Überlandstraßenbahn

Eine Überlandstraßenbahn, veraltet auch Fernstraßenbahn oder kurz Landstraßenbahn genannt, ist eine Straßenbahnstrecke, die sich deutlich von klassischen innerstädtischen Straßenbahnverbindungen unterscheidet. Der Begriff wird auch für eine auf Überlandabschnitten verkehrende Straßenbahn-Linie verwendet.

Die Woltersdorfer Straßenbahn bei Berlin ist eine typische Überlandstraßenbahn
Die Linie 6 der Innsbrucker Verkehrsbetriebe ist eine der wenigen Überlandstraßenbahnlinien Österreichs

Eine Überlandstraßenbahn übernimmt Verkehrsbeziehungen im Regionalbereich, meist über Stadtgrenzen hinweg. Sie kann dabei auch, ähnlich einer klassischen Eisenbahn, städteverbindende Funktionen haben. Aber nicht jede städteverbindende Straßenbahnstrecke gilt als Überlandstraßenbahn. Dies ist beispielsweise dann nicht der Fall, wenn in Ballungsräumen wie dem Ruhrgebiet Städte ohne Siedlungslücke direkt aneinandergrenzen. Ebenfalls nicht zu den Überlandstraßenbahnen gehören Tram-Train-Systeme, denn diese verkehren in der Stadt als Straßenbahn und im ländlichen Bereich als Eisenbahn.

Überlandstraßenbahnen sind oft eingleisig mit Ausweichen trassiert, verkehren meist auf eigenem Bahnkörper mit Vignolschienen und weisen längere Haltestellenabstände auf. Oft verlaufen sie außerorts parallel zu Landstraßen, in Ortsdurchfahrten aber auf Rillenschienen im Straßenplanum. Ein weiteres Kennzeichen sind Haltestellen auf freiem Feld oder in Waldgebieten.

Geschichte

Überlandstraßenbahnen waren früher in ganz Europa weit verbreitet. Sie sind heute eher selten geworden. In der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg wurden zahlreiche Überlandstraßenbahnen gebaut, deren Verkehrsaufkommen eine dichte Zugfolge nicht rechtfertigte. Im Raum Halle – Merseburg bestanden Pläne für ein Überlandstraßenbahnnetz (Merseburger Überlandbahnen). Im Westen Deutschlands wurden die Überlandstraßenbahnen nahezu ausnahmslos in den 1950er und 1960er Jahren stillgelegt und durch Buslinien ersetzt.

In Nordamerika existierten bis Mitte des 20. Jahrhunderts eine Vielzahl von Interurbans mit ähnlichen Funktionen und Charakter einer Überlandstraßenbahn, die jedoch betrieblich eher einer Nebenbahn entsprachen. Auch diese Netze wurden zum überwiegenden Teil restlos stillgelegt. Einige wenige Strecken blieben durch Adaptierung für den Güterverkehr erhalten, in anderen Städten blieben innerstädtische Rumpfnetze trotz Stilllegung der meisten Strecken im Umland erhalten.

Betrieb und Technik

Grundsätzlich werden Überlandstraßenbahnen in Deutschland nach der Verordnung über den Bau und Betrieb der Straßenbahnen (BOStrab) betrieben. Damit unterscheiden sie sich grundlegend von Eisenbahnen (inklusive Lokal- und Kleinbahnen), die nach der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung (EBO) betrieben werden. Dennoch weisen Überlandstraßenbahnen, insbesondere im Sicherheits- und Signalbereich, häufig Elemente des Eisenbahnbetriebs auf. Außerdem wird manchmal auf den Überlandabschnitten eine höhere Fahrdrahtspannung verwendet, um mit weniger Unterwerken auszukommen. Ferner sind die im Überlandverkehr eingesetzten Fahrzeuge häufig etwas komfortabler ausgestattet. Beispiele hierfür sind ein größerer Sitzteiler, mehr Sitzplätze und wenig Stehplätze, eine bequemere Bestuhlung, Armlehnen, Gepäckablagen oder Vorhänge. Zudem weisen sie, dem größeren Haltestellenabstand auf Überlandstrecken geschuldet, mitunter weniger oder schmalere Türen auf.

Manche Überlandstraßenbahnen führen auch Güterverkehr durch. Hierfür kann bei normalspurigen Überlandstraßenbahnen ein direkter Fahrzeugaustausch stattfinden, bei schmalspurigen Bahnen sind Rollböcke notwendig. Die Güterwagen werden dabei von den Straßenbahn-Triebwagen oder aber von eigenen Lokomotiven gezogen.

