Gesetzliche Zeit

Als gesetzliche Zeit oder amtliche Zeit[1] bezeichnet man die durch Rechtssetzung vorgeschriebene Zeitskala zur Angabe der Uhrzeit im täglichen Leben; sie heißt auch bürgerliche Zeit[1] zur Unterscheidung von besonderen, zum Beispiel in der Astronomie, der Navigation oder anderen Wissenschaften verwendeten Zeitskalen. Die internationale Einführung der Zeitzonen gegen Ende des 19. Jahrhunderts ermöglichte es, als gesetzliche Zeit die zu der Zeitzone, in der das betreffende Land oder der Landesteil liegt, gehörende Zonenzeit zu wählen. Die mitteleuropäischen Länder führten infolgedessen die Mitteleuropäische Zeit (MEZ = UTC+1) als gesetzliche Zeit ein (in Deutschland ab 1893[2]). Dem schlossen sich später auch einige westeuropäische Länder an, für die aufgrund ihrer geographischen Lage eigentlich die Westeuropäische Zeit (UTC±0) passend ist.

In vielen Ländern der gemäßigten Zonen sind die Regierungen ermächtigt, innerhalb eines gewissen Zeitraums, der in etwa das Sommerhalbjahr umfasst, als gesetzliche Zeit die Sommerzeit zu verordnen, also eine Zeitskala, die gegenüber der normalerweise als gesetzliche Zeit dienenden Zeitskala um eine Stunde voraus ist. Die ursprünglich ganzjährig verwendete Zonenzeit ist dann nur noch im Winterhalbjahr die gesetzliche Zeit. In Deutschland ist das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie durch § 5 Einheiten- und Zeitgesetz ermächtigt, im Zeitraum vom 1. März bis 31. Oktober eines Jahres, z. B. zur Angleichung der Zeitzählung an die der Nachbarländer, in Abweichung von der Standardzeit MEZ = UTC+1 die Mitteleuropäische Sommerzeit MESZ = UTC+2 als gesetzliche Zeit zu verordnen.

Geschichtliche Übersicht

Die Einführung von für größere Gebiete geltenden Zeitskalen für das tägliche Leben geht in das 19. Jahrhundert zurück, als primär wegen des Ausbaus der Eisenbahnnetze die bis dahin üblichen Ortszeiten durch eine gemeinsame, zentral erfasste und verbreitete Zeitskala ersetzt werden mussten. Das amtliche Eich- und Vermessungswesen der Staaten wurde zusätzlich zu den Maßen und Gewichten auch für die Zeit zuständig.

Anfangs wurde die amtliche Zeit durch akustische (wie Uhrschlag, Kanonensignale) oder optische (Zeitball u. ä.) lokal weiterverteilt (Zeitvergleich, fachlich: Dissemination), später durch transportable hochgenaue geeichte Uhren für den landesweiten Uhrvergleich. Dann nutzte man zunehmend die Telegraphie oder das Telefon (Zeitansage). 1870 existierten in den USA mehr als 400 Eisenbahngesellschaften, die insgesamt mehr als 75 verschiedene railroad times verwendeten. In Frankreich besaß noch um 1880 jede Stadt ihre eigene, lokale, am Stand der Sonne ausgerichtete Zeit. 1884 wurde auf einer internationalen Meridiankonferenz in Washington mit Delegierten aus 25 Ländern eine verbindliche Weltzeit (standard time) eingeführt (seinerzeit die Greenwichzeit GMT), wie sie heute noch verwendet wird.[3] Sie ersetzte die vorher landesspezifischen Bezugspunkte und darauf aufbauend schuf man Zeitzonen. Damit wurden die Zonenzeiten amtliche Zeiten. Seit den 1900er Jahren gibt es funkgesteuerte Zeitsignale (Zeitzeichensender, anfangs primär für die Seeschifffahrt, dann auch für den Luftverkehr; siehe geschichtliche Entwicklung der Zeitübertragung per Funk); Zeitsignale wurden dann auch in Radio und Fernsehen übermittelt. Erst 1911 trat Frankreich dem universalen Zeitstandard von 1884 bei.[4]

