Aachener Königspfalz

Hypothetischer, zeichnerischer Rekonstruktionsversuch der karolingischen Aachener Königspfalz basierend auf einer Rekonstruktion von Albert Huyskens und Joseph Buchkremer aus dem Jahr 1924/25, erweitert um die Darstellung des Thermenbezirks aus den 1960er Jahren.[1] Im Hintergrund die Pfalzkapelle, vorn die Aula regia mit dem Granusturm.

Die Königspfalz in Aachen war der wichtigste früh- und hochmittelalterliche Herrschersitz des fränkischen und später ostfränkisch-deutschen Königreiches. Ihre Bedeutung verdankte sie vor allem dem Umstand, dass sie die Lieblingspfalz Karls des Großen war. Schon durch ihre bloße Größe ungewöhnlich, wurde sie im äußersten Osten der Kernlandschaft der frühen Karolinger errichtet, deren Zentrum um Lüttich und Herstal lag. Von der karolingischen Anlage steht noch die Pfalzkapelle (Oktogon und Westwerk) des Aachener Doms sowie der später aufgestockte Granusturm des Aachener Rathauses, das auf den Grundmauern der Aula regia steht.

In der Pfalzkapelle der Anlage, Teil des heutigen Aachener Doms, wurden über einen Zeitraum von 600 Jahren mehr als 30 römisch-deutsche Könige gekrönt, die sich in der direkten Nachfolge Karls des Großen sahen.

Geschichte

Pfalzmodell nach Leo Hugot, 1981
Animation der Aachener Königspfalz
Oktogon der Pfalzkapelle

Schon zu Zeiten des fränkischen Königs Pippins des Jüngeren lassen sich im Gebiet der späteren Pfalz Bauten nachweisen. Diese beschränkten sich wohl eher auf Einrichtungen wie die eines größeren zeitgenössischen Gutshofs. Erst Karl der Große ließ die Pfalz ab etwa 780 zu einer großen Anlage mit Königshalle (Aula regia), Pfalzkapelle, Wohnturm, Garnison und Gerichtssälen ausbauen. Karl verfolgte damit das Ziel, ein „Neues Rom“ (Roma secunda) nördlich der Alpen als Zentrum seines Fränkischen Reiches zu errichten, das sich in der Nachfolge des Römischen Reiches sah. Aachen wurde Karls Lieblingsresidenz einerseits wegen der nahen Waldgebiete, in denen er seiner Jagdleidenschaft nachgehen konnte, und andererseits und vor allem wegen der heißen Thermalquelle, mittels derer der König, der fast jeden Sommer auf Feldzüge ritt, seine Leiden, vor allem die Gicht, lindern konnte.[2] Er ließ sich neben der Pfalz eine Thermenanlage nach römischem Vorbild erbauen. Nach 795 hielt er sich nur noch dreimal während des Winters an anderen Orten auf.[3] Es kann angenommen werden, dass die Pfalzkapelle, erbaut laut einer früheren Wandinschrift durch Odo von Metz, 802 geweiht wurde. Die Weihe durch Papst Leo III. entstammt einer Legende aus dem 14. Jahrhundert.[4] Zu dieser Zeit waren die wichtigsten karolingischen Anlagen bereits vollendet.

Im Jahre 936 wurde in der Aachener Pfalz Otto der Große gekrönt, der damit die Grundlage für die Tradition der Krönung der römisch-deutschen Könige in Aachen begründete.

Im 14. Jahrhundert wurde unter der Leitung des Bürgermeisters Gerhard Chorus anstelle der Königshalle das neue Aachener Rathaus errichtet, da das alte im Grashaus untergebrachte Rathaus nicht mehr repräsentativ genug war. Zur selben Zeit wurde der karolingischen Pfalzkapelle ein erster gotischer Chor angefügt, dem zahlreiche Kapellen in den nächsten Jahrhunderten folgten. Nach Bränden 1624 und 1656 wurden die Dächer der Pfalzkapelle 1664 erneuert.

Mit dem Ende der Königskrönungen in Aachen 1531 verlor die Pfalz ihre Bedeutung als traditioneller Krönungsort deutscher Könige. Seit 1802 jedoch bildet die als Marienkirche errichtete Pfalzkapelle den Zentralbau des heutigen Aachener Doms, der Kathedrale für das neu gegründete Bistum Aachen.

