Toravorlesung

Toravorlesung

Die Toravorlesung[1] (hebräisch קְרִיאַת הַתּוֹרָהKriat haTora) ist der zentrale Teil des jüdischen Gottesdienstes und besteht aus unterschiedlichen Abschnitten mit Gebeten und Handlungen. Sie beginnt mit dem Ausheben der Tora aus dem Toraschrein, worauf die eigentliche Vorlesung des Wochenabschnitts und eventueller Zusatzabschnitte an Feiertagen folgt, und endet mit dem abschließenden Einheben der Tora.[2]

Alijah laTorah

Levantar, sephardisch
Birchot haTora – Vor-Beracha

Im Talmud ist festgelegt, dass die Tora öffentlich vorgelesen werden soll. Die Rabbiner erweiterten diese religiöse Pflicht auf wöchentliche Lesungen am Schabbat und später auch an den Markttagen Montag und Donnerstag. Als Alijah laTorah (hebr. עליה לתורה, kurz Alijah) wird im Judentum das Lesen eines Toraabschnitts in der Synagoge bezeichnet. Alijah (hebräisch עליה, Plural Alijot) bedeutet Aufstieg, Aufruf.

Ursprünglich durften Männer, Frauen und Kinder einen Aufruf zur Tora erhalten. In der tannaitischen Zeit (1./2. Jahrhundert) wurde dies jedoch abgeschafft und festgelegt, dass nur Männer nach der Bar Mitzwa aufgerufen werden dürfen. Viele nichtorthodoxe Gemeinden haben diese Einschränkung im Zuge der Gleichstellung der Frau in allen religiösen Bereichen aufgehoben und rufen auch Frauen zur Tora auf.

Der Mischna folgend wird in orthodoxen und manchen konservativen Gemeinden gemäß einer Rangliste aufgerufen, zunächst ein Kohen, dann ein Levi und schließlich ein „Israel“. Ist kein Levi anwesend, so soll an seiner Stelle ein bereits aufgerufener Kohen erneut aufgerufen werden („Kohen bimqom Levi“). Ist jedoch kein Kohen da, so kann an seiner Stelle entweder ein Levi oder ein Israel aufgerufen werden, meist derjenige mit der größten Torakenntnis. Wurde ein Israel anstelle eines Kohen aufgerufen, so darf als Zweiter kein Levi mehr folgen.[3]

In Reformgemeinden, die die besondere Stellung der Kohanim, die sich aus dem Tempelkult ergibt, ablehnen und die ununterbrochene Vererbungslinie der Kohanim seit der Tempelzerstörung anzweifeln, gibt es diese Regeln nicht mehr. Diejenigen, die eine Alija erhalten haben, werden vom גבאיGabbai (Vorsteher) entweder mit Namen oder mit ihrer Rangfolge („fünfte/r“, „sechste/r“) aufgerufen. Wer zur Tora aufgerufen wird, tritt in einen Tallit (Gebetsschal) gehüllt zum Vorlesepult, berührt die Tora mit den Zizit und spricht die Brachot (Segenssprüche) vor der Lesung. Im Anschluss daran folgt die Toralesung, deren Mindestmaß bei drei Versen liegt, wobei kein Absatz mit einem für Israel unheilvollen Inhalt beginnen oder abschließen darf.

Ursprünglich las der Aufgerufene seinen Abschnitt selbst, etwa seit dem 13. Jahrhundert übernimmt diese Aufgabe ein sog. Ba'al Qore oder Ba'al Qeri'a (Meister der Lesung), ein professioneller Tora-Leser, der den Abschnitt mit den aus dem Mittelalter überlieferten Teamim, dem sogenannten Tropp, vorträgt.

Der „Aufruf“ (jiddisch אויפרוף oifruf) ist ein aschkenasischer Brauch, bei dem ein Bräutigam in der Synagoge zu einer Tora-Lesung aufgerufen wird. Die Aufruf-Zeremonie findet typischerweise am Schabbat vor der jüdischen Hochzeit (Chuppa) statt. Er kann aber auch montags oder donnerstags, an denen ebenfalls aus der Tora vorgelesen wird, stattfinden. Der Schabbat heißt dabei Schabbat Chatan hebräisch שבת חתן, „Schabbat des Bräutigams“.

