Ambrogio Lorenzetti

Sog. Madonna di Vico l'Abate, 1319 (dat.), Tempera und Gold auf grundierter Holztafel, aus der Kirche Sant'Angelo, Vico l'Abate, Museum Giuliano Ghelli, San Casciano

Ambrogio Lorenzetti (* um 1290 in Siena; † um 1348 ebenda; lateinisch auch Ambrosius Laurentius) war ein vor allem in Siena und Florenz aktiver Maler. Ambrogio und sein Bruder Pietro Lorenzetti gehören zu den bekanntesten sienesischen Künstlern des Trecento.

Berühmt ist er insbesondere für seinen Freskenzyklus im Palazzo Pubblico in Siena, der in zum Teil allegorischer Form die Auswirkungen einer guten und der schlechten Regierung zeigt.

Biografie

Verkündigung, 1344, Tempera und Gold auf grundierter Holztafel, Pinacoteca Nazionale, Siena

Über Ambrogios Leben ist wenig bekannt. Sein frühestes datiertes Werk, die sogenannte Madonna von Vico l’Abate (bei San Casciano) von 1319, legt ein Geburtsdatum in den 1290er Jahren nahe.[1]

Ambrogio malte hauptsächlich Altarbilder und Fresken. Zu seinen Werken gehören mehrere große Maestà-Bilder, darunter der Altar für Massa Marittima, dessen Entstehungszeit auf etwa 1335 geschätzt wird,[2] und zwei weitere in Freskotechnik ausgeführte Gemälde in der Cappella di Montesiepi in Galgano und in der Kirche Sant’Agostino in Siena.[3] Die zuletzt genannte ist das einzige noch existierende Fragment eines großen Katharinenzyklus, ebenso wie ein nur bruchstückhaft erhaltener Freskenzyklus in Kreuzgang und Kapitelsaal der Kirche San Francesco (Siena). Beide wurden von dem Florentiner Künstler Lorenzo Ghiberti in seinen Commentarii beschrieben und bewundert, im Gegensatz zu den allegorischen Fresken im Palazzo Pubblico, die Ghiberti nur beiläufig erwähnt.[4]

Verloren sind Fresken eines Marienlebens an der Fassade des Hospitals von Santa Maria della Scala in Siena, die Ambrogio zusammen mit seinem Bruder Pietro malte und die der einzige Beweis für die Tatsache sind, dass es sich bei den beiden um Brüder handelte.[5]

Neben der Madonna di Vico l’Abate sind nur zwei spätere Arbeiten durch entsprechende Inschriften datiert: die Darbringung im Tempel von 1342 für eine Kapelle in der Kathedrale von Siena (heute in den Uffizien, Florenz) und die Verkündigung von 1344, die ursprünglich für den Palazzo Pubblico in Siena bestimmt war und sich heute in der Pinacoteca Nazionale, Siena, befindet.[1]

Am 9. Juni 1348 machte Ambrogio sein Testament für den Fall, dass er, seine Frau und die drei Töchter die zu dieser Zeit grassierende Pestepidemie nicht überleben sollten, und vermachte seinen Besitz der Compagnia della Vergine Maria von Siena. Da diese noch im selben Jahr verschiedene Besitztümer von Ambrogio veräußerte, geht die kunstwissenschaftliche Forschung davon aus, dass tatsächlich seine ganze Familie dem Schwarzen Tod zum Opfer fiel.[1]

Werke

Maestà, ca. 1335, Tempera und Gold auf grundierter Holztafel, Palazzo Comunale, Massa Marittima
  • Madonna von Vico l’Abate, 1319, ursprünglich für die Kirche Sant'Angelo in Vico Abate, heute im Museo Arcivescovile del Cestello, Florenz
  • Madonna del latte, Palazzo Arcivescovile, Siena
  • Madonna mit Kind und den Heiligen Magdalena und Dorothea (Teile eines Polyptychons der Hl. Maria Magdalena?), Pinacoteca Nazionale, Siena
  • Triptychon des Hl. Proklos, ca. 1332?, Uffizien, Florenz
  • Maestà, um 1335, Palazzo Comunale, Massa Marittima
  • Maestà und andere Fresken in der Cappella (oder Rotonda) von Montesiepi, 1334–1336
  • Martyrium des Franziskus bei Bombay, um 1336, Fresko in San Francesco, Siena
  • Maestà, um 1338, Fresko in Sant'Agostino, Siena (Teil eines verlorenen Katharinenzyklus)
  • Freskenzyklus in der Sala dei Nove im Palazzo Pubblico, Siena, 1338–1339
    • Allegorie der schlechten Regierung
    • Allegorie der guten Regierung
    • Auswirkungen der guten Regierung
  • Santa Petronilla, Altar, 1340
  • sog. kleine Maestà, um 1340, Pinacoteca Nazionale, Siena
  • Darbringung Christi im Tempel, 1342, Uffizien, Florenz
  • Verkündigung, 1344, urspr. im Palazzo Pubblico, jetzt in der Pinacoteca Nazionale, Siena
Triptychon des Hl. Proklos, ca. 1332 (?), Tempera und Gold auf grundierten Holztafeln, Uffizien, Florenz

