Anfechtungsklage

Die Anfechtungsklage ist eine Klageart in der deutschen Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), in der Finanzgerichtsordnung (FGO) und dem Sozialgerichtsgesetz (SGG). Im Gesellschaftsrecht wird die Klage gegen Beschlüsse der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft oder einer Eigentümerversammlung bei Eigentumswohnungen ebenfalls als Anfechtungsklage bezeichnet.

Verwaltungsrecht

Im Verwaltungsrecht stellt die Anfechtungsklage eine der abschließend gesetzlich geregelten Klagearten der Verwaltungsgerichtsordnung dar.

Zulässigkeitsvoraussetzungen

Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs

Damit die Verwaltungsgerichte für eine Klage zuständig sind, muss der Verwaltungsrechtsweg eröffnet sein. Dies ist nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO der Fall, wenn es sich bei dem Gegenstand der Klage um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeiten nicht-verfassungsrechtlicher Art handelt. Um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit handelt es sich, wenn die auf den Sachverhalt anwendbaren Vorschriften dem öffentlichen Recht zuzuordnen sind, weil sie gerade den Staat als solchen berechtigten und verpflichten (modifizierte Subjektstheorie). Die Streitigkeit ist nicht verfassungsrechtlicher Art, wenn der materielle Kern des Streitgegenstands nicht dem Bereich des Verfassungsrechts zuzuordnen ist;[1] das Bundesverwaltungsgericht gab im Juni 2025 seine vorige Auffassung auf,[2] dass eine verfassungsrechtliche Streitigkeit zusätzlich das formelle Element erfordere, dass Verfassungsorgane untereinander stritten (zuvor als doppelte Verfassungsunmittelbarkeit bezeichnet[1][3]).

Ebenfalls darf keine aufschiebende oder abdrängende Sonderzuweisung vorliegen. In Betracht kommt hier insbesondere die vorrangige Zuständigkeit der Sozialgerichte für bestimmte Verfahren nach § 51 SGG.

Statthafte Klageart

Die Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1, 1. Alt. VwGO vor dem jeweils zuständigen Verwaltungsgericht ist der statthafte Rechtsbehelf, wenn Ziel des Klägers die Aufhebung eines durch eine Behörde erlassenen Verwaltungsaktes oder von isoliert anfechtbaren Nebenbestimmungen zu einem Verwaltungsakt ist, der sich noch nicht erledigt hat.[4] In Einzelfällen wird daher auch der Begriff Aufhebungsklage verwendet.[5] Gegen schlichtes Verwaltungshandeln, sogenannte Realakte, ist statt der Anfechtungsklage die allgemeine Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 Alt. 1 VwGO statthaft, die sich inhaltlich auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Realaktes richtet. Hat sich der Verwaltungsakt bereits erledigt und entfaltet dementsprechend keine Rechtswirkungen mehr, beispielsweise weil er zurückgenommen wurde oder seine regelnde Wirkung aus anderen Gründen verloren hat (Zeitablauf, Tod des Adressaten bei höchstpersönlichen Verwaltungsakten, Wegfall des Regelungsobjekts, nicht aber Vollzug), kann seine Rechtmäßigkeit mit der Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 Absatz 1 Satz 4 VwGO überprüft werden.

Vorverfahren

Vor Anfechtung des Verwaltungsaktes vor dem Verwaltungsgericht, ist in der Regel ein durch einen Widerspruch des Adressaten gegen den erlassenen Verwaltungsakt eingeleitetes Vorverfahren durchzuführen. Die zuständige (in der Regel nächsthöhere, § 73 Abs. 1 VwGO) Behörde entscheidet anschließend in Form eines Widerspruchsbescheids über den Fortbestand des Verwaltungsakts, sofern sie ihn nicht vollständig aufhebt. Erst nach Erlass des Widerspruchsbescheids ist die Erhebung der Anfechtungsklage möglich. Eine Ausnahme gilt, wenn auch 3 Monate nach Erhebung des Widerspruchs kein Bescheid ergangen ist; in einem solchen Fall kann die Klage auch ohne Abschluss des Vorverfahrens in Form der sogenannten Untätigkeitsklage[6] nach § 75 VwGO erhoben werden.