Ablauf

Toraschrein mit Torarollen. Sie stellen das „Vermögen“ der Synagoge dar.
Bima (Gebetstisch) mit dem geschlossenen Toraschrein im Hintergrund

Die Tora-Schriftrolle befindet sich in einem Toraschrein, der als heilige Arche (Aron Kodesch) bezeichnet wird. Die Heilige Arche befindet sich normalerweise vor dem Heiligtum und ist ein zentrales Element der Synagogenarchitektur. Bei den Aschkenasim ist die Bima, ein Gebetstisch, traditionell im Zentrum der Synagoge situiert. Bei den Sephardim wird das Lesepult Tevah (תֵּבָה) genannt und befindet sich traditionell an der dem Toraschrein gegenüberliegenden Seite des Synagogenraums. Bei den Sephardim leitet der Vorbeter den Gottesdienst von der Tevah, bei den Aschkenasim vom Amud. Wenn das Vorlesen aus der Tora ansteht, wird die Tora von jemandem aus der Arche entfernt, der aus den Anwesenden für diese Ehre ausgewählt wurde. Bestimmte Gebete werden rezitiert, wenn sie herausgehoben wird. Die Tora wird dann von demjenigen zur Bima getragen, der den Gottesdienste leitet – einer Plattform oder einem Tisch, von dem aus sie vorgelesen wird; Weitere Gebete werden während dessen von der Gemeinde rezitiert.

In der sephardischen Tradition wird die Tora vor der Toravorlesung angehoben. Dies wird als Levantar (hebräisch לֶבַנְטר) bezeichnet. Zudem werden die Birchot haTora (hebräisch בִּרְכוֹת הַתּוֹרָה) – Segenssprüche für Alijah laTorah – vorgetragen. Es ist der einleitende Segensspruch, die Vor-Bracha. Der zur Lesung aufgerufene Oleh (hebräisch עוֹלֶה) sagt mehrere Segenssprüche.

Wenn ein Teil gelesen worden ist, tritt der Vorbeter vom Tisch zurück. Der Oleh nimmt seinen Platz am Tisch vor der offenen Schriftrolle ein. Der anstehende Vers wird ihm angezeigt. Er kann die Schriftrolle küssen (normalerweise indem er die Ecke seines Gebetsschals küsst und mit diesem dann den Rand der Schriftrolle – nicht die Schrift – berührt). Während er die Segnungen rezitiert, hält er beide Griffe der Schriftrolle, und wenn die eigentliche Schriftrollenlesung von jemand anderem durchgeführt wird, tritt der Oleh zur Seite, hält aber weiterhin mit einer Hand einen der Griffe der Schriftrolle fest.

Segenssprüche vor der Toravorlesung

Der Aufgerufene sagt
HebräischTransliterationÜbersetzung
בָּרֲכוּ אֶת־יהוה הֵמבוֹרָךְBarachu et-Adonai ha-Meworach.Segnet Gott, den gesegnet werdenden![4]
Die Gemeinde antwortet
HebräischTransliterationÜbersetzung
בּרוּךְ יהוה הֵמבוֹרָךְ לְעוֹלָם וָעֶדBaruch Adonai ha-Meworach l’olam Wa’ed.Gesegnet sei Gott, der gesegnet werdende, in aller Ewigkeit.

Während der Toravorlesung

Der jeweilige Abschnitt ist nach seiner Sidra (סדרא, auch: Parascha פרשה) benannt (siehe Liste der Wochenabschnitte). Während der Toravorlesung trägt der Vorbeter die jeweilige Parascha in der entsprechenden Cantillation (טעמיםTeamim, Betonung) laut vor.[5] Der zur Toralesung Aufgerufene Oleh liest leise mit. Bei einer Bar Mitzwa eines Jungen (in Reformgemeinden auch bei der Bat Mitzwa eines Mädchens) wird jedoch der Abschnitt von den Betroffenen selbst laut vorgelesen, den sie zuvor wochen- bis monatelang mit einem Toralehrer – einschließlich der zugehörigen Melodie – geübt haben. Der Oleh wiederholt anschließend den Segen, der von der Gemeinde gesprochen wurde.

Segenssprüche nach der Toravorlesung

Nach der Toravorlesung werden erneut die Birchot haTora (hebräisch בִּרְכוֹת הַתּוֹרָה) – Segenssprüche für Alija laTora – vorgetragen. Es ist nun der abschließende Segensspruch, die Nach-Bracha:

Der Aufgerufene sagt
HebräischTransliterationÜbersetzung
בּרוּךְ אַתָּה יהוה אֱלֹהֵינוּ מֶלֶךְ הָעוֹלָם׃ \ אֲשֶׁר נָתַן־לָנוּ תּוֹרַת אֱמֶת׃ \ וְחַיֵי עוֹלָם נָטֵע בְּתוֹכֵנוּ׃ \ בָּרוּךְ אַתָּה יהוה נוֹתֵן הַתּוֹרָהBaruch atah Adonai, Elohejnu melech ha’olam. / Ascher natan-lanu Torat emet. / We’chaiej olam nate be-Tochenu. / Baruch ata Adonai, noten ha-torah.Gesegnet seist Du, Gott unser Gott, König der Welt, / der uns die Lehre der Wahrheit gegeben / und das ewige Leben in unsere Mitte gepflanzt, / gesegnet seist du, Gott, Geber der Lehre.[4]

