Abou-Chaker-Clan

Abou-Chaker-Clan (auch Abou-Chaker-Familie) ist die Bezeichnung von Ermittlungsbehörden und einigen Medien für eine Gruppe meist männlicher Angehöriger des palästinensischstämmigen Familienverbandes Abou-Chaker, der v. a. in Berlin und dem Libanon ansässig ist. Nach Schätzung der Polizei leben vermutlich 200 bis 300 Mitglieder der Großfamilie in Berlin.[1] Teile der Familie gehören zur organisierten Kriminalität. Mitglieder betreiben Schutzgelderpressungen, Drogen- und Waffenhandel, Geldwäsche, Raubüberfälle, Diebstähle und Zuhälterei und sind auffällig bei Gewalt- und Körperverletzungsdelikten.[2][3]

Familienmitglieder (Auswahl)

Der Clan geht zurück auf Said und Nazmie Abou-Chaker, die im palästinensischen Flüchtlingslager Wavel, in der Nähe der Stadt Baalbek (Libanon), geboren wurden. Mitte der 1970er Jahre flohen sie mit den ersten vier Kindern vor dem Libanesischen Bürgerkrieg nach Deutschland.[4] Es folgten fünf weitere, in West-Berlin geborene Kinder: insgesamt sechs Söhne (Nasser, Arafat, Mohammed, Yasser, Ali und Rommel) und drei Töchter. Der Familie folgten weitere Brüder und Cousins mit ihren Familien nach Deutschland.[1][5]

Nasser Abou-Chaker
Der 1971 als ältester Sohn von Said und Nazmie Abou-Chaker geborene Nasser Abou-Chaker ist mutmaßlicher Kopf des Clans und gilt als eine zentrale Figur der Berliner Unterwelt. So wurde 2009 berichtet, dass er u. a. Teile des Straßenstrichs rund um die Kurfürstenstraße in Berlin-Schöneberg kontrollierte und die bekannte Rotlichtmeile in Berlin-Mitte, die Oranienburger Straße, zu seinem Einflussgebiet gehörte.[6][1]
Arafat Abou-Chaker
Der 1976 in Berlin geborene Arafat Abou-Chaker gilt als eine „Führungsfigur“ des Clans.[7][8] Im Jahr 2008 geriet er erstmals in den Blickpunkt der Öffentlichkeit, als er das Management des Rappers Bushido übernahm. Später trennten sich die beiden wieder. Im August 2020 machte Abou-Chaker folgende Angaben zur Person vor dem Landgericht Berlin: Er habe die deutsche Staatsangehörigkeit, sei geschieden und Vater von fünf Kindern. Sein erlernter Beruf sei Kfz-Mechaniker. Weiter sei er Unternehmer und lebe von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung.[9] Die Behauptung, er sei der Clanchef, wies er von sich.[10] In einem Interview von März 2021 gab er zudem an, in Deutschland sein Abitur gemacht zu haben.[11] Nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel 2023 postete er auf Instagram einen Screenshot von einer Karte mit Angriffpunkten auf Israel und „Ich liebe es sowas zu sehen“. Bei ihm werden Sympathien für Islamismus und Salafismus vermutet. Zum Freitagsgebet besucht er regelmäßig die dem Salafismus nahestehende Al-Nur-Moschee.[12]
Seit 1991 wurde mehrere dutzend Male juristisch gegen Arafat Abou-Chaker ermittelt.[13] Vorbestraft ist er jedoch offiziell nicht. Im Januar 2019 wurde Arafat vom Amtsgericht Tiergarten erstinstanzlich wegen Körperverletzung und Bedrohung zu einer zehnmonatigen Freiheitsstrafe verurteilt, deren Vollzug zur Bewährung ausgesetzt wurde.[14] Das Landgericht Berlin wandelte das Urteil später in einem Berufungsprozess in eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 165 Euro um.[15] Im April 2023 wurde Arafat im Zuge eines Zivilprozesses zu einer Rückzahlung von mehr als zwei Millionen Euro an Bushido verurteilt.[16] Im Februar 2024 wurde Arafat Abou-Chaker vom Landgericht Berlin wegen Veröffentlichung von unerlaubten Tonbandaufnahmen in 13 Fällen zu einer Geldstrafe von 81.000 Euro (90 Tagessätze von jeweils 900 Euro) verurteilt, er und seine Brüder Yasser, Nasser und Rommel jedoch von allen anderen Anklagepunkten, darunter Freiheitsberaubung, Nötigung, versuchte schwere räuberische Erpressung in Millionenhöhe und gefährliche Körperverletzung aufgrund mangelnder Beweise freigesprochen.[17] Hintergrund des dreieinhalb Jahre langen Verfahrens war insbesondere ein Treffen mit Bushido im Januar 2018, bei der es um die Trennung ihrer geschäftlichen Beziehungen ging und bei der Bushido laut eigenen Aussagen von Arafat bedroht, erpresst, in einem Büro eingesperrt und mit einer halbvollen Hartplastik-Flasche und einem Stuhl beworfen worden wäre.[18] Arafat bestreitet diese Vorwürfe.
Mohammed Abou-Chaker
Der „Momo“ genannte Deutsch-Araber war 2010, im Alter von 31 Jahren, Drahtzieher beim sogenannten Pokerraub im Wert von 242.000 Euro im Berliner Grand Hyatt Hotel.[19][20] Er wurde zu sieben Jahren und drei Monaten Haft verurteilt.[21] Mitte 2013 kam Mohammed Abou-Chaker als Freigänger in den offenen Vollzug.[2]
Abdallah Abou-Chaker
Als Intensivtäter wurde Abdallah Abou-Chaker, ein Cousin dieser Brüder, ein eigener Sachbearbeiter bei der Berliner Polizei zugeordnet.[2] Anfang November 2022 wurde der zu dem Zeitpunkt 40-jährige Abdallah Abou-Chaker, der insgesamt zehn Jahre unter anderem wegen Drogenhandels, Körperverletzung, Zuhälterei und räuberischer Erpressung in deutschen Gefängnissen inhaftiert war, zwangsweise in den Libanon abgeschoben.[22] Gegen ihn wurde eine zweijährige Einreisesperre nach Deutschland verhängt.

