Öffentliche-Güter-Spiel

Das Öffentliche-Güter-Spiel, auch Öffentliche-Gut-Spiel oder Öffentliches-Gut-Spiel, kurz ÖGS ist Bestandteil der Spieltheorie und ist Gegenstand der experimentellen Wirtschaftsforschung. Als Modell wird es genutzt, um die Bereitstellung von öffentlichen Gütern zu analysieren. Diese Analyse ist deswegen wichtig, weil öffentliche Güter im Kontrast zu privaten mehrfach bzw. gleichzeitig konsumiert werden können, aber niemand vom Konsum ausgeschlossen werden kann. Weil niemand ausgeschlossen werden kann, ist es rational, keine Kosten für die Bereitstellung zu tragen (Trittbrettfahrerproblem).

Spielablauf

In der Standardvariante des Spieles entscheiden die Teilnehmer im Geheimen, wie viel ihrer Anfangsausstattung sie in ein öffentliches Gut investieren wollen. Dieser Topf wird am Ende leicht vervielfacht und anschließend auf alle Spieler zu gleichen Teilen aufgeteilt. Es erhalten also auch Spieler ihren Anteil, die nichts zur Bereitstellung des Gutes geleistet haben. Der Spielgewinn eines Spielers ergibt sich aus der öffentlichen Auszahlung sowie der einbehaltenen Anfangsausstattung. Dieser Gewinn wurde nach Spielende in der Regel zu einem bekannten Wechselkurs in echte Währung, seltener auch in z. B. Studienleistungen getauscht.

Multiplikationsfaktor

In der Standardvariante liegt der Multiplikationsfaktor für das öffentliche Gut zwischen 1 und der Anzahl der Mitspieler. Ein Faktor gleich eins bedeutet, dass jeder Spieler exakt seinen Beitrag zurückerhält, wenn alle den gleichen Beitrag leisten. In diesem Fall wären die Spieler indifferent zwischen dem öffentlichen Gut und der einfachen Zurückhaltung ihres gesamten Vermögens. Ein Faktor gleich der Anzahl der Mitspieler bedeutet, dass das Auszahlungsverhältnis und Vervielfachungsverhältnis gleich sind. Ein höherer Faktor würde also in jedem Fall zu einem Gewinn für alle Einzahler führen.

Unabhängig von Gruppengröße und Beitragsrückfluss steht die Gruppe als Ganzes am besten da, wenn alle Teilnehmer ihre gesamte private Ausstattung dem öffentlichen Gut beisteuern. Dieses Ergebnis wäre das Pareto-Optimum: Zahlt jeder Spieler ab Beginn seine gesamte Anfangsausstattung ein, erhält die Gruppe die maximal mögliche Auszahlung vom Spielleiter.

Erwartete und tatsächliche Ergebnisse

Die ökonomische Standardtheorie sagte mit dem Nash-Gleichgewicht voraus, dass kein Spieler Gruppenbeiträge leistet, wenn das Spiel endlich ist. Diese dominante Strategie jeden Spielers gilt unabhängig davon, wie sich jeder der anderen Spieler verhält. Da es rational ist, auch in der letzten Runde von endlich wiederholten Spielen nicht zu kooperieren, ist es wegen der Rückwärtsinduktion auch rational, in keiner Runde etwas beizusteuern. Dieses Trittbrettfahrerproblem führt zur Tragik der Allmende: Obwohl jeder in der Gruppe das öffentliche Gut haben und nutzen möchte, zahlt niemand (freiwillig) dafür. In der Folge kommt es zu einer Unterversorgung mit dem öffentlichen Gut verglichