Anja Salomonowitz

Anja Salomonowitz (* 12. November 1976 in Wien) ist eine österreichische Filmemacherin.

Leben

Anja Salomonowitz wuchs in einer jüdischen Familie auf und war Mitglied der sozialistisch-zionistischen Jugendorganisation Hashomer Hatzair.[1] Sie studierte Film in Wien und Berlin und arbeitete während ihres Studiums für den Filmregisseur Ulrich Seidl.

Anja Salomonowitz entwickelte für ihre Filme eine eigene, poetische Filmsprache. Dabei werden reale Erfahrungen der Menschen durch künstlerische Verfremdung verdichtet. Ihre Filme erhielten internationale Anerkennung und zahlreiche Filmpreise. Sie fanden Eingang in einschlägige Filmliteratur und liefen auf hunderten Filmfestivals weltweit.

Sie hält Masterclasses zum künstlerischen Dokumentarfilm an Universitäten (u. a. an der Aalto-Universität in Helsinki, Department for Film and Television oder Universität für bildende Kunst Wien) oder Filmfestivals (Tutorin an der Documentary Academy am Jihlava International Filmfestival seit 2015).

Anja Salomonowitz war 2013/14 Obfrau von dok.at, der Interessensgemeinschaft österreichischer Dokumentarfilm und 2016/17 Obfrau des Verbands Filmregie Österreich. Alle ihre Filme folgen einem strengen Farbkonzept. Sie ist bekannt dafür, dass ihre hybriden Filme explizit politisch sind und in ihrer künstlerischen Form die Grenzen und Möglichkeiten des Dokumentarischen erweitern.

Werk

Eine ihrer frühesten Arbeiten waren vier zu einem Kurzfilm aneinandergereihte „Werbespots“ gegen Rassismus: get to attack. Bereits hier wird ihre filmschafferische Linie, gesellschaftspolitische Probleme subversiv zu thematisieren, erkennbar. Ihr erster Film, der regulär in den Kinos startete, war der 52-minütige Dokumentarfilm Das wirst du nie verstehen (2003). Darin konfrontiert sie sich selbst und Familienmitglieder mit ihrer Familiengeschichte: Die jüdische Großtante war im Konzentrationslager, ihr Kindermädchen im sozialistischen Widerstand und ihre Großmutter „tat nichts“.[2] Der Film ist durchgehend in Weiß gehalten: Weiße Kleidung und Hintergrund sorgen für Neutralität, die Konzentration des Zusehers wird auf die Worte ihrer Familienmitglieder, die meist in Alltagssituationen aufgenommen wurden, gelenkt.[3]

In ihrem, mit nur einer Minute Länge kürzesten, Film Codename Figaro – ein Beitrag zum Mozartjahr 2006 – wirft sie im gespielten Telefonat einer Frau mit ihrem ausländischen Verlobten die ironische, da auf die österreichische Einwanderungspolitik bezogene, Frage auf, ob „die Hochzeit des Figaro“ nur eine Scheinehe gewesen sei. Die beiden Menschen fragen sich gegenseitig im Telefonat die Antworten auf mögliche Fragen der Fremdenpolizei: „Was hast du mir zur Hochzeit geschenkt?“, „Wo habe ich Muttermale?“ Der Film endet mit einer Aufforderung: „Heiraten Sie einen Migranten aus Liebe, es ist eine Chance für ihn, in Österreich leben und arbeiten zu dürfen.“[4]

Danach folgte Kurz davor ist es passiert, ein Dokumentarfilm über Frauenhandel. Die betroffenen Frauen werden nicht selbst gezeigt, stattdessen werden ihre Geschichten von Laiendarstellern erzählt. Durch die gekonnte Hinterfragung und Brechung üblicher dokumentarischer Strategien und Möglichkeiten fand der Film Eingang in viele Bücher, Zeitschriften und Essays über Dokumentarfilm und wurde auf vielen Filmfestivals rund um die Welt gespielt.[5]

2012 realisierte Salomonowitz ihren ersten Spielfilm: Spanien. Das Drehbuch entstand in Zusammenarbeit mit dem Schriftsteller Dimitré Dinev. Die Musik stammt von Max Richter, die Hauptrolle des Sava wird von Grégoire Colin gespielt. 2013 folgte Die 727 Tage ohne Karamo, ein Dokumentarfilm gegen das Fremdenrecht. Darin erzählen binationale Paare von ihrem Zusammenstoß mit dem Gesetz, der Film folgt wieder einem speziellen Erzählkonzept und gewann den Silver Eye Award.

