Taucherglocke hatte die Deutschen abgelenkt. Da Gatti klar war, dass er bei solchen Einsätzen ohnehin nicht mehr lange leben würde, er hatte wegen des Druckgefälles schon Nasen- und Ohrenbluten, riskierte er lieber die Flucht, mit einer Schaufel auf der Schulter getarnt, als wäre er zu einer Arbeit unterwegs.
  5. zum symbolischen Gehalt seiner Lebensberichte aus dem Jahr 1944 siehe die spätere Anmerkung zur Diskussion im Jahr 2010. Im Umkreis von Rostock, bis hin nach Peenemünde, gab es keine bis dato bekannten Unterwasserarbeiten mit Taucherglocken; sehr wohl aber in der Kieler Förde beim U-Boot-Bunkerbau. Es müsste dann heißen „nördlich von Lübeck“
  6. Fallschirmtruppen spielten eine entscheidende Rolle für die Verbindung von Résistancekräften inner- und außerhalb Frankreichs, insbes. von England aus, zur Versorgung des Maquis mit Medikamenten, Informationen und Waffen.
  7. die genaue Lokalisierung von Gattis Orten der Zwangsarbeit steht noch an
  8. Er bezieht sich darauf, dass er 7 Jahre lang tagtäglich an 2 Vorläuferstücken gearbeitet hat, sie sind nicht erschienen.
  9. gemeint ist eine Arbeitstaucherglocke von innen, siehe das Bild hier
  10. Anm. von Kravetz
  11. nämlich das Konkave
  12. eine Anspielung auf das „Univers concentrationnaire“ bei David Rousset
  13. Vermutlich fließen in Gattis Äußerungen über sein Jahr 1944 sehr viele Erzählungen anderer Deportierter ein, unter welchem „Rechtstitel“ und von welcher der vielen NS-Organisationen auch immer verschleppt; weiterhin gibt es selbstverständlich ein natürliches Vergessen und Verdrängen, er war gerade 18 Jahre alt und stand unter Todesdrohung. Aus einem solchen Gemisch wird er seine Aussagen strukturiert haben. Der derzeit wahrscheinlichste Ablauf ist folgender: Gatti wurde von den Vichyisten in der Provence vor die Alternative: sofortige Hinrichtung oder Teilnahme am STO-Programm gestellt; die Nazis transportierten ihn nach Hamburg, er wohnte bei Lindemann, der auf der Veddel ein gerichtsbekanntes Klein-KZ, genannt (Zivil-)Arbeiterlager, unterhielt, Er traf im Umfeld dieses Schiffsausrüsters viele andere Zwangsarbeiter sowie Gefangene des KZ Neuengamme, die täglich an „Tatenberg“ vorbei nach Hamburg zur Zwangseinsatz fuhren. Dabei schnappte er auch Erzählungen über die lebensbedrohliche Arbeit in Taucherglocken auf, die nach unten offen waren; zum Komplex „Zivilarbeiterlager 79“ gehörten Firmen aus diesem Gewerbe. Seine Flucht aus Hamburg kann man sich, der Wahrscheinlichkeit und der Möglichkeit nach, am ehesten per Schiff mit Hilfe sympathisierender Seeleute vorstellen; eine Flucht zu Fuß quer durch Norddeutschland zu einer Zeit, als die NS-Kontrollen noch voll wirkten, durch einen jungen Mann, der wenig Deutsch sprach, ist nicht sehr wahrscheinlich. Die Nazis und die Bevölkerung jagten 1944 unerbittlich mutmaßliche junge Deserteure. Die von ihm berichtete Flucht „durch die Wälder“ weckt Erinnerungen an das provencalische Maquis, das ihn sozialisiert hatte, das Bild zeichnet einen emotionalen und philosophischen Gegensatz zu der Welt des „Konkaven“ von Taucherglocken, Höhlen und Lagern. Gattis karge Äußerungen zu seiner Biografie 1944 sind vor allem als Produkte dichterischer Freiheit zu betrachten. Und warum, auf Grund juridischer Festlegungen des französischen Staats, für seine Zwangsverbringung nach Hamburg nicht der Begriff Deportation zu verwenden sein soll, wird sich Nicht-Franzosen kaum erschließen. Letztlich wird der Anteil von historischen Fakten an seinen Erzählungen erst durch weitere Forschungen zu erheben sein.
  14. auf einem fiktiven Planeten werden Juden ermordet von Gestalten wie Hitler, Himmler, Eichmann
  15. ein sehr detailliertes Buch, herausgegeben von Frank-Rutger Hausmann mit Beschreibung aller Stücke, mehreren Literaturverzeichnissen und Register
  16. in Universitätsbibliothek Wien vorhanden
  17. Hier wird insbes. der von Gatti erfundene Begriff «Selmaire» für sein dramatisches Prinzip, etwa im Deutschen der „Perspektive“ (eines Zuschauers auf eine Szene) und der Spiegelung im Bewusstsein des Zuschauers entsprechend, erläutert.

Einzelnachweise

  1. Brigitte Salino: Mort d’Armand Gatti, figure du théâtre du XXe siècle. In: Le Monde (online). 6. April 2017, abgerufen am 6. April 2017 (französisch).
