Anachronismus

Ein Dinosaurier (starb vor ca. 65 Mio. Jahren aus) betrachtet den Schädel eines Menschen (existiert seit ca. 0,2 Mio. Jahren): Cartoon Anachronism von Gerhard Gepp

Ein Anachronismus (altgriechisch ἀναχρονισμόςanachronismós „Verwechslung der Zeiten“, aus ἀνα- ana- „gegen-“ und χρόνοςchrónos „Zeit“) bezeichnet entweder die absichtliche oder irrtümliche Einordnung von Vorstellungen, Ereignissen, Dingen oder Personen in einen falschen zeitlichen Kontext oder eine in einer bestimmten Zeit nicht oder nicht mehr angemessene Bewertung, ein Sachverhalt oder eine Vorstellung. Der erste Fall meint daher eine Zeitwidrigkeit, der zweite eine Zeitunangemessenheit.

Entsprechend bedeutet das Adjektiv anachronistisch einerseits in rein chronologischem Sinn „nicht in einen bestimmten Zeitabschnitt gehörend“, „zeitwidrig“ und andererseits als Ausdruck eines Werturteils „unzeitgemäß“, „überholt“.

Formen und Beispiele

Wird ein Gegenstand in einen historischen Zusammenhang gestellt, in dem er in Wahrheit noch gar nicht existierte, spricht man von einem vorgreifenden Anachronismus; existierte er zur betreffenden Zeit nicht mehr, handelt es sich um einen rückgreifenden Anachronismus. Anachronismen können unwissentlich oder irrtümlich, aber auch bewusst als Stilmittel eingesetzt werden, etwa um eine komische Wirkung zu erzielen. Der Ausweis von Anachronismen in vorgeblichen historischen Quellen kann ein Zeugnis unter Umständen als Fälschung entlarven.[1]

In einer fiktionalen Darstellung können Anachronismen z. B. Gegenstände, Handlungen und Gedanken sein, die nach historischen Maßstäben in der entweder implizit vorausgesetzten oder explizit mitgeteilten zeitlichen Prägung einer Situation nicht existent sind. Häufig handelt es sich dabei um vorgreifende Anachronismen: In Novalis’ Romanfragment Heinrich von Ofterdingen kommt eine Wanduhr vor, die es zur Zeit der Handlung noch nicht gab. Gleiches ist der Fall in Shakespeares Tragödie Julius Caesar, in der ein Vertrauter Caesars sagt, „es habe acht geschlagen“ (‘tis strucken eight’, II,2). In mehreren Asterix-Bänden, die ausdrücklich 50 v. Chr. spielen, sieht man das für das heutige Stadtbild von Rom charakteristische Kolosseum stehen, das erst zwischen 72 und 80 n. Chr. erbaut wurde.

Ebenfalls vorausgreifend lässt Christoph Hein in seinem Stück Die Ritter der Tafelrunde Parzival als sensationshungrigen Zeitschriftenredakteur auftreten und schafft so aus der Verbindung einer frühmittelalterlichen Sagengestalt mit einem modernen Berufsbild eine komische Figur.

Weniger leicht erkennbar sind abstrakte oder geistige Zustände, die eine spätere Entwicklung vorwegnehmen. Das Konzept der modernen Nationalität ist z. B. eine relativ neue Entwicklung, so dass es als anachronistisch betrachtet werden kann, einem Menschen der vormodernen Zeit eine solche Nationalität zuzuweisen.

Kreativer Anachronismus

Während der Anachronismus in den Geschichtswissenschaften ein zentrales Methodenproblem darstellt, gibt es auch gesellschaftliche Gruppierungen, die im Rollenspiel den Anachronismus pflegen, indem sie Berufe, Sozialstrukturen, Kleidung und Waffen vergangener (auch teilweise fiktiver) Zeiten wiederbeleben wollen; so etwa die Society for Creative Anachronism. Anachronismen sind auch ein häufiges Element in der Steampunk-Szene.

Literaturhinweise

  • Hanns Braun: Hier irrt Goethe – unter anderem. Eine Lese von Anachronismen von Homer bis auf unsere Zeit. DTV, München 1966.
  • Philipp Geitner: Anachronismus und Aktualisierung in Ovids ›Metamorphosen‹. Eine Ästhetik uneigentlicher Zeitlichkeit (= Millennium-Studien. Band 94). De Gruyter, Berlin / Boston 2021, ISBN 978-3-11-073557-4 (online).
  • Antje Junghanß, Bernhard Kaiser, Dennis Pausch (Hrsg.): Zeitmontagen. Formen und Funktionen gezielter Anachronismen. Steiner, Stuttgart 2019, ISBN 9783515123662.
  • Jacques Rancière: Le concept d’anachronisme et la vérité de l’historien. In: l’Inactuel. 6, 1996, S. 53–68.
  • Tim Rood, Carol Attack, Tom Phillips: Anachronism and Antiquity. Bloomsbury Academic, London u. a 2020, ISBN 978-1-3501-1520-0.
  • Carlos Spoerhase: Zwischen den Zeiten. Anachronismus und Präsentismus in der Methodologie der historischen Wissenschaften. In: Scientia Poetica. 8, 2004, S. 169–240.
  • André Wendler: Anachronismen. Historiografie und Kino. Fink, Paderborn 2010, ISBN 9783770557110.

Einzelnachweise

  1. Ein Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit ist etwa die Debatte um den sog. Artemidor-Papyrus, in der auch mit Anachronismen argumentiert wurde.
Wiktionary: Anachronismus – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

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Gerhard Gepp (Fotograf und Autor)
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