Klagegegenstand

Gegenstand der Anfechtungsklage ist der Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den das Vorverfahren beendenden behördlichen Widerspruchsbescheid gefunden hat, § 79 Absatz 1 Nr. 1 VwGO oder der Widerspruchsbescheid in den Fällen des § 79 Absatz 1 Nr. 2, Absatz 2 VwGO. Die Anfechtungsklage ist Gestaltungsklage, weil das Gerichtsurteil unmittelbar kassatorisch auf die Rechtslage einwirkt. Eine Umsetzung des Urteils durch die Verwaltung entfällt deshalb. Dadurch ist die Anfechtungsklage gegenüber den anderen in der VwGO enthaltenen Klagearten rechtsschutzintensiver: Obwohl auch eine Verpflichtungsklage mit dem Ziel, die Verwaltung zur Aufhebung eines Verwaltungsaktes zu verpflichten, denkbar erscheint, ist diese Klage unstatthaft, weil sie wegen der notwendigen Mitwirkung der Verwaltung einen geringeren Rechtsschutz bietet.

Klagebefugnis

Eine Person ist klagebefugt, wenn sie vorbringen kann, durch den Verwaltungsakt in eigenen Rechten verletzt zu sein. Die herrschende Meinung vertritt dazu die sogenannte Möglichkeitstheorie: Es genügt, wenn der Kläger behauptet, dass der Verwaltungsakt ihn in subjektiven Rechten verletzt und nicht auf der Hand liegt, dass eine solche Rechtsverletzung offenkundig ausgeschlossen ist, sie also zumindest möglich ist.[7] Der Adressat eines Verwaltungsakts ist nach der Adressatentheorie stets klagebefugt, da ein an eine Person gerichtete Verwaltungsakt jedenfalls in dessen allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz eingreift und mit dem Eingriff stets auch eine potenzielle Verletzung des subjektiven Rechts denkbar ist.[8] Klagt ein Dritter gegen den Verwaltungsakt und beruft sich darauf, der Verwaltungsakt entfalte ihm zulasten eine negative Drittwirkung, wird die sogenannte Schutznormtheorie angewandt.[9] Erforderlich ist dann, dass der Kläger substantiiert vorträgt, der Verwaltungsakt verletze eine Vorschrift, die zumindest auch seine persönlichen Schutzinteressen schützt, wofür typischerweise Grundrechte aber auch einfachgesetzliche Normen in Betracht kommen.

Begründetheitsvoraussetzungen

Gemäß § 113 Abs. 1 VwGO ist die Anfechtungsklage begründet, soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei der Anfechtungsklage grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, d. h. die Bekanntgabe des Widerspruchs- bzw. des Ausgangsbescheids bei Entbehrlichkeit des Vorverfahrens. Liegen diese Voraussetzungen vor, hebt das Gericht den Verwaltungsakt auf.

Steuerrecht

Die Anfechtungsklage hat Bedeutung auch für die Finanzgerichtsordnung (FGO). Mit der finanzgerichtlichen Anfechtungsklage können belastende Verwaltungsakte der Finanzverwaltung angegriffen werden (§ 40 Abs. 1 FGO). Das Gericht hebt den angefochtenen Verwaltungsakt selbst ganz oder teilweise auf, wenn die Klage erfolgreich ist (§ 100 Abs. 1 FGO). Auch hier handelt es sich um eine Gestaltungsklage, denn das Gericht gestaltet die Rechtslage unmittelbar, ohne dass es einer Umsetzung durch die Verwaltung bedarf. Die Verfahrensvorschriften und der Prüfmaßstab decken sich weitestgehend mit den Regelungen der VwGO.

Sozialrecht

Auch das Sozialgerichtsgesetz (SGG) sieht in § 54 Abs. 1 SGG die auf Aufhebung (1. Fall) oder Abänderung (2. Fall) eines Verwaltungsaktes gerichtete Anfechtungsklage als Klageart vor.