Bis in die 1960er Jahre war die Weltzeit als Universal Time (UT) durch die Rotation der Erde definiert und wurde durch astronomische Messungen bestimmt. Wegen ihrer Unregelmäßigkeiten aufgrund von Rotationsschwankungen der Erde ging man in den 1960er Jahren auf Atomuhren über. Seit 1972 ist die Koordinierte Weltzeit (UTC) in Gebrauch, die durch Atomuhren realisiert wird, aber gelegentlich durch Schaltsekunden an die auf der Erdrotation basierende Weltzeit (UT) angepasst wird. Die nationalen amtlichen Zeitnormale bilden dabei einen Beitrag zur Ermittlung der internationalen UTC-Zeitskala. Seit den 1980er Jahren wird das amtliche Zeitsignal auch über das Internet verteilt (Zeitserver per ntp). Seit den 2000er Jahren ist auch GPS die allgemein übliche Zeitverteilung.[5] Bis heute ist die Ermittlung der gesetzlichen Zeit eine hoheitliche Aufgabe der Staaten.

Liste von amtlichen Zeiten

ZSamtliche Zeitskala
InstitutionZeitinstitute und andere zuständige Organisationen
NZamtliche Normalzeit – sortiert sich nach UTC±## (Genaueres siehe Liste der Zonenzeiten)
SZsaisonale Zeitumstellungen (Genaueres siehe Sommerzeit)
§§Rechtsgrundlage
seitGültigkeit der amtlichen Zeit seit
Quellenwichtigere Zeitdienste und Quellen des Zeitsignals(NTP)
Historisches(sortiert sich nach der ursprünglichen Einführung einer amtlichen Zeit)
LandZSInstitutionNZSZ§§seitQuellenHistorisches
weltweitUTCBureau International des Poids et Mesures (BIPM)UTC+0Norm: ITU-R TF.460-61972Meridiankonferenz 1884: GMT, 1928: UT
China Volksrepublik Volksrepublik ChinaUTC(NTSC)National Time Service Center (NTSC) [6]CST[7] (UTC+8, u. a.)?1949BPM (Sender Xi’an)1912 fünf Zeitzonen; in Aufbau: Beidou Time System (BDT)
Deutschland DeutschlandUTC(PTB)[8]Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB)MEZ (UTC+1)*Einheiten- und Zeitgesetz1978 (2008)DCF77 (Sender Mainflingen);
Tel 0180 4 100100; ptbtime1.ptb.de[9]
gesetzliche Zeit seit 1893[2]
Namibia NamibiaCATNST (UTC+2)Time Act20171994–2017 im Winter UTC+1, im Sommer UTC+2 jeweils als Standardzeit, vor 1994 und seit 2017 wieder ganzjährig UTC+2
Neuseeland NeuseelandUTC(MSL)[10]Measurement Standards Laboratory (MSL)NZST (UTC+12, u. a.)*Time Act1974Radio New Zealand: PIPS, Tel; msltime1.irl.cri.nz[10]1868 New Zealand Mean Time (NZMT, GMT+11:30), 1940/46 +12[11]
Osterreich ÖsterreichUTC(BEV)[12]Bundesamt für Eich- und Vermessungs­wesen (BEV)MEZ (UTC+1)*Zeit­zählungs­gesetz[13]1976Tel 0810 001503; bevtime1.metrologie.at[14]1910 in Wien:[15] Universitäts­sternwarte; Urania (bis 1952)
Schweiz SchweizUTC(CH)[16]Eidgenössisches Institut für Metrologie (METAS)MEZ (UTC+1)*Messgesetz[17]1980[18]Tel 161; ntp.metas.ch[19]1848 Berner Zeit, MEZ seit 1894;[20] HBG (Sender, 2011 eingest.)
kostenpflichtig
(NTP) bei Zeitservern, deren Namen eine «1» enthalten, gibt es meist einen oder mehrere weitere Adressen; diese sind hier nicht explizit aufgeführt

Literatur

  • Claude Audoin, Bernard Guinot: The Measurement of Time. Cambridge University Press, 2001.
  • Peter Rusterholz, Rupert R. Moser: Zeit: Zeitverständnis in Wissenschaft und Lebenswelt. Reihe Kulturhistorische Vorlesungen, Verlag Lang, 1997, ISBN 978-3-906759-07-4.