Bestehende Strecken

Deutschland

Baden-Württemberg

Bayern

Berlin und Brandenburg

Hessen

Niedersachsen und Bremen

Nordrhein-Westfalen

Sachsen

Sachsen-Anhalt

Thüringen

Österreich

Schweiz

Zug der Straßenbahn Neuenburg

Belgien

Kusttram bei Oostende

Frankreich

Italien

Niederlande

Polen

  • Łódź, Linie 43 Łódź (Telefoniczna) – Lutomiersk (pl. Jana Pawła II), Straßenbahn der Gesellschaft „Miejskie Przedsiębiorstwo Komunikacyjne Sp. z o.o.“, bis zum 31. März 2012 betrieben von der Gesellschaft „Tramwaje Podmiejskie Sp. z o.o.“
  • Łódź, Linie 9 Łódź (Augustów) – Konstantynów (Park Miejski), Straßenbahn der Gesellschaft „Miejskie Przedsiębiorstwo Komunikacyjne Sp. z o.o.“, bis zum 31. März 2012 als Linie 43bis von Lodz-Stoki und betrieben von der Gesellschaft „Tramwaje Podmiejskie Sp. z o.o.“
  • Łódź, Linie 46 Łódź (Zdrowie) – Ozorków (Cegielniana), Straßenbahn der Gesellschaft „Miejskie Przedsiębiorstwo Komunikacyjne Sp. z o.o.“, bis zum 31. März 2012 betrieben von der Gesellschaft „Międzygminna Komunikacja Tramwajowa Sp. z o.o.“ von Łódź-Chocianowice-IKEA
  • Łódź, Linie 41 (ehemals Linie 41 der Gesellschaft „Międzygminna Komunikacja Tramwajowa Sp. z o.o.“, dann Linie 11 im Betrieb der Gesellschaft „Miejskie Przedsiębiorstwo Komunikacyjne Sp. z o.o.“, danach Linie P, von der gleichen Gesellschaft betrieben) Łódź (Plac Niepodległości) – Pabianice (Pabianice-Wiejska), Straßenbahn der Gesellschaft „Miejskie Przedsiębiorstwo Komunikacyjne Sp. z o.o.“
  • Łódź, Linie 16 (ehemals Linie 45 der Gesellschaft „Międzygminna Komunikacja Tramwajowa Sp. z o.o.“, dann Linie 11 der Gesellschaft „Miejskie Przedsiębiorstwo Komunikacyjne Sp. z o.o.“) Łódź (Kurczaki) – Zgierz (plac Kilińskiego), Straßenbahn der Gesellschaft „Miejskie Przedsiębiorstwo Komunikacyjne Sp. z o.o.“

Rumänien

Tschechien

Vereinigte Staaten

Stillgelegte Strecken (Auswahl)

Deutschland

Baden-Württemberg

Bayern

Berlin und Brandenburg

Hessen

Niedersachsen und Bremen

Nordrhein-Westfalen

Rheinland-Pfalz und Saarland

Sachsen

Sachsen-Anhalt

Österreich

Schweiz

Belgien

  • nationales Überlandstraßenbahnnetz der NMVB/SNCV (Nationale Maatschappij van Buurtspoorwegen/Société nationale des chemins de fer vicinaux), etwa 4.000 km, sowohl dampf/dieselbetrieben als auch elektrisch, verbliebene Abschnitte siehe oben.

Frankreich

Italien

Polen

Niederlande

Rumänien

Vereinigte Staaten

Literatur

  • Michael Beitelsmann, Michael Kochems: Überland-Trams: Fahrzeuge, Strecken, Betrieb. GeraMond, 2007, ISBN 978-3-7654-7362-3.
  • Überland-Straßenbahnen in Deutschland (Straßenbahn-Magazin Special Nr. 32). Geramond, München 2017. ISBN 978-3-86245-983-4
  • Michael Alexander Populorum: Strassenbahnen Europas (1): Die Kusttram in Belgien. Mit der längsten Strassenbahn der Welt entlang der Belgischen Küste. Schriftenreihe des Dokumentationszentrums für Europäische Eisenbahnforschung (DEEF), Band 8, 3. Auflage 2017 als E-Book, ISBN 978-3-903132-03-0; Mercurius Verlag Grödig/Salzburg.

Weblinks

Commons: Überlandstraßenbahnen – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Manfred Kopka: BOGESTRA - Mit der Linie 310 von Heven nach Höntrop auf YouTube, 29. August 2012, abgerufen am 25. Februar 2024 (Laufzeit: 23:10 min).
  2. Meldung Aus für Brandenburg – Kirchmöser. In: Eisenbahn-Revue International, Heft 2/2003, ISSN 1421-2811, S. 60.
  3. Kaltehardt auf tramtracks.de, abgerufen am 17. Mai 2022

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Tram 5 (Neuchâtel - Boudry) beim Bahnhof von Colombier
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Coastal Tram (Kusttram) in Belgium at tram-stop "Domein Raversijde" (south of Ostend)
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Tw 315 der Innsbrucker Verkehrsbetriebe als Linie 6 in Igls am 14.1.2012
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Abfahrbereiter Waggon der Woltersdorfer Straßenbahn am Bahnhof Berlin-Rahnsdorf