Gesellschafts- und Wohnungseigentümergemeinschaftsrecht

Darüber hinaus gibt es Anfechtungsklagen im Gesellschaftsrecht. Nach § 243, § 246 AktG kann die Aufhebung von Beschlüssen der Hauptversammlung einer AG, KGaA, oder SE begehrt werden, wenn gerügt werden soll, dass diese gegen den Gesellschaftsvertrag oder ein Gesetz verstoßen. Aufgrund der starken Überschneidung mit der Nichtigkeitsklage nach § 249 AktG und der einhelligen Auffassung, dass Nichtigkeits- und Anfechtungsklage denselben Streitgegenstand haben und Beschlüsse daher mit einer einheitlichen Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage angegriffen werden können,[10][11][12][13][14] wird die gesellschaftsrechtliche Anfechtungsklage im Artikel Nichtigkeitsklage behandelt.

Entsprechendes gilt für die nach § 44 Abs. 1 WEG mögliche Anfechtungs- bzw. Nichtigkeitsklage eines Wohnungseigentümers gegen einen Beschluss der Wohnungseigentümergemeinschaft.

Siehe auch

Literatur

  • Zur Einführung:
    • Friedhelm Hufen: Verwaltungsprozessrecht. 8. Auflage. Beck Verlag, München 2011, ISBN 978-3-406-60981-7, S. 196–265; 385–415.
    • Martini: Verwaltungsprozessrecht, Systematische Darstellung in Grafik-Text-Kombination. 4. Aufl. 2008, S. 36 ff., ISBN 3-472-05379-8
    • Schenke: Verwaltungsprozessrecht. 11. Auflage 2007, S. 60 ff., ISBN 978-3-8114-3545-2
  • Praxis-Kommentare:
    • Kopp/Schenke: Verwaltungsgerichtsordnung – Kommentar. 14. Aufl. 2005, § 42 Abs. 1, ISBN 3-406-49876-0
    • Redeker/v. Oertzen: Verwaltungsgerichtsordnung – Kommentar. 14. Aufl. 2004, § 42 Abs. 1, ISBN 3-17-018041-X
    • Tipke/Kruse: Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung (Kommentar). Verlag Dr. Otto Schmidt, Köln 2007, ISBN 3-504-22124-0.
  • Gräber, FGO, 7. Aufl.
  • Zur aktienrechtlichen Anfechtungsklage:
    • Tielmann: Die Anfechtungsklage – ein Gesamtüberblick unter Berücksichtigung des UMAG in: Wertpapiermitteilungen 2007, S. 1686–1693.

Einzelnachweise

  1. a b BVerwG Urteil vom 26.03.2025 – 6 C 6.23 = NVwZ 2025, 856
  2. BVerwG, Urteil vom 28.11.1975 - VII C 53/73
  3. Brandenburgisches Verfassungsgericht, Beschluss vom 18.09.2015 - VfGBbg 14/15
  4. Pietzcker/Marsch: Schoch/Schneider Verwaltungsrecht. Hrsg.: Prof. Dr. Friedrich Schoch, Prof. Dr. Jens-Peter Schneider. Band 1, 47. Ergänzungslieferung. C.H.BECK, München Februar 2025, VwGO § 42 Abs. 1 Rn. 5.
  5. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 01.10.1963 - IV C 9/63
  6. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 04.12.2020 – L 28 BA 109/18
  7. BVerwG, Urteil vom 30.03.1995 - 3 C 8/94 = NVwZ 1995, 1200
  8. BVerwG, Urteil vom 15.03.1988 - 1 A 23/85 = NJW 1988, 2752
  9. BVerwG, Urteil vom 17.06.1993 - 3 C 3/89
  10. BGH, Urteil vom 17.02.1997 - II ZR 41/96
  11. Vatter: beck-online.GROSSKOMMENTAR AktG. Hrsg.: Prof. Dr. Martin Henssler. C.H.BECK, München 1. Juni 2025, AktG § 249 Rn. 5.
  12. BGH, Urteil vom 1. 3. 1999 - II ZR 305–97
  13. BGH, Urteil vom 22. 7. 2002 - II ZR 286/01
  14. Schäfer: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz. Hrsg.: Prof. Dr. Wulf Goette. 6. Auflage. C.H.BECK, München 2025, AktG § 246 Rn. 21.