Freskenzyklus in der Sala dei Nove des Palazzo Pubblico von Siena

1338 und 1339 schuf Ambrogio Lorenzetti an drei Wänden der Sala dei Nove im Palazzo Pubblico di Siena einen großen Freskenzyklus, der auf der Wand, die der Fensterseite gegenüberliegt, eine allegorische Darstellung der "guten Regierung" und auf der Wand links vom Betrachter der "schlechten Regierung" zeigt. An die Allegorien anschließend sind die Auswirkungen der "guten" und der "schlechten Regierung" auf Stadt und Land dargestellt.

Anders heute identifizierten Lorenzo Ghiberti[6] in seinen Commentarii (Mitte des 15. Jahrhunderts) und Giorgio Vasari in seinen Künstlerbiographien (1550 und 1568) die Wandbilder vereinfachend als Darstellungen des Friedens und des Krieges.[7] Die heute üblichen italienischen Bezeichnungen als "buon" bzw. "mal governo" gehen laut der Kunsthistorikerin Giulietta Chelazzi Dini auf den Kunsthistoriker Luigi Lanzi zurück,[8] der 1792 den Freskenzyklus als "Poem zur moralischen Erziehung" ("un poema d'insegnamenti morali") pries.[9] Die Geschichte der Rezeption der Fresken und des Wandels ihrer Bezeichnungen rekonstruiert das 1980 publizierte Buch von Edna C. Southard.[10]

Eine Interpretation der Bilder, die nicht nur Bezüge zur Göttlichen Komödie Dantes herstellt, sondern auch das republikanische Selbstbewusstsein der Regierung der Nove in Siena vor dem Hintergrund der (verklärten) Römischen Republik untersucht, liefert Dagmar Schmidt in ihrer Dissertation von 2003.[11] Die Kunsthistorikerin analysiert in ihrer Arbeit, in welchem Verhältnis die Texte auf den Bannern der einzelnen allegorischen Figuren zu der Bildgestaltung stehen. Diese Texte, gelegentlich auch als „Verslegenden“ bezeichnet,[12] hat Furio Brugnolo aus der Alltagssprache (italienisch volgare) des Trecento transkribiert.[13] Schmidt kommt zu dem Schluss: „Das Bild allein als Illustration der Verslegenden zu bezeichnen, würde die Ordnung der einzelnen Figuren untereinander vernachlässigen.“

Beiträge zu der Interpretation der Fresken leisteten auch Uta Feldges (1980)[14] und Max Seidel.[15] Nach Feldges' Auffassung ist Ambrogio Lorenzetti „die erste Landschaftsdarstellung der abendländischen Malerei [gelungen], die in naturalistischer Hinsicht voll überzeugend ist.“ Seine Fresken liefern hier ein zwar im Sinne der guten Regierung der Nove idealisiertes, aber durchaus topographisch korrektes Porträt der Stadt Siena und der von ihr kontrollierten Region.[16] Seidel kann durch die Analyse von Details und unter Hinzuziehung zeitgenössischer Quellen zur Wirtschaft im frühen Trecento in Siena zeigen, wie präzise Ambrogio Lorenzetti das Alltagsleben in Stadt und Land und das Staatsverständnis der Sieneser Oligarchie darstellt. Auch Seidel sieht in den Fresken die „mythologisch-astrologische Überhöhung einer politischen Doktrin“.