Konzeption

Rekonstruktion der Pfalzkapelle ohne spätere Anbauten

Die Königs- und später Kaiserpfalz zu Aachen war größer als alle Güter, die je ein Frankenkönig vor Karl dem Großen besessen hatte. Ab dem Winter 794/795 ließ sich der fast fünfzigjährige Herrscher regelmäßig in Aachen nieder.

In der nach römischen Vorbildern erbauten Königshalle regierte der Frankenkönig. In den angefügten, nicht mehr erhaltenen Gebäudeteilen, wohnte Karl vermutlich mit seiner Familie. Dass der heute noch erhaltene Granusturm dabei als Wohnraum genutzt wurde, wird von der Forschung heute nicht mehr aufrechterhalten: Er wird vielmehr als eines der ersten repräsentativen Treppenhäuser nördlich der Alpen gedeutet.[5] Ein zweigeschossiger Verbindungsbau führte zur Marienkirche, der Pfalzkapelle im Süden der Anlage. Der Verbindungsbau nahm wohl im oberen Teil die Hofschule auf, während der untere Bereich wahrscheinlich der Garnison vorbehalten war.

Die Pfalzkapelle bildete das Kernstück der Pfalzanlage und war prächtiger gestaltet als alle Steinbauten, die nördlich der Alpen bestanden. Aus Rom und Ravenna ließ Karl Säulen und Marmor zu ihrer Ausstattung heranschaffen. Ein hölzerner Gang gestattete es dem Herrscher, trockenen Fußes von seinen Wohnräumen in die Kirche zu gelangen.

Nach der Kaiserkrönung in Rom am ersten Weihnachtstag des Jahres 800 bezog Karl die vollendete Pfalz und machte sie einerseits zum bildlichen und kulturellen Mittelpunkt des Reiches und andererseits lebte und herrschte Karl selbst zunehmend und stets in den Wintermonaten bis zu seinem Tod im Jahre 814 in der Königspfalz.[6]

Literatur

  • Carl Rhoen: Beschreibung und Geschichte der karolingischen Pfalz zu Aachen. In: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins. Jg. 3 (1881), S. 1–96, ISSN 0065-0137 (verdienstvolle Arbeit des 19. Jahrhunderts, heute überholt).
  • Günther Binding: Deutsche Königspfalzen. Von Karl dem Großen bis Friedrich II. (765–1240). Primus-Verlag, Darmstadt 1996, ISBN 3-89678-016-6.
  • Walter Maas, Pit Siebigs: Der Aachener Dom. Schnell & Steiner, Regensburg 2013, ISBN 978-3-7954-2445-9, S. 20–24.
  • Judith Ley: Aquis palatium: Spätantiker Palast oder frühmittelalterliche Pfalz? Architekturhistorische Überlegungen zur Ikonographie der Aachener Pfalz, in: Michael Featherstone, Jean-Michel Spieser, Gülru Tanman, Ulrike Wulf-Rheidt (Hrsg.): The Emperor's House. Palaces from Augustus to the Age of Absolutism, Walter de Gruyter, 2015, S. 127–146.
  • Judith Ley, Marc Wietheger: Licht für den kaiserlichen Aufstieg? Der Granusturm an der Palastaula Karls des Großen in Aachen. In: Peter I. Schneider (Hrsg.): Lichtkonzepte in der vormodernen Architektur. Internationales Kolloquium in Berlin vom 26. Februar bis 1. März 2009 (= Diskussionen zur archäologischen Bauforschung. Bd. 10). Verlag Schnell & Steiner, Regensburg 2011, ISBN 978-3-7954-2460-2, S. 280–287.
  • Andrea Pufke (Hrsg.): Die karolingische Pfalzkapelle in Aachen. Material – Bautechnik – Restaurierung (= Arbeitsheft der rheinischen Denkmalpflege 78). Wernersche Verlagsgesellschaft, Worms 2012, ISBN 978-3-88462-325-1.
  • Frank Pohle (Hrsg.): Karl der Große – Charlemagne. Orte der Macht. Essays. Sandstein, Dresden 2014, ISBN 978-3-95498-092-5, darin:
    • ders.: Die Gestalt der Aachener Pfalz. 200 Jahre Forschung – 150 Jahre Rekonstruktion. S. 218–225.
    • Sebastian Ristow: Alles Karl? Zum Problem der Bauphasenabfolge der Pfalzanlage Aachen. S. 226–235.
    • Judith Ley, Marc Wietheger: Der karolingische Palast König Davids in Aachen. Neue bauhistorische Untersuchungen zu Königshalle und Granusturm. S. 236–245.
    • Harald Müller, Andreas Schaub: Die Pfalzsiedlung. Aachen in karolingischer Zeit. S. 246–253.
  • Harald Müller, Judith Ley, Andreas Schaub, Frank Pohle: Pfalz und vicus Aachen in karolingischer Zeit. In: Thomas R. Kraus (Hrsg.): Aachen. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Bd. 2: Karolinger – Ottonen – Salier. 765–1137 (= Veröffentlichungen des Stadtarchivs Aachen 14 = Beihefte der Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 8). Aachen 2013, S. 1–408.
  • Leo Hugot: Die Pfalz Karls des Großen in Aachen. In: Katalog der Ausstellung: Karl der Große. Werk und Wirkung. Aachen, 1965, S. 395–400.
  • Sebastian Ristow: Bauphasen der Kernpfalz nach den archäologischen Befunden. In: Thomas R. Kraus (Hrsg.): Aachen. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Bd. 2: Karolinger – Ottonen – Salier. 765–1137 (= Veröffentlichungen des Stadtarchivs Aachen 14 = Beihefte der Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 8). Aachen 2013, S. 119–122.
  • Frank Pohle: Die Erforschung der karolingischen Pfalz Aachen. Zweihundert Jahre archäologische und bauhistorische Untersuchungen (= Rheinische Ausgrabungen. Bd. 70). Philipp von Zabern, Darmstadt 2015, ISBN 978-3-805-34955-0.
  • Leo Hugot: Die Pfalz Karls des Großen in Aachen, Ergebnisse einer topographisch-archäologischen Untersuchung des Ortes und der Pfalz. In: Wolfgang Braunfels (Hrsg.): Karl der Große, Lebenswerk und Nachleben. Bd. III, Düsseldorf, 1965, S. 534–572.