Weitere Verbrechen und Verurteilungen

2012 berichtete Spiegel TV über einen Prozess gegen eine Reihe von Mitgliedern des Clans. Überschattet wurden dabei die Dreharbeiten durch massive Einschüchterungsversuche von Seiten der Clanmitglieder im Flur des Gerichtsgebäudes.[23]

Die Staatsanwaltschaft Berlin ordnet die Aktivitäten einiger männlicher Familienmitglieder der organisierten Kriminalität zu. Mafiöse Strukturen seien „eindeutig vorhanden und gerichtlich festgestellt worden“. „Sie begehen Straftaten im Bereich der Gewaltkriminalität.“[2] Laut Clan-Anwalt Stefan Conen habe bis 2013 kein Gericht mafiöse Strukturen attestiert.[4]

Im November 2021 wurden mehrere Personen, darunter zwei Brüder des Clans, wegen Urkundenfälschung, Betrugs und mittelbarer Falschbeurkundung zu jeweils ca. fünf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Sie hatten mittels gefälschter Ausweise von Immobilieneigentümern und einem fingierten Kaufvertrag bei einem Notar eine Beglaubigung erhalten und das Grundbuchamt getäuscht und wurden so beinahe auf unrechtmäßige Weise als Eigentümer einer Immobilie im Wert von sechs Millionen Euro im Grundbuch eingetragen. Ihr Ansinnen war es, die ergaunerte Immobilie dann weiterzuverkaufen. Weil sie im Verlauf des Prozesses Geständnisse abgelegt hatten und Aufklärungshilfe leisteten, wurde ihre Untersuchungshaft nach Urteilsverkündung aufgehoben. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe bzw. der Strafantritt ist bei beiden nicht im Anschluss an die Urteilsverkündung erfolgt.[24][25]

Verflechtungen

Der Rapper Kay One befand sich im weiteren Umfeld des Clans, verließ dieses jedoch Anfang 2013. Seinen Angaben nach wurde er seitdem Ziel von Morddrohungen und stand zeitweise unter Polizeischutz.[26]