Der Schweizer Kulturwissenschaftler Jacob Burckhardt assoziierte bei der Betrachtung der Fresken Bezüge zu Homers Ekphrasis (Beschreibung) einer Darstellung auf dem von Hephaistos geschmiedeten Schild des Achill im XVIII. Gesang der Ilias. Burckhardt schränkt jedoch ausdrücklich ein, dass Ambrogio Lorenzetti sicherlich kaum „irgend eine auch nur mittelbare Kunde von Homer gehabt habe“.[17]

Ambrogios Allegorie der guten Regierung enthält auch die vermutlich erste Darstellung einer Sanduhr in der Hand der Temperantia,[18] einer der Kardinaltugenden, die in dieser Form wohl erst bei einer Restaurierung des Freskos durch Andrea Vanni in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts ergänzt wurde.[19]

Literatur

  • C. De Benedictis: Lorenzetti, Ambrogio. In: Dizionario dell'Arte medievale Band 7, Rom 1996, S. 878–884 (Onlineversion bei treccani.it)
  • Chiara Frugoni: Pietro and Ambrogio Lorenzetti. Scala Books, New York 1988, ISBN 0-935748-80-6.
  • Mechthild Modersohn: Lust auf Frieden. Brunetto Latini und die Fresken von Ambrogio Lorenzetti im Rathaus zu Siena. In: Andreas Köstler / Ernst Seidl (Hrsg.): Bildnis und Image. Das Portrait zwischen Intention und Rezeption. Böhlau, Köln 1998, ISBN 3-412-02698-0, S. 85–118.
  • Michela Becchis: Lorenzetti, Ambrogio. In: Mario Caravale (Hrsg.): Dizionario Biografico degli Italiani (DBI). Band 65: Levis–Lorenzetti. Istituto della Enciclopedia Italiana, Rom 2005.
  • Jacob Burckhardt: Die Kunst der Renaissance. Band I. Die Malerei nach Inhalt und Aufgaben. Aus dem Nachlaß herausgegeben von Marizio Ghelardi u. a. C. H. Beck. München. Schwabe.Basel. 2006, S. 351 (= Jacob Burckhardt: Werke. Kritische Gesamtausgabe. Band 16)
  • Patrick Boucheron: Gebannte Angst. Siena 1338. Essay über die politische Kraft der Bilder. Übers. Sarah Heurtier, Sebastian Wilde. Wolff, Berlin 2017, 2. Aufl. 2018 (Conjurer la peur. Sienne 1338. Essai sur la force politique des images. Seuil, Paris 2013, TB 2015)
  • Uta Feldges-Henning: The pictorial program of the Sala della Pace: A new interpretation. In: Journal of Warburg and Courtauld Institutes, Vol. 25, 1972, S. 145–162.
  • Enzo Carli: Ambrogio Lorenzetti. Fresken aus dem Palazzo Pubblico in Siena. Woldemar Klein Verlag, Baden-Baden 1956
  • Michael Kühr: Ambrogio Lorenzetti. Gute und schlechte Regierung. Eine Friedensvision. Bilder und Gedanken von Homer bis Dante. Ein Freskenzyklus im Palazzo Pubblico in Siena, A.D. 1338/1339. Studio buk, Mandelbachtal 2002, ISBN 3-00-010833-5; 2. Aufl. 2012 ISSN 2193-4487 (Eigenverlag, 60 Seiten)
  • Dagmar Schmidt: Der Freskenzyklus von Ambrogio Lorenzetti über die gute und die schlechte Regierung. Eine danteske Vision im Palazzo Pubblico von Siena. Interdisziplinäre Diss. Universität St. Gallen 2003 (Online; PDF; 1,6 MB).