Im Mai 2015 präsentierte Anna Badora Salomonowitz als Regisseurin von Der Junge wird beschnitten als Teil ihres Programms ihrer ersten Spielzeit als Intendantin des Wiener Volkstheaters[6]. Das Stück wurde 2016 aufgeführt. Kinder sprechen darin Texte aus Interviews mir erwachsenen Menschen zum Thema Beschneidung nach. Das Stück hatte großen Erfolg.

2019 kommt Dieser Film ist ein Geschenk ins Künstlerhauskino in Wien. „Dieser Film ist ein Geschenk ist ein Film über den Künstler Daniel Spoerri. Eigentlich ist es ein Film über einen Gedanken von Daniel Spoerri: ein Film fast ohne Daniel Spoerri, eigentlich wird er meistens von einem Kind nachgespielt – um nicht weniger zu sagen, als dass alles immer irgendwie weitergeht im Leben, auch wenn man dazwischen mal stirbt.“ Auch dieser hybride Dokumentarfilm folgt ihrer erzählerischen Linie und bricht gekonnt die Tradition von dokumentarischen Oral History Filmen. Der Film stellt Fragen zu einer modernen, dokumentarischen Darstellung von Holocaust Geschichten – und zum KünstlerInnenportrait.

Dokumentarfilme:

  • 2003: Das wirst du nie verstehen, 52 min.
  • 2006: Kurz davor ist es passiert, 72 min.
  • 2013: Die 727 Tage ohne Karamo, 80 min.
  • 2016: Der Junge wird beschnitten, 75 min.
  • 2019: Dieser Film ist ein Geschenk, 72 min.

Spielfilme:

  • 2012: Spanien, 102 min.

Kurzfilme:

  • 2000: Carmen, 23 min., Video
  • 2001: get to attack, 5 min
  • 2002: Projektionen eines Filmvorführers in einem Pornokino, 14 min., Video
  • 2005: Ein Monument für die Niederlage, Videoinstallation
  • 2006: Codename Figaro – Mozart 2006, 1 min., Video

Preise

  • 2010 Outstanding Artist Award des Bundesministeriums für Kunst und Kultur
  • 2019 Ehrenpreis der Frauenfilmtage für die Filmreihe WIDERSTANDSKINO gemeinsam mit der Regisseurin Mirjam Unger
  • Auszeichnungen für Die 727 Tage ohne Karamo:
    • 2013: Silver Eye Award, Jihlava Int. Documentary Film festival[7]
  • Auszeichnungen für Kurz davor ist es passiert:
    • 2006: Wiener Filmpreis[7]
    • 2007: Caligari-Filmpreis, Internationales Forum des Jungen Films – Berlinale 2007[7]
    • 2007: Innovative Artistic Award, Mar del Plata[7]
    • 2007: New Vision Best Director Award, Alba International Film Festival[7]
    • 2007: Friedensfilmpreis der Stadt Osnabrück[7]
    • 2007: Preis für die Bildgestaltung, Diagonale Graz[7]
    • 2007: Special Mention, Cinéma du Réel, Paris[7]
  • Auszeichnungen für Das wirst du nie verstehen:

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Wina - Das jüdische Stadtmagazin „Das ist mein Auftrag“ (Memento vom 14. Januar 2023 im Internet Archive) Juli 2012
  2. Daniel Ebner, celluloid – die österreichische filmzeitschrift: Anja Salomonowitz – „Das wirst du nie verstehen“ (PDF; 9 kB) (Memento desOriginals vom 7. Juli 2011 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.anjasalomonowitz.com. Ohne Datum (Seite abgerufen am 20. Oktober 2007)
  3. Dominik Kamalzadeh, Der Standard: Anders zeigen, um anders zu sehen. 9. Oktober 2007 (Seite abgerufen am 20. Oktober 2007)
  4. Inhaltsangabe zu Codename Figaro (Memento desOriginals vom 7. Juli 2011 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.anjasalomonowitz.com, www.anjasalomonowitz.at (Seite abgerufen am 20. Oktober 2007)
  5. Festival Screenings von Kurz davor ist es passiert (Memento desOriginals vom 11. Juli 2015 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.anjasalomonowitz.com
  6. Mayer, Norbert: Badora bringt am Volkstheater 22 Premieren in Die Presse vom 7. Mai 2015, abgerufen am 10. Juli 2015
  7. a b c d e f g h i Anja Salomonowitz bei dok.at