2014 wurde von einer mutmaßlichen Zusammenarbeit des Abou-Chaker-Clans mit den Hells Angels Deutschland berichtet. So waren unter anderem Kadir P., der später zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilte Präsident des Hells Angels MC Berlin City, und andere Mitglieder des MCs in einem Musikvideo des für seine enge Verbundenheit mit dem Clan bekannten Rappers Bushido zu sehen.[27]

Eine enge Verbindung bestand viele Jahre zu dem Rapper Bushido. So wurde 2013 über den Stern bekannt, dass sich Bushido und das Clan-Mitglied Arafat Abou-Chaker wechselseitig Generalvollmachten über ihr gesamtes Vermögen erteilt hatten.[28][29][30][4] Im März 2018 erklärte Bushido via Facebook, dass er nicht mehr mit Arafat Abou-Chaker zusammenarbeite. Im September 2018 veröffentlichte der Rapper, der unter Polizeischutz steht, mit dem Song Mephisto seine musikalische Abrechnung mit Arafat Abou-Chaker.[31] In Interviews beschreibt Bushido das Verhältnis mit den Worten, er habe „nichts zu melden“ gehabt und Arafat Abou-Chaker habe „einfach alles entschieden“.[32][33]

Filmauftritt

In dem Film Zeiten ändern dich von 2010, der von der Autobiografie Bushidos inspiriert ist, wird Arafat Abou-Chaker von Moritz Bleibtreu gespielt. Als Statisten traten neben Mohammed Abou-Chaker weitere Clanmitglieder auf.[2]

