Alstom Coradia LIREX
Alstom Coradia LIREX (Abk. LIREX für Leichter, innovativer Regionalexpress[1]) ist der Produktname einer Familie modularer, vollständig niederfluriger Nahverkehrs-Gliedertriebzüge des Herstellers Alstom Transport Deutschland, vormals Alstom LHB, Salzgitter, vormals Linke-Hofmann-Busch, Waggon-Fahrzeug-Maschinen GmbH.
Das erste Fahrzeug dieser Familie war der auf radial einstellenden Einzelradsatz-Fahrwerken fahrende Prototyp DB-Baureihe 618. Aus dem Konzept ist durch Fortentwicklung eine Familie von vollständig niederflurigen Triebzügen mit konventionellen Enddrehgestellen und Jakobs-Drehgestellen zwischen den Mittelwagen entstanden. Dabei wurde zuerst die für den Betrieb in nordischen Ländern geeignete Unterfamilie Coradia Nordic entwickelt und später daraus die Unterfamilie Coradia Continental für den Betrieb in Mitteleuropa abgeleitet. Allen Fahrzeugen gemeinsam ist die Anordnung nahezu aller Komponenten auf dem Fahrzeugdach.
Die Fahrzeuge sind zu mindestens 95 Prozent stofflich wiederverwertbar.
DB-Baureihe 618
| Alstom LHB Coradia LIREX DB-Baureihe 618 | |
|---|---|
DB 618 001/501 | |
| Nummerierung: | 618 001 + 619 001 + 619 101 + 619 601 + 619 501 + 618 501 |
| Baujahr(e): | 2000 |
| Achsformel: | A’1’A’A’+A’A’1’A’ |
| Länge: | 68.490 mm |
| Höhe: | 4500 mm |
| Breite: | 3042 mm |
| Leermasse: | 137 t[2] |
| Höchstgeschwindigkeit: | 160 km/h |
| Stundenleistung: | Dieselmotoren: 4×338 kW = 1352 kW Fahrmotoren: 6×190 kW = 1140 kW[2] |
| Bremse: | KE-R-A |
| Sitzplätze: | ca. 230–300 |
| Fußbodenhöhe: | 790 mm (Fahrgastraum) 550–760 mm (Eingangsbereich) |
| Besonderheiten: | Schwungradspeicher: Kapazität 2×6 kWh = 12 kWh, entspricht fast 32 Sekunden voller Antriebsleistung |
Die DB-Baureihe 618, vom Hersteller unter der Bezeichnung Alstom Coradia LIREX vermarktet, ist ein dieselelektrischer, modularer Triebzug in Leichtbauweise. Das Fahrzeug entstand in einem vom Land Sachsen-Anhalt geförderten Entwicklungsprojekt, an dem Alstom LHB, DB Regio, das Forschungs- und Technologiezentrum der DB AG (FTZ) München und die Nahverkehrsgesellschaft Sachsen-Anhalt beteiligt waren.[3] Das Fahrzeugkonzept sah vor, auch mit elektrischem Antrieb, Brennstoffzellenantrieb[3] oder Hybridantrieb ausgestattet werden zu können. Ziel war ein modularer Triebzug in Leichtbauweise, der als Erprobungsträger für neue Technik im Nahverkehr dienen sollte. Gefertigt wurde der Zug von der Fahrzeugtechnik Dessau.[2]
Geschichte
Einsatz
Der Öffentlichkeit vorgestellt wurde der Coradia LIREX auf dem Freigelände der Fachmesse InnoTrans im Jahr 2000. Anschließend folgten die Zulassungsfahrten, bei denen sich schrittweise an die Höchstgeschwindigkeit von 160 km/h herangetastet wurde. Noch vor Erlangung der Zulassung für den Regelbetrieb durch das Eisenbahn-Bundesamt wurden Publikumsfahrten zur Präsentation des Fahrzeugs durchgeführt. Bei diesen Fahrten war die Höchstgeschwindigkeit allerdings auf 60 km/h beschränkt.[3]
Ein Planeinsatz sollte zunächst auf der Strecke Thale–Quedlinburg–Magdeburg stattfinden, erfolgte dann aber zwischen Magdeburg und Wittenberge als Regionalexpress. Der erste Zug fuhr sogar bis Ludwigslust, um einen ICE-Anschluss zu realisieren. Nach einjährigem Planeinsatz sollte das Vorführfahrzeug beim Hersteller Alstom LHB von der Dieselversion in die Elektroversion umgebaut werden. Hierbei sollte eine neuartige Fahrstromversorgung („eTransformer“) auf der Basis von Leistungselektronik, ähnlich einem Schaltnetzteil, zum Einsatz kommen. Dieser Umbau hat jedoch nie stattgefunden. Ende Juni 2006 wurde das Fahrzeug durch die Deutsche Bahn z-gestellt. 2008 befand sich der Zug in Delitzsch auf dem Gelände von EuroMaint.
Verbleib
Am 25. August 2016 wurde das Fahrzeug in die Liste des VDMT zum Verkauf gegen Gebot aufgenommen.[4] Das Fahrzeug befindet sich 2023 als nicht mehr betriebsfähiges Museumsobjekt bei Alstom in Salzgitter-Watenstedt.[5]
Technik
Zusammenstellung und Wagenkästen

Der sechsteilige Triebzug setzt sich aus zwei identischen Hälften zusammen. Jede dieser Hälften besteht aus einem zweiachsigen Mittelwagen (M), auf den sich beiderseits nach dem Deichselprinzip der einachsige Mittelwagen (B) und der Endwagen mit Führerstand (A) abstützen. Fast die gesamte Antriebstechnik ist auf den Wagendächern angeordnet. In Kombination mit den verwendeten kurvengesteuerten Einzelradfahrwerke (KERF) konnte bei einer Fußbodenhöhe von 760 mm[3] ein Niederfluranteil von 100 Prozent erreicht werden – das Fahrzeug ist durchgängig barrierefrei erreichbar und durchquerbar. Die Wageneinheiten sind mit einer Länge von 12 m vergleichsweise kurz. Dies ermöglicht unter Einhaltung des gegebenen Lichtraumprofils eine außergewöhnlich hohe Breite von 3,042 m. In späteren Serienfahrzeugen hätten sich bei dieser Wagenkastenbreite fünf Sitze in einer Reihe unterbringen lassen, ohne die Breite des Mittelgangs (angegeben mit 680 mm) gegenüber herkömmlichen Fahrzeugen zu verringern. Beim Prototypfahrzeug wurde von dieser Möglichkeit allerdings kein Gebrauch gemacht – hier wurden nicht mehr als vier Sitze in einer Reihe untergebracht. Zur Demonstration zukünftiger Möglichkeiten im Schienennahverkehr wurde dieses Einzelstück mit verschiedenen „Sitzlandschaften“ mit den Bezeichnungen „Markt“, „Kommunikation“, „Ruhe“ und „Panorama“ sowie einiger Unterhaltungselektronik bestückt,[3] vergleichbar mit dem DB-Innovationszug.
Fahrwerkstechnik
Als Fahrwerke werden kurvengesteuerte Einzelradfahrwerke (KERF) eingesetzt, die in ähnlicher Form bereits bei der S-Bahn Kopenhagen zum Einsatz kamen. Fahrwerke dieser Bauform verfügen über keine durchgehende Radsatzwelle, stattdessen können sich linkes und rechtes Rad einer Achse unabhängig voneinander drehen. Befährt das Fahrzeug einen Gleisbogen, stellt sich ein Knickwinkel zwischen zwei Wagenkästen ein, der rein mechanisch eine radiale Einstellung des Fahrwerks in Gleisbögen bewirkt. Dadurch werden die Anlaufwinkel zwischen Rad und Schiene minimiert und somit Spurkranz- sowie Schienenverschleiß reduziert.[3]
Das Fahrwerkskonzept brachte jedoch einen entscheidenden Nachteil mit sich: Die Fahrwerke der zweiachsigen Mittelwagen (M) mussten sowohl das Gewicht ihres eigenen Wagens als auch einen Teil der Masse der benachbarten, aufgesattelten Wagen A und B tragen. Aus diesem Grund betrug die Achslast dieser Fahrwerke etwa 20 t. In Gesprächen mit potentiellen Kunden stellte sich heraus, dass dieser Wert außerhalb von gut ausgebauten Hauptstrecken als zu hoch angesehen wurde. Für eine Serienversion des Coradia LIREX plante Alstom daher die Verwendung herkömmlicher Jakobsdrehgestelle. Lediglich das erste und letzte Fahrwerk eines Zuges wären als KERF ausgeführt worden.[3]
Antriebstechnik