Nach der Toravorlesung betet der Vorbeter das Halbe Kaddisch, auch Chatzi Kaddisch (hebräisch חֲצִי קַדִּישׁ) oder (hebräisch קַדִּישׁ לְעֵילָא) genannt. Anschließend wird die Torarolle durch den מגביהMagbiah („Heber“) emporgehoben. Das Emporheben der Tora wird als Hagbaha (הַגְבָּהָה) beschrieben. Die Gemeinde spricht:[6]

Die Gemeinde spricht[7]
HebräischTransliterationÜbersetzung
וְזֹאת הַתּוֹרָה אֲשֶׁר שָׂם מֹשֶׁה לִפְנֵי בְּנֵי יִשְׂרָאֵל, עַל-פִּי יְהוָה בְּיַד-מֹשֶׁה
עֵץ-חַיִּים הִיא לַמַּחֲזִיקִים בָּהּ וְתֹמְכֶיהָ מְאֻשָּׁר. דְּרָכֶיהָ דַרְכֵי-נֹעַם וְכָל-נְתִיבוֹתֶיהָ שָׁלוֹם. אֹרֶךְ יָמִים בִּימִינָהּ בִּשְׂמֹאולָהּ עֹשֶׁר וְכָבוֹד׃
We-sot hat-tora ascher sam mosche lifneij bneij Jisrael, al pi Adonai be-jad mosche.
Etz chaim hi la-machasikim ba we-tomcheja me’uschar. deracheja darchej noam we-chol netiwotejah schalom. Orech jamim bimina bi-smola oscher we-chawod.
Und dies ist die Lehre, welche Mosche niedergelegt hat vor Jisraels Söhnen, auf Gottes Ausspruch durch Mosche.
Ein Baum des Lebens ist sie denen, die sich an ihr halten, und die sie festigen sind ein beglückter Kreis. Wege der Anmut sind ihre Wege und alle ihre Pfade Frieden. Lebensdauer ist in ihrer Rechten, in ihrer Linken Reichthum und Ehre. Gott will es um seiner Gerechtigkeit willen, daß er der Lehre immer mehr Größe und Herrlichkeit verleiht.[4]

Zusätze

Der Birkat haGomel (hebräisch בִּרְכַּת הַגּוֹמֵל, Segensspruch des Gomel) erfolgt, wenn sich der Aufgerufene vor kurzem in Todesgefahr befunden hat, so bei schwerer Krankheit, Operation, im Flugzeug oder in Gefangenschaft.

Einrollen der Tora

In der aschkenasischen Tradition erfolgt das Emporgeben der Tora nach dem Lesen und wird Hagbahah genannt. Der Magbiah („Heber“) hebt die Tora in die Höhe und zeigt den Text für alle sichtbar an, während der Golel („Roller“) die Tora mit der Mappa umwickelt. Dieser Vorgang wird als Gelila (גְּלִילָה) beschrieben. Die umhüllte Torarolle wird nun mit dem Toramantel, Rimonim (Krone) und dem Torazeiger versehen. In konservativen, reform-, rekonstruktivistischen und einigen modern-orthodoxen Gemeinden können diese Aufgaben auch von einer Frau ausgeübt werden. Die Bezeichnungen für Frauen sind „Magbihah“ bzw. „Golellet“.

Nach dem Kaddisch – an Tagen, an denen aus einem Buch der Nevi’im (Propheten) vorgelesen wird, – erhält der Maftir (hebräisch מַפְטִיר) eine letzte Alija laTora, so am Schabbat und an Feiertagen sowie an den Nachmittagen von Fasttagen.

Bevor die Tora zurück in den Toraschrein gebracht wird, schließt die Toravorlesung mit der Haftara (hebräisch הַפְטָרָה), einer Lesung aus einem Buch der Nevi’im, ab.