Weblinks

Commons: Kaiserpfalz Aachen – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Anmerkungen

  1. Kritisch hierzu Frank Pohle: Die Gestalt der Aachener Pfalz. 200 Jahre Forschung – 150 Jahre Rekonstruktion. In: ders. (Hrsg.): Karl der Große – Charlemagne. Orte der Macht. Essays. Dresden 2014, S. 218–225, hier S. 222.
  2. Daran starb Karl der Große. Ärzte Zeitung, abgerufen am 9. Januar 2021.
  3. Wilfried Hartmann: Karl der Große. Stuttgart 2010, S. 118f.
  4. Georg Minkenberg: Der Dom zu Aachen. 2. Auflage. Schnell & Steiner GmbH, Regensburg 2014, ISBN 978-3-7954-6891-0, S. 4,6,20.
  5. Pfalzenforschung in Aachen. Fakultät für Architektur der RWTH Aachen, abgerufen am 12. Mai 2017.
  6. Georg Minkenberg: Der Dom zu Aachen. 2. Auflage. Schnell & Steiner, Regensburg 2014, ISBN 978-3-7954-6891-0, S. 6.

Koordinaten: 50° 46′ 31,5″ N, 6° 5′ 2″ O

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Pfalzmodell 1981 Leo Hugot 1.tif
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Pfalzmodell nach Leo Hugot 1981 Rekonstruktion der karolingischen Königshalle mit Verbindungsbauten zur Pfalzkapelle und Atrium
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Karl der Große ließ die Königspfalz (später Kaiserpfalz) in Aachen Ende des 8. Jahrhunderts zu einer großen Anlage ausbauen. Geistliches Zentrum ist die Pfalzkapelle, heute der Aachener Dom.
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Vue intérieure de la chapelle palatine d'Aix-la-Chapelle.
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Zeichnerischer Rekonstruktionsversuch der Aachener Königspfalz basierend auf einer Rekonstruktion von Albert Huyskens und Joseph Buchkremer aus dem Jahr 1924/25, erweitert um die Darstellung des Thermenbezirks aus den 1960er Jahren.
Aachen Dehio 1887.jpg
- oben: Längsschnitt durch die karolingische Pfalzkapelle in Aachen (Rekonstruktion)

- unten links: Grundriß; das karolingische Oktogon mit 16eckigem Umgang, rechts die gotische Chorhalle; um den karolinigischen Bau unregelmässig Kapelleanbauten aus verschiedenen Epochen

- untern rechts: Querschnitt