Anne von Böhmen

Die Krönung Richards II. von England und seiner ersten Frau Anna von Böhmen. Darstellung aus dem Liber regalis, 14. Jahrhundert.

Anne von Böhmen LG (* 11. Mai 1366 in Prag; † 7. Juni 1394 in Sheen (heute ein Teil Londons bzw. Richmonds)) war durch ihre Ehe mit König Richard II. von England vom 20. Januar 1382 bis 7. Juni 1394 Königin von England, gekrönt wurde sie am 22. Januar 1382. Aus der Ehe gingen keine Kinder hervor.

Leben

Anne war die älteste Tochter des römisch-deutschen Kaisers Karl IV. mit seiner vierten Frau Elisabeth von Pommern, Schwester des späteren Kaisers Sigismund und Halbschwester König Wenzels von Böhmen. Über ihre Kindheit und Jugend ist wenig bekannt. Sie scheint eine zwanglose Erziehung am Kaiserhof erhalten zu haben.

Die Initiative zur Anbahnung der Heirat zwischen Anne und König Richard II. von England ging von Papst Urban VI. aus. Wegen des damaligen Schismas der katholischen Kirche wurde kurz nach Urban VI. im September 1378 der von Frankreich unterstützte Gegenpapst Clemens VII. gewählt. Urban VI. hatte vor allem im neuen römisch-deutschen König Wenzel, dem Halbbruder Annes, und in Richard II. seinen Verbündeten. Zur Vertiefung der Beziehungen zwischen seinen beiden Unterstützern plante er etwa im Frühjahr 1379 die Heiratsallianz zwischen der Kaisertochter und dem englischen König. Damals verhandelten drei englische Gesandte in Mailand um die Hand von Caterina Visconti, einer Tochter des Herrn der Stadt, Bernabò Visconti. Der Papst rief die Gesandten zu sich, um ihnen seinen Heiratsvorschlag für Richard II. zu unterbreiten. Kurz zuvor war der Erzbischof von Ravenna, Pietro Pileo di Prata, als päpstlicher Legat in gleicher Mission nach Prag zu König Wenzel gereist und bei diesem auf große Zustimmung gestoßen.[1] Wenzel erhoffte sich von einer Zusammenarbeit mit den Plantagenet eine Begünstigung seiner Italienpläne sowie Hilfe bei der Erlangung des Kaisertitels.[2] Zwei der in Italien weilenden englischen Gesandten, Michael de la Pole, 1. Earl of Suffolk und John Burley, begaben sich zu weiteren Gesprächen mit Wenzel sowie dem Erzbischof von Ravenna nach Böhmen und äußerten sich dann in London positiv über das Eheprojekt. Neue, 1380 in Böhmen geführte Verhandlungen verliefen reibungslos.[1]

Ende 1380 reisten Thomas Holland, 2. Earl of Kent und zwei weitere englische Gesandte nach Flandern, um mit den Bevollmächtigten König Wenzels die Heiratsverhandlungen zu finalisieren. Nach der Einigung auf einen Vertragsentwurf im März 1381 begaben sich die Verhandlungsteams nach London, wo am 2. Mai 1381 in Anwesenheit Richards II. sowie des Adels und Klerus der formelle Heiratskontrakt unterzeichnet wurde. Bei dieser Gelegenheit wurde auch ein dauerhaftes Bündnis zwischen Richard II. und König Wenzel geschlossen. Danach erschienen Simon Burley und George Felbrigg in Prag, trafen Wenzel und sorgten für die am 1. September 1381 erfolgte Ratifizierung des Vertrags, der neben der Heiratsvereinbarung u. a. auch ein Handelsabkommen umfasste. In der Folge kam es zu einigen Verzögerungen.[1] Der Herzog von Sachsen führte Anne nach Brüssel, wo sie die Ankunft der englischen Gesandten abwartete, die sie abholen sollten. König Karl V. von Frankreich hatte zwölf Kriegsschiffe entsandt, um Anne auf ihrer bevorstehenden Seereise nach England abzufangen. Auf Protest von Annes Onkel, des Herzogs von Brabant, beorderte der bereits auf dem Totenbett liegende Karl V. sein Geschwader wieder zurück. Daraufhin reiste Anne in Begleitung des Herzogs von Brabant nach Gravelines, wurde hier von den Earls of Salisbury und Devonshire empfangen und nach Calais geleitet. Von dort setzte sie am 18. Dezember 1381 nach Dover über.[3]

Kurz nach Annes Landung in Dover schleuderte ungewöhnlich starker Seegang die Schiffe im Hafen gegeneinander und jenes Schiff, mit dem sie den Ärmelkanal überquert hatte, wurde dabei zerstört. Dieses Ereignis wurde vom Chronisten Thomas Walsingham überliefert, der es als böses Omen betrachtete. Der Herzog von Lancaster geleitete Anne nach Canterbury und danach durch Kent nach Leeds Castle, wo sie bis Anfang 1382 blieb. Am 18. Januar hielt sie ihren feierlichen Einzug in London.[1] Zwei Tage danach vermählten sich Richard II. und Anne in der Westminster Abbey in einer durch den Bischof von London, Robert Braybrooke, geleiteten Hochzeitszeremonie. Am 22. Januar 1382 wurde Anne durch den Erzbischof von Canterbury, William Courtenay, in derselben Kirche gekrönt.[2][4]