Reportagen

Literatur

  • Thomas Heise, Claas Meyer-Heuer: Die Macht der Clans: arabische Großfamilien und ihre kriminellen Imperien. 1. Auflage. Penguin, München 2022, ISBN 978-3-421-04870-7.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. a b c Nora Gantenbrink, Andreas Mönnich, Uli Rauss, Hannes Roß, Oliver Schröm, Walter Wüllenweber: Bushido und die Mafia (Memento vom 26. Juni 2015 im Internet Archive) In: Stern, 18. April 2013 (auch veröffentlicht in: Henri Nannen Preis 2014: Die besten Arbeiten der deutschsprachigen Presse. Stern / Gruner + Jahr, Hamburg 2014, ISBN 978-3-652-00376-6).
  2. a b c d e Brisante Ermittlungsakten – Bushido und die libanesische Großfamilie. In: Spiegel TV Magazin, Sendung vom 21. April 2013, abgerufen am 20. Januar 2019.
  3. Ihm droht Haftstrafe: Berüchtigter Clan-Chef Abou-Chaker muss vor Gericht. In: Focus Online. (focus.de [abgerufen am 19. September 2018]).
  4. a b c Yassin Musharbash: Bushido: Brüder im Geiste. In: zeit.de. 27. Juni 2013, abgerufen am 9. Dezember 2014.
  5. Tote im Kiez: Bushido und der Berliner Clan-Krieg. In: Hessische/Niedersächsische Allgemeine. 14. September 2018, abgerufen am 2. Oktober 2018.
  6. Robert Vernier: Berlin: Unterweltkönig in Haft. In: Focus Online. 30. Juli 2009, abgerufen am 9. Dezember 2014.
  7. Ulrich Kraetzer: Clan-Boss könnte schon bald wieder auf freiem Fuß sein. In: Berliner Morgenpost. 18. Januar 2019, abgerufen am 19. Januar 2019.
  8. Hannes Heine: Zeugen mit Schwacher Erinnerung. In: Der Tagesspiegel, 10. November 2018, S. 12.
  9. Westdeutsche Allgemeine Zeitung, Panorama, 18. August 2020.
  10. Wiebke Ramm: Abou-Chaker-Prozess: Bushido kommt mit Ashraf Rammo, Shindy bringt „irgendwelche Rocker“ mit. In: Der Spiegel. Abgerufen am 8. Februar 2021.
  11. Arafat Abou-Chaker bei BeastKitchen | Familie, Reisen & Medien. Abgerufen am 2. April 2021.
  12. Clan-Boss Abou-Chaker postet Angriffsziele der Hamas: „Ich liebe es sowas zu sehen“. Abgerufen am 8. Oktober 2023.
  13. Clan-Chef im Gericht mit Verhaftung überrascht. In: Heute. 13. September 2021, abgerufen am 8. Februar 2024.
  14. Organisierte Kriminalität: Berliner Clanchef Arafat Abou-Chaker festgenommen. In: Spiegel Online. 15. Januar 2019 (spiegel.de [abgerufen am 15. Januar 2019]).
  15. Kerstin Gehrke: Berliner Clan-Chef zu 15.000 Euro Strafe verurteilt. In: Der Tagesspiegel. 12. Juni 2020, abgerufen am 12. Juni 2020.
  16. Bushido-Prozess: Arafat Abou-Chaker zu Millionen-Rückzahlung verurteilt. In: Stern. 28. April 2023, abgerufen am 8. Februar 2024.
  17. Kerstin Gehrke: Urteil im Berliner Bushido-Prozess: Freispruch für Ex-Manager und Clan-Boss Arafat Abou-Chaker. In: Tagesspiegel. 5. Februar 2024, abgerufen am 8. Februar 2024.
  18. Bushido und Arafat Abou-Chaker: Gerichtsurteil gefallen. In: T-Online. 5. Februar 2024, abgerufen am 8. Februar 2024.
  19. Hannes Heine: Mutmaßlicher Initiator des Pokerraubs festgenommen. In: Der Tagesspiegel. 28. Mai 2010 (online).
  20. Sie beherrschen ganze Straßenzüge: Libanesische Clans in Deutschland. In: Focus Online. (focus.de [abgerufen am 19. September 2018]).
  21. Michael Mielke: Pokerraub: Hohe Strafe für den Mann im Hintergrund. In: Berliner Morgenpost. 23. Dezember 2011 (morgenpost.de).
  22. Polizei schiebt Abdallah Abou-Chaker in den Libanon ab. n-tv.de, 5. November 2022, abgerufen am 5. November 2022.
  23. Attacke auf Gerichtsflur: „Sag mir, wo Du wohnst!“ In: Spiegel Online Video. 13. August 2012, ehemals im Original (nicht mehr online verfügbar); abgerufen am 9. Dezember 2014.@1@2Vorlage:Toter Link/www.spiegel.de (Seite nicht mehr abrufbar. Suche in Webarchiven)  Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
  24. Guido Mingels, Thomas Heise: Prozess gegen Abou-Chaker-Brüder: Mehrjährige Haftstrafen – und dann ab im Lamborghini. In: Der Spiegel. 15. November 2021, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 23. November 2021]).
  25. SPIEGEL TV vom 22.11.2021: Haftstrafen für Clan-Mitglieder / Wenn Mütter ihre Kinder absichtlich krank machen. In: Der Spiegel. 23. November 2021, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 23. November 2021]).
  26. „Ich wurde abgezockt“: Rapper Kay One rechnet mit Bushido ab. In: Focus Online. 9. Oktober 2013, abgerufen am 9. Dezember 2014.
  27. Philipp Oehmke, Tobias Rapp: POP Fuck You, Deutschland. In: Der Spiegel. Nr. 8, 2014 (online).
  28. www.stern.de (Memento vom 30. April 2013 im Internet Archive)
  29. Benjamin Schulz, Julia Jüttner: Bushido soll Clanchef Generalvollmacht gegeben haben. In: Spiegel Online. 17. April 2013, abgerufen am 9. Dezember 2014.
  30. Bushido soll enge Verbindung zu Mafia-Clan haben. In: sueddeutsche.de. 17. April 2013, abgerufen am 9. Dezember 2014.
  31. „Mephisto“: Rapper Bushido rechnet in Song mit gefährlichem Ex-Geschäftspartner ab. In: Focus Online. 15. September 2018, abgerufen am 17. September 2018.
  32. Jean-Pierre Ziegler: Bushido und seine Frau über Clanchef: „Natürlich haben wir Angst“. In: Spiegel Online, 26. September 2018, abgerufen am 10. November 2018.
  33. Nora Gantenbrink, Uli Rauss: Bushido spricht erstmals über Abou-Chaker: „Wir lassen uns nicht mehr einschüchtern“. In: Stern, 26. September 2018, abgerufen am 10. November 2018.