Einzelnachweise

  1. a b Korpusbelege DWDS-Kernkorpus (1900–1999). „gesetzliche Zeit“ (7 Treffer). Abgerufen am 26. Juni 2022.
     —  Korpusbelege DWDS-Kernkorpus (1900–1999). „bürgerliche Zeit“ (5 Treffer). Abgerufen am 26. Juni 2022.
     —  Korpusbelege DWDS-Kernkorpus (1900–1999). „amtliche Zeit“ (1 Treffer). Abgerufen am 26. Juni 2022.
  2. a b Darstellung der gesetzlichen Zeit. 19. Januar 2021, abgerufen am 16. März 2022: „Hiermit wird die alte Regelung aus dem Zeitgesetz von 1893 fortgeführt, nach der im Deutschen Reich die mittlere Sonnenzeit am 15. Grad östlicher Länge als einheitliche Zeit galt.“
  3. Jürgen Osterhammel: Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts. C. H. Beck. 2. Auflage der Sonderausgabe 2016. ISBN 978-3-406-61481-1, S. 119.
  4. Jürgen Osterhammel: Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts. C. H. Beck. 2. Auflage der Sonderausgabe 2016. ISBN 978-3-406-61481-1, S. 121.
  5. T. Schildknecht, G. Beutler, W. Gurtner, M. Rothacher: Towards sub-nanosecond GPS time transfer using geodetic processing technique. In: Proc. 4th European time and frequency forum, 1990, S. 335–346;
    P. Baeriswyl, T. Schildknecht, W. Gurtner, G. Beutler: Frequency and time transfer with geodetic GPS receivers. In: Proc.7th European time and frequency forum. 1993, S. 119–124.
  6. U.S. Naval Observatory: Timekeeping of NTSC in recent years (pdf, tycho.usno.navy.mil)
  7. China Standard Time; Beijing Time (北京时间)
  8. Darstellung der gesetzlichen Zeit, Koordinierte Weltzeitskala UTC, beide Physikalisch-Technische Bundesanstalt (ptb.de).
  9. Zeitsynchronisation von Rechnern mit Hilfe des „Network Time Protocol“ (NTP). ptbtime1.ptb.de, ptbtime2.ptb.de, ptbtime3.ptb.de. Physikalisch Technische Bundesanstalt, 14. November 2022, abgerufen am 16. November 2022.
  10. a b Time and Frequency Standards Services (Memento vom 19. Mai 2014 im Internet Archive), Measurement Standards Laboratory (msl.irl.cri.nz)
  11. Standard Time Act 1945
  12. Zeit und Frequenz im BEV (Memento des Originals vom 18. Mai 2014 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.metrologie.at. Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen (metrologie.at).
  13. Bundesgesetz vom 27. Jänner 1976 über die Zeitzählung (Zeitzählungsgesetz), StF: BGBl. Nr. 78/1976 (i.d.g.F. online, ris.bka);
    § 1. Darstellung der Maßeinheiten für die Zeit der Verordnung des Bundesamtes für Eich- und Vermessungswesen über die Darstellungsverfahren der gesetzlichen Maßeinheiten für die Zeit und Frequenz Amtsblatt für das Eichwesen Doppel-Nr. 3–4/2008 (pdf, bev.gv.at).
  14. auch bevtime2.metrologie.at, time.metrologie.at
  15. per Gemeinderatsbeschluss, eine explizite gesetzliche Festlegung erfolgte nicht; davor war die Wiener Zeit im k.u.k. Eisbahnwesen verbindlich, vor 1878 aber die Prager Zeit
  16. Zeit und Frequenz, Zeitskalen, beide Eidgenössisches Institut für Metrologie (metas.ch)
  17. Bundesgesetz über das Messwesen vom 17. Juni 2011, SR 941.20; Sommerzeitverordnung (admin.ch)
  18. ein erstes Gesetz war 1978 abgelehnt worden: Schweiz, 28. Mai 1978 : Zeitgesetz, Database and Search Engine for Direct Democracy, sudd.ch
  19. Zeitübertragungsdienste, Network Time Protocol (NTP), beide metas.ch
  20. Weisung des Berner Regierungsrats vom 18. Mai 1894, per 1. Juni; dem folgte dann die ganze Schweiz; siehe dazu: Jakob Messerli: Zeitsysteme. In: Historisches Lexikon der Schweiz. 25. Januar 2015, abgerufen am 13. Juni 2019.

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