Englische Kritiker wie Walsingham bemängelten die hohen Kosten, welche die Ehe für Richard II. verursachte. Sie waren unzufrieden über die finanziellen Abmachungen des Ehekontrakts, denn entgegen den Erwartungen erhielt Anne keine Mitgift; vielmehr befand sich ihr Vater in großer pekuniärer Verlegenheit. Dagegen hätte eine Heirat des englischen Königs mit einer italienischen Fürstentochter wohl eine üppige Mitgift eingebracht. Richard II. hatte König Wenzel 1381 die Summe von 12.000 Florins zu leihen versprochen und ein Viertel dieses Betrags bei der Unterzeichnung des Heiratsvertrags bezahlt, woraufhin weitere Ratenzahlungen folgten. Mit diesem Darlehen wollte Wenzel seinen Romzug finanzieren. Auch gegenüber den Verwandten und Dienern seiner Gattin zeigte sich der englische König spendabel. So gewährte er u. a. dem Herzog Przemislaus I. von Teschen, der maßgeblich Richards Ehe mit Anne ausverhandelt hatte, ein Jahresgehalt von 500 Mark. Anne hatte zahlreiche böhmische Gefolgsleute mit nach England gebracht, die zusätzliche Ausgaben für die bereits sehr kostspielige Hofhaltung verursachten. Einige ihrer Hofdamen wurden etwa auf Kosten des Königs mit Kammerdienern und Esquires verheiratet, und manche böhmische Beamte erhielten einträgliche Pfründen. Diese Zuwendungen des Königs an die Landsleute seiner Gemahlin riefen in England Unmut hervor.[5]

Die Ehe von Anne und Richard II. wird von allen Biographen als glücklich bezeichnet, und Anne erfreute sich mit der Zeit großer Beliebtheit im englischen Volk. Als sie von der Pest dahingerafft wurde, wurde Richard nach Berichten der Chronisten „wild vor Trauer“ und ließ die Residenz in Sheen, in der sie starb, mitsamt den umliegenden Gebäuden abreißen.

Es wird vermutet, dass in ihrem Gefolge mitreisende böhmische Adelige und die Zunahme böhmischer Studenten an englischen Universitäten zur Verbreitung des Gedankenguts des Reformators John Wyclif in Böhmen mit dem entsprechenden Einfluss auf die spätere Hussitenbewegung beitrugen.[6][7]

Aus Annes Besitz soll auch die sogenannte Pfälzische Krone stammen, die heute im Residenzmuseum München aufbewahrt wird; sie ist die älteste erhaltene Krone Englands.[8]

Vorfahren

Heinrich VII.
 
Margarete von Brabant
 
Wenzel II. König von Böhmen (1271–1305)
 
Guta von Habsburg
 
Wartislaw IV.
 
Elisabeth von Schlesien
 
Kasimir von Polen
 
Anna von Litauen
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Johann von Luxemburg
 
 
 
 
 
Elisabeth Přemyslovna von Böhmen (1292–1330)
 
 
 
 
 
Bogislaw V. von Pommern
 
 
 
 
 
Elisabeth von Polen
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Karl IV.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Elisabeth von Pommern
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Anne von Böhmen
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

Literatur

Weblinks

Commons: Anne von Böhmen – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. a b c d Nigel Saul, in: Oxford Dictionary of National Biography, Bd. 2 (2004), S. 178.
  2. a b Dieter Berg: Die Anjou-Plantagenets, Kohlhammer, Stuttgart 2003, ISBN 3-17-014488-X, S. 258.
  3. James Gairdner, in: Dictionary of National Biography, Bd. 1 (1885), S. 420 f.
  4. Ostbairische Grenzmarken: Passauer Jahrbuch für Geschichte, Kunst und Volkskunde, Bände 12–13, Verlag des Vereins für Ostbairische Heimatforschung, 1970, S. 12 (Ausschnittscan).
  5. Nigel Saul, in: Oxford Dictionary of National Biography, Bd. 2 (2004), S. 178–179.
  6. vgl. Martin Nodl: Das Kuttenberger Dekret von 1409 (= Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Europa. Band 51). Böhlau, Köln / Weimar / Wien 2017, ISBN 978-3-412-50565-3, S. 161.
  7. Alfred Thomas: Anne's Bohemia: Czech Literature and Society, 1310-1420 (= Medieval Cultures. Band 13). University of Minnesota Press, Minneapolis / London 1998, ISBN 0-8166-3053-4, S. 44–45.
  8. František Šmahel: Häresie und vorzeitige Reformation im Spätmittelalter (= Schriften des Historischen Kollegs München. Band 39). Oldenbourg Verlag, 1998, ISBN 3-486-56259-2, S. 105–106 (Digitalscan).
VorgängerinAmtNachfolgerin
Philippa von HennegauQueen Consort von England
1382–1394
Isabelle de Valois

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