Weblinks

Commons: Ambrogio Lorenzetti – Sammlung von Bildern

Einzelnachweise

  1. a b c Chiara Frugoni: Pietro e Ambrogio Lorenzetti (italienisch), Scala, Cinisello Balsamo (Mailand), 1988, S. 36.
  2. Chiara Frugoni: Pietro e Ambrogio Lorenzetti (italienisch), Scala, Cinisello Balsamo (Mailand), 1988, S. 47–48.
  3. Chiara Frugoni: Pietro e Ambrogio Lorenzetti (italienisch), Scala, Cinisello Balsamo (Mailand), 1988, S. 41–47.
  4. Chiara Frugoni: Pietro e Ambrogio Lorenzetti (italienisch), Scala, Cinisello Balsamo (Mailand), 1988, S. 36, 41 und 59–62
  5. Dies wurde 1649 von Ugurgieri Azzolini in Pompe senese überliefert, kurz vor der Zerstörung dieser Fresken. Chiara Frugoni: Pietro e Ambrogio Lorenzetti (italienisch), Scala, Cinisello Balsamo (Mailand), 1988, S. 3.
  6. Julius von Schlosser (Herausgeber): Lorenzo Ghibertis Denkwürdigkeiten (I Commentarii). Zum ersten Male nach der Handschrift der Biblioteca Nazionale in Florenz herausgegeben und erläutert von Julius von Schlosser. Im Verlag von Julius Bard. Berlin 1912. https://resources.warburg.sas.ac.uk/pdf/cnh955b2403138.pdf; hier Seite 41. Siehe auch die folgende Anmerkung.
  7. “Nel palagio di Siena è dipinto di sua mano la pace e‘lla guerra” – Im Palast von Siena ist der Frieden und der Krieg von seiner Hand gemalt.
  8. Giulietta Chelazzi Dini, Alessandro Angelini, Bernardino Sani: Sienesische Malerei. DuMont. Köln. 1997, S. 165
  9. In einer späteren Auflage: Luigi Antonio Lanzi: Storia pittorica della Italia: dal risorgimento delle belle arti fin presso al fine del XVIII secolo. Volume 1. Milano.1824, S. 382. https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/lanzi1824bd1/0407
  10. Edna Carter Southard: Ambrogio Lorenzetti's Frescoes in the Sala della Pace: A Change of Names. Mitteilungen des Kunsthistorischen Institutes in Florenz 24. Bd., H. 3 (1980), pp. 361–365
  11. Dagmar Schmidt. Der Freskenzyklus von Ambrogio Lorenzetti über die gute und die schlechte Regierung. Eine danteske Vision im Palazzo Pubblico von Siena. St. Gallen. 2003. https://docplayer.org/79295838-Der-freskenzyklus-von-ambrogio-lorenzetti-ueber-die-gute-und-die-schlechte-regierung.html.
  12. Dagmar Schmidt, Der Freskenzyklus von Ambrogio Lorenzetti über die gute und die schlechte Regierung. Eine danteske Vision im Palazzo Pubblico von Siena. St. Gallen. 2003. S, 130 ff. https://docplayer.org/79295838-Der-freskenzyklus-von-ambrogio-lorenzetti-ueber-die-gute-und-die-schlechte-regierung.html.
  13. Furio Brugnolo, Enrico Castelnuovo, Maria Monica Donato (1995): Ambrogio Lorenzetti : il Buon governo., Electa, Milano, 1995. S. 381 – 391. Siehe auch: http://casavacanze.poderesantapia.com/arte/ambrogiolorenzetti/allegoria_effettidelbuongovernoincampagna1canzone.htm und: https://moodle.unifr.ch/pluginfile.php/1001899/mod_resource/content/0/10.1%20Siena.pdf
  14. Uta Feldges, „Landschaft als topographisches Porträt. Der Wiederbeginn der europäischen Landschaftsmalerei in Siena.“Benteli Verlag. Bern, 1980
  15. Max Seidel. „Dolce Vita. Ambrogio Lorenzettis Porträt des Sieneser Staates.“ Schwabe & Co Verlag. Basel. 1999 = Vorträge der Aeneas-Silvius-Stiftung an der Universität Basel, XXXIII
  16. Uta Feldges, „Landschaft als topographisches Porträt. Der Wiederbeginn der europäischen Landschaftsmalerei in Siena.“Benteli Verlag. Bern, 1980. z. B. S. 113
  17. Jacob Burckhardt: Die Kunst der Renaissance. Band I. Die Malerei nach Inhalt und Aufgaben. Aus dem Nachlaß herausgegeben von Marizio Ghelardi u. a. C. H. Beck. München. Schwabe. Basel. 2006, S. 351 (= Jacob Burckhardt: Werke. Kritische Gesamtausgabe. Band 16)
  18. Chiara Frugoni: Pietro et Ambrogio Lorenzetti. S. 83.
  19. L. Bellosi: Buffalmacco e il trionfo della morte. Turin. 1974, S. 53–54.

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