Der Coradia LIREX verfügt über einen dieselelektrischen Antriebsstrang. Das Fahrzeug wird durch sechs wassergekühlte, umrichtergesteuerte Drehstrom-Asynchronmotoren über Zweistufengetriebe angetrieben. Die Fahrmotoren sind samt den Getrieben direkt an den Einzelradfahrwerken angeordnet. Die Energie für den Betrieb der Elektromotoren wird durch vier Dieselgeneratoren bereitgestellt, die mit der Gleichstrom-Zwischenkreiseinspeisung der Fahrmotor-Umrichter verbunden sind. Die Dieselgeneratoren wurden eigens für den Coradia LIREX neu entwickelt. Es handelt sich um besonders kleine permanentmagneterregte Maschinen, die nach Angaben des Herstellers etwa 50 Prozent leichter als vergleichbare Dieselgeneratoren sind.[3]
Die Fahrzeugkonzeption sah vor, eine Dieselgeneratoranlage durch ein Modul mit Stromabnehmer und Transformator oder durch eine Brennstoffzelle zu ersetzen.[3]
Die als Fahrmotor verwendeten Drehstrom-Asynchronmaschinen bieten die Möglichkeit einer elektrischen Betriebsbremsung, indem vom Motorbetrieb in den Generatorbetrieb umgeschaltet wird. Die rekuperierte Energie muss jedoch, sofern sie nicht durch Dissipation in Wärme umgewandelt werden soll, rückgespeist oder zwischengespeichert werden. Für den projektierten Betrieb als elektrisches Fahrzeug wäre auch die Bremsstromrückspeisung möglich gewesen. Für die dieselelektrische Variante wurde zur Zwischenspeicherung der rekuperierten Energie die Ausrüstung mit einem Schwungradspeicher vorgesehen.
Coradia Nordic

Aus dem Erfahrungen mit der BR 618 wurde die Unterfamilie Coradia Nordic abgeleitet. Als erste Serienfahrzeuge der LIREX-Familie entstanden 71 sechsteilige elektrische Triebzüge des Typs X60 für AB Storstockholms Lokaltrafik (SL). Die X60 der SL sind 107,1 m lang und werden im S-Bahn-artigen Verkehr von Stockholms pendeltåg eingesetzt. Sie besitzen 374 Sitzplätze und 530 Stehplätze. Später wurden aus dem X60 die vierteiligen Bauarten X61 und X62 für den Regionalverkehr abgeleitet.
Die Fahrzeuge werden in Salzgitter hergestellt. Unter den Zulieferern sind SMA (Niestetal) für die Hilfsbetriebeumrichter, Faiveley Transport Leipzig (ehemals HAGENUK – Hanseatische Apparatebaugesellschaft Neufeldt und Kuhnke) bzw. MAB (Maschinen- und Apparatebau) (Schkeuditz) für die Klimaanlagen der Fahrgasträume und Fahrerräume sowie Faiveley Transport für die Bremsausrüstung, KNORR-Frensistemi (Florenz) oder BFG (Bahrain) für die Toiletten und die Franz Kiel GmbH & Co. KG (Nördlingen) für die Fahrgastsitze.
Coradia Continental

Die Coradia Continental wurden aus den Coradia Nordic abgeleitet. Von den für Schweden gefertigten Coradia Nordic unterscheiden sich diese Fahrzeuge durch einen neuen, dem deutschen Umgrenzungsprofil angepassten Wagenkasten mit geraden Seitenwänden.
Die Front der bisher bestellten Fahrzeuge ist kürzer, da diese ohne Crashverzehrelemente ausgeführt werden. Auf Kundenwunsch sind auch keine seitlichen Führerstandstüren vorhanden, anders als bei den Coradia Nordic.
Die Fahrzeuge werden mit vom X60 entsprechend den Einsatzbedingungen in Deutschland adaptierten Modulkomponenten ausgestattet. So haben die Klimaanlagen mehr Kühl- und weniger Heizleistung.
Aufträge wurden erteilt von der DB Regio AG, BeNEX und der NordWestBahn.
