Anschlag (Klavier)

Der Anschlag beim Klavier ist die Tätigkeit des Spielers, die Klaviertaste nach unten zu bewegen. Die Art und Weise, wie dies geschieht, nennt man Anschlagsart. Das Wort Anschlag wird auch, besonders in der Sprache der Kritiker, dazu verwendet, in Bezug auf das klangliche Ergebnis des Spiels, die individuelle Art der Tastenbehandlung eines Pianisten zu charakterisieren. So sagt man beispielsweise, ein Spieler habe einen harten oder weichen Anschlag oder man spricht von der Anschlagskunst eines Spielers.

Die Abwärtsbewegung der Taste aktiviert das Hebelsystem der Klaviermechanik, der Klavierhammer wird dadurch an die Saite geschleudert und versetzt sie in Schwingungen. Je nach Krafteinwirkung auf die Taste (Anschlagsstärke) wird der Hammer mit verschiedener Geschwindigkeit an die Saite geschleudert und erzeugt Töne verschiedener Lautstärke und Klangfarbe. Je größer die Hammergeschwindigkeit, desto lauter der Ton und desto obertonreicher der Klang. Die Frage, inwieweit die Klangfarbe des Tones nur von der Dynamik, das heißt von der Geschwindigkeit, mit der der Hammer auf die Saite trifft, abhängt, oder ob bestimmte Anschlagsarten die Klangfarbe des Tones beeinflussen können, ist noch nicht eindeutig beantwortet.

Im Laufe der Geschichte des Klavierbaus und des Klavierspiels wurden je nach Lehrmeinung verschiedene Versuche unternommen, die Anschlagsarten zu systematisieren, ohne aber zu einem allgemein verbindlichen System zu kommen. Die verschiedenen Anschlagsarten werden fälschlicherweise oft mit den Bezeichnungen für die Artikulationstypen legato, non legato, portato und staccato bezeichnet. Dies wird von einigen abgelehnt, weil eine Artikulationsart nicht unbedingt nur mit einer Anschlagsart umgesetzt wird. So kann z. B. legato mit gehobenen oder liegenden Finger gespielt werden. Für besondere Effekte, wie sie etwa die Jazzmusik erfordert, sind entsprechende Abweichungen von traditionellen Anschlagsweisen nötig. Für das Glissando z. B. streicht der Pianist mit der Rückseite eines oder mehrerer Finger einer Hand über eine Reihe von weißen oder schwarzen Tasten. Zur Erzielung von Schlageffekten kann neben der flachen Hand auch die Faust zum Anschlag der Tasten herangezogen werden.

In der Vielfalt der Anschlagsmöglichkeiten liegt auch ein wichtiger Unterschied zu anderen Tasteninstrumenten, wie der Orgel oder dem Synthesizer. Gute Digitalpianos zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich bemühen, den Anschlag möglichst genau zu erfassen und klanglich umzusetzen. Das Verfahren ist nahezu bei jeder Marke in folgende zwei Unterstufen unterteilt: Erstens die Übersetzung der mechanischen Bewegung in das MIDI-Protokoll (dabei wird zwischen 128 verschiedenen Anschlagsstärken unterschieden) und zweitens die Umsetzung dieser Information in den entsprechenden Klang. Der erste Teil dieser Übersetzung ist mit heutiger Hard- und Software recht gut umsetzbar (doch auch hier gibt es Hersteller mit neuen Ideen und anderen Konzepten), beim zweiten jedoch haben die großen japanischen Hersteller von Digitalpianos wie Yamaha, Casio, Roland oder Kawai jeweils eigene Techniken entwickelt, bis hin zur Simulation des vollständigen Bewegungsablaufes vom Finger über den Hammer bis zur Saite (bei Yamahas Silent Piano). Aber auch Roland hat mit seinem 2009 erschienenen V-Piano diese Entwicklung in eine neue Dimension gerückt, indem hier der komplette Klang live durch Simulation der physikalischen Vorgänge beim echten Klavier berechnet wird und nicht mehr auf Samples, wie bis dahin üblich, basiert.