Beim Zurückbringen in den Toraschrein

Beim Einheben der Tora in den Schrein wird folgendes Gebet gesprochen:

Einheben der Tora
HebräischTransliterationÜbersetzung
יְהַלְלוּ אֶת-שֵׁם יְהוָה כִּי-נִשְׂגָּב שְׁמוֹ לְבַדּוֹ הוֹדוֹ עַל-אֶרֶץ וְשָׁמָיִם וַיָּרֶם קֶרֶן לְעַמּוֹ, תְּהִלָּה לְכָל-חֲסִידָיו, לִבְנֵי יִשְׂרָאֵל, עַם קְרֹבו הַלְלוּ־יָהּJehallelu et-schem Adonai ki nischgaw schemo lewado hodu al eretz we-schamim wa-jarem keren le-amo, tehila le-chol-chasidaw liwneji jisrael, ahm krowo, hallaluja.Spreche man den Namen Gott in Thatenlob aus, daß sein Namen allein hocherhaben, seine Majestät über Erde und Himmel sei! Wenn er seinem Volke das Horn erhob, ist es Thatenlob für alle Ihm in Liebe sich hingebenden, Jisraels Söhnen nur als dem ihm von je nahen Volke, Hallaluja.[4]

Siehe auch

Andere Religionen

Weblinks

Commons: Alijah laTorah – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Commons: Hagbah and Glila – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Commons: Haftarah – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Literatur

  • Alexander Marx, Amram ben Sheshna: Untersuchungen zum Siddur des Gaon R[av] Amram [ca. 875] (עמרם בן ששנה). M. Poppelauer, Berlin 1908, OCLC 27391588.
  • Kerry M. Olitzky, Marc Lee Raphael: An encyclopedia of American synagogue ritual. Greenwood Press, Westport 2000, OCLC 42752822.
  • Macy Nulman: The encyclopedia of Jewish prayer: Ashkenazic and Sephardic rites. Jason Aronson, Northvale (N.J.) 1993, s. v. Birkat Hatorah, OCLC 26720618, S. 106.
  • Samson Raphael Hirsch: Siddûr tefillôt Yiśrāʾēl, Israels Gebete. hebräisch סִדּוּר תְּפִלּוֹת יִשְׂרָאֵל. I. Kauffmann, Frankfurt a. M. 1921, OCLC 18389019 (archive.org [abgerufen am 23. Mai 2018]).
  • Joel B. Wolowelsky: On Kohanim and Uncommon Aliyyot. In: Tradition. 39, no. 2, Human Sciences Press, New York 2006, OCLC 108964033, S. 59–65.
  • Gidon Rothstein: Women’s Aliyyot in Contemporary Synagogues. In: Tradition. 39, no. 2, Human Sciences Press, New York 2006, OCLC 108964028, S. 36–58.
  • Joseph H. Hertz: The authorised daily prayer book. Bloch Publications, New York 1955, OCLC 13326700, S. 486.
  • Nosson Scherman, Meir Zlotowitz, Sheah Brander: The complete ArtScroll Siddur: weekday, Sabbath, festival: nusach Ashkenaz. Mesorah Publications, Brooklyn 1987, OCLC 471780387, S. 1041 (Laws of Prayer, Nr. 103–104)
  • Adin-Even Israel (Steinsalz): A guide to Jewish prayer. Schocken Books, New York 2000, OCLC 43589085, S. 259.
  • Bernard S. Jacobson: The Sabbath service: an exposition and analysis of its structure, contents, language and ideas. „Sinai“ Publications, Tel Aviv 1981, OCLC 8247881, S. 264.
  • Israelitische Cultusgemeinde Zürich (Hrsg.): Siddur schma kolenu. Verlag Morascha, Basel 2011, OCLC 884483697 (Übersetzung von Joseph Scheuer, Textbearbeitung Albert Richter, Redaktion und Konzept Edouard Selig).
  • Ze’ev Greenwald: Shaarei halachah: a summary of laws for Jewish living. Feldheim Publications, New York 2000, OCLC 45603980, S. 76–77.

Einzelnachweise

  1. Siddur schma kolenu. Basel 2011, S. 80 [Toravorlesung].
  2. Jonathan Grünfeldt: Die öffentliche Torahlesung. 8. Dezember 2013 – 5 Tevet 5774, auf talmud de [1]
  3. Beschrieben z. B. bei Salomon Ganzfried: Kizzur Schulchan Aruch (1864), Jüdische Gesetze und Bräuche. Hebräisch punktierter Text mit deutscher Übersetzung von Selig Bamberger, Victor Goldschmidt Verlag, 7. Auflage, Basel 2001, ISBN 3-85705-006-3, Band I, S. 124–135 (Kapitel 23)
  4. a b c d Samson Raphael Hirsch: Siddûr tefillôt Yiśrāʾēl, Israels Gebete. S. 186f.
  5. Siddur schma kolenu. Basel 2011, S. 80, 81ff. [Toravorlesung].
  6. Siddur schma kolenu. Basel 2011, S. 81 [Toravorlesung].
  7. Siddur schma kolenu. Basel 2011, S. 81 [Toravorlesung].

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