Die ersten Fahrzeuge sollten ab Dezember 2008 von der DB Regio AG im E-Netz Augsburg als Fugger-Express eingesetzt werden. Hierbei kam es zu Verzögerungen, so dass das ursprünglich geplante Flügelkonzept erst ab Dezember 2009 umgesetzt wurde.
Seit Dezember 2010 werden weitere Züge von der NordWestBahn auf der Regio-S-Bahn Bremen/Niedersachsen sowie von agilis im Netz Regensburger Stern eingesetzt.
Seit Dezember 2014 werden Züge der Baureihe 1440 auf der Linie S5/8 der S-Bahn Rhein-Ruhr eingesetzt. Diese weisen neue Crashverzehrelemente auf.
Ab Dezember 2015 sollen neue Züge im Elektro-Netz Niedersachsen-Ost und ab Juni 2016 im Elektro-Netz Mittelsachsen II eingesetzt werden. Diese Züge weisen seitliche Führerstandstüren auf.
Seit Dezember 2019 werden auf der Breisgau-S-Bahn auch größtenteils Züge der Baureihe 1440 eingesetzt.
Einsätze in Rheinland-Pfalz erfolgen durch die Hessische Landesbahn[6] und die DB Regio Mitte, die diese Fahrzeuge auch im Saarland einsetzt.[7][8]
Coradia Polyvalent
Im Herbst 2009 hat Alstom die Ausschreibung der SNCF für eine neue Generation von Regionalzügen gewonnen. Die neuen Züge mit Produktnamen Coradia Polyvalent (Régiolis) wurden auf Basis der Coradia Nordic und Coradia Continental entwickelt. Die Triebzüge werden im Alstom-Werk im französischen Reichshoffen hergestellt.
Die Triebzüge sind vielseitig konfigurierbar. Neben Mehrsystemvarianten gibt es Zweikrafttriebzüge. Die Regiolis werden als drei-, vier- oder sechsteilige Gliederzüge mit 56 m, 72 m oder 110 m Länge ausgeliefert.[9] Exporterfolge konnte Alstom in Algerien und Senegal erzielen.
Literatur
- LIREX – der leichte, innovative Regional-Express. In: Eisenbahn-Revue International, Heft 11/2000, ISSN 1421-2811, S. 502–504.
- LIREX zwischen Innovationsträger und modernem Zugkonzept. In: Eisenbahn-Revue International, Heft 10/2001, ISSN 1421-2811, S. 458 f.
Einzelnachweise
- ↑ Nagelneue Triebzüge mit großem Sitzplatz-Angebot. In: DB Welt, Ausgabe März 2008, S. 14
- ↑ a b c Jan Asshauer: Innovativ und verspielt. In: eisenbahn magazin. Nr. 11/2000, 2000, S. 20–21.
- ↑ a b c d e f g h i Christoph Müller: Lirex – eine Evolution im Nahverkehr? Vom Experimentalzug zum Serienzug Coradia-Lirex. In: EI – Der Eisenbahningenieur. Band 52, Nr. 11, 2001, S. 60–62.
- ↑ Such- und Angebotsliste vom 12. Oktober 2016. (PDF) Archiviert vom (nicht mehr online verfügbar) am 23. September 2016; abgerufen am 19. Oktober 2016.
- ↑ Langsamfahrt: #41 – der LIREX, Baureihe 618. 25. Mai 2023, abgerufen am 30. August 2023.
- ↑ Kurz vor dem Bahnhof "Römisches Theater" ist hier am 28.6.2024 der HLB ET 147 in Richtung Mainz Hauptbahnhof unterwegs - Bahnbilder.de. Abgerufen am 2. November 2024.
- ↑ Am 25.07.2024 durchfährt der 1440 010 im Süwex-Outfit Neef an der Mosel - Bahnbilder.de. Abgerufen am 2. November 2024.
- ↑ Nachschuss auf 1440 010 als RB71 nach Trier bei der Ausfahrt in Völklingen - Bahnbilder.de. Abgerufen am 2. November 2024.
- ↑ en Alstom Pressemitteilung, 27. Oktober 2009: SNCF awards Alstom a contract worth €800 million for the supply of 100 Coradia Polyvalent regional trains
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ein Bild des 618 Lirex in Magdeburg.
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Bild des 618 Lirex in Magdeburg. Vom mir aufgenommen in Magdeburg in der Abstellung. Aufgenommen von Marian Szengel.