Literatur

  • Otto Ortmann: The physical basis of piano touch and tone. An experimental investigation of the effect of the player's touch upon the tone of the piano. E. P. Dutton & Co, New York 1925.
  • Otto Ortmann: The physiological mechanics of piano technique. An experimental study of the nature of muscular action as used in piano playing, and of the effects thereof upon the piano key and the piano tone. E. P. Dutton & Co, New York 1929.
  • Georg Roth: Methodik des virtuosen Klavierspiels (Alfred Hoehns Methode). Breitkopf & Härtel, Leipzig 1949. 2. Aufl. 1953. (Eine wesentlich erweiterte Fassung unter demselben Titel erschien 1995 bei Florian Noetzel, Wilhelmshaven. ISBN 3-7959-0683-0.)
  • Bernhard Böttner: 9 Thesen zur Evolutionstheorie der Universaltechnik auf der Grundlage einer methodenintegrierenden Definition und Systematik der Anschlagsarten und ihre Konsequenzen für die moderne Klavierpädagogik. In: Dokumentation 1982 zum EPTA-Kongress (= European Piano Teachers’ Association), Saarbrücken, Hochschule für Musik 1982.
  • Bernhard Böttner: Alte und neue Wahrheiten über die Tonbildung auf dem Klavier. Ihre physikalischen und physiologischen Grundlagen und die seit 50 Jahren überfälligen Konsequenzen für die Klavierpädagogik. Ein Beitrag zur Didaktik der Universaltechnik. In: ZfMP(= Zeitschrift für Musikpädagogik). Gustav Bosse Verlag, Regensburg, ISSN 0341-2830, Heft 29 (März 1985), S. 45–69.
  • Christoph Kammertöns: Art. Anschlag (Tastenanschlag), in: Ders., Siegfried Mauser (Hrsg.): Lexikon des Klaviers. Baugeschichte – Spielpraxis – Komponisten und ihre Werke – Interpreten. Laaber-Verlag, Laaber 2006, ISBN 3-89007-543-6 (mit 844 Stichwörtern), S. 43–45.
  • Wolfgang Wagenhäuser/Michael Reuter: Spielen wie Horowitz? Edition Omega Wolfgang Layer, Trossingen, Berlin 1997, ISMN M-700122-00-3.
    (Steht im Widerspruch zu den Ergebnissen der bisher allgemein vertretenen Theorie, nach der gleiche Endgeschwindigkeit des Hammers zu gleichem Obertonaufbau und damit zu gleichem Klang führt. Bei gleichen Schallpegelwerten können verschiedene Klänge erzeugt werden (S. 129). Vertritt die Anschauung, dass die Anschlagsart den Klang des Klaviers beeinflusst, jede Bewegung erzeugt ihren eigenen Klang. Durch die Art der Beschleunigung kann nach den Worten der Autoren die Kontaktstelle des Saitenaufpralls und damit die Klangfarbe, verändert werden).
  • Bernhard Böttner: Habituation von Kunstbewegungen. Voraussetzung für die Gewährleistung einer optimalen Klaviertechnik. In: Üben und Musizieren. Schott Verlag, Mainz, Heft 5, Oktober 1985. S. 354–360.
  • Ludwig Riemann: Das Wesen des Klavierklanges und seine Beziehungen zum Anschlag. Eine akustisch-ästhetische Untersuchung für Unterricht und Haus. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1911.
  • Werner Goebl, Robert Bresin, Alexander Galembo: Once again: The perception of piano touch and tone. Can touch audibly change piano sound independently of intensity?, In: Proceedings of the International Symposium on Musical Acoustics. 31. März bis 3. April 2004 (ISMA 2004), Nara, Japan.
  • Arnold Schultz: The riddle of the pianist's finger and its relationship to a touch-scheme. Carl Fischer, New York 1936. Neudruck 1949. (Zusammen mit den Werken Ortmanns grundlegende Darstellung mit scharfen Kritiken an den bisherigen Darstellungen des Anschlagproblems, besonders der Anschauungen Rudolf Maria Breithaupts.)

Siehe auch

Weblinks