  2. siehe sein Drama Auguste G.
  3. Siegfried Kienzle, Otto C. A. zur Nedden (Hrsg.): Reclams Schauspielführer. Stuttgart 1993, S. 1020f.
  4. Long, S. 19. Aus dem Englischen übers.
  5. Aus dem Französischen. Längere Fassung: Je travaillais toujours sur mon livre, le même dont le titre avait changé en cours de route. Au debut cela s’intitulait „La Traque des assis“, maintenant „Bas relief pour un décapité.“ Sur le mur de ma chambre j’avais épinglé tous mes personnages et dessiné avec des fils de laine des différents couleurs leurs itinéraires, leurs destins, leur références minérales, végétales, cosmiques … Je t’ai dit: quarante-neuf versions. J’y travaillais chaque nuit. Je ne pensais qu’à ça. Pendant sept ans. Je ne l’abandonnais que lors des reportages, mais dès mon rétour je me précipitais à la table … Cette acharnement, cette tâche sans fin … c’était ma manière de retourner dans la camp de concentration … Plus tard j’ai essayé d’exorciser le souvenir en écrivant ‹La deuxième existence du camp de Tatenberg›. in Marc Kravetz & Gatti: L’aventure de la parole errante. Patrice Thierry-L’Ether Vague, Toulouse 1987, wieder Verdier, Lagrasse 1991 ISBN 2-904620-10-9, S. 18; zuerst in Libération 16.–22. juillet 1979 in 7 Ausgaben.
  6. Gatti & Kravetz: L’aventure de la „Parole errante“. Multilogues.- Patrice Thierry, L’Éther vague, Toulouse 1987, S. 75. Übers. aus d. Franz.
  7. Gatti & Kravetz: L’aventure de la „Parole errante“. Multilogues.- Patrice Thierry, L’Éther vague, Toulouse 1987 S. 78. Aus dem Franz.
  8. frz. Ausg. 1962, S. 243, eig. Übers. aus dem Franz. - Etwas anders: dt. Ausg. Henschelverlag Berlin 1970, Übers. Eugen Helmlé
  9. Catrin Corell: Holocaust als Herausforderung für den Film (Memento vom 1. April 2010 im Internet Archive; PDF; 3,6 MB)
  10. Arno Gisinger: online (PDF; 134 kB) Gattis Text aus: La sépulture et le propre de l’homme. Programmheft zu Adam quoi?, Marseille 1993
  11. Le passé du poète Armand Gatti fait débat – Libération. (Nicht mehr online verfügbar.) liberation.fr, ehemals im Original; abgerufen am 23. Oktober 2011 (französisch).@1@2Vorlage:Toter Link/www.liberation.fr (Seite nicht mehr abrufbar. Suche in Webarchiven.)
  12. über die Ereignisse, die zum Tod seines Vaters durch Polizistenhand führten, sowie sein Leben zuvor. Deutsch auch in „Theater heute“, Nr. 11, Nov. 1963, S. 61ff., in der Bearb. für das Theâtre de la Cité neu eingerichtet für die Schaubühne am Halleschen Ufer
  13. Diese beiden und die weiteren Stücke im Sammelband beim Henschelverlag Berlin 1970, nämlich: Franco; Vietnam; Gesang; Schlacht. – Im Bezugsartikel Hamburg-Tatenberg Genaueres über sein fiktionales Zusammenfügen von Tatenberg bei Hamburg und dem „Totenberg“ in Österreich im KZ Mauthausen. Deutschsprachige Erstaufführung: Städtische Bühnen in Essen als Eröffnung des Spieljahres 1964/65.
  14. Rezension in Deutsch: Das Theater und die Revolution. In: Die Zeit, Nr. 29/1969
  15. Editionsgeschichte: auf Deutsch erstmals Warum Haustiere? im Verlag der Autoren 1970; wieder in Frauke Rother (Hrsg.): Politische Stücke aus Frankreich. als Warum Haustiere? Oder der Tag einer Krankenschwester. Volk und Welt, Berlin 1975; auf Franz. als Einzeldruck zuerst 1993; jedoch in der Bearb. von Claire Flohr: Véronique, la vie commence à 5 h. 30. bereits 1986, Theatertext, ohne ISBN
  16. Deutsche Fassung: Der Verschlag. Kommentar des Anbieters: „Im KZ Tannenberg hetzt ein ‚Kapo‘ im Frühjahr 1944 bei der Aufsicht im Steinbruch zwei Häftlinge aufeinander und verspricht dem Überlebenden die Freiheit. Obwohl das dem zusehenden SS-Obersturmbannführer imponiert, wird der Kapo wegen Zerstörung ‚deutschen Arbeitsmaterials‘ hingerichtet. Am folgenden Tag wird dem französischen Juden David und dem deutschen Kommunisten Karl befohlen, einen Kampf auszutragen.“ Im Verleih der Landesmediendienste Bayern, München/Würzburg, 16 mm-Film, Best. Nr. 6315108, s/w 95 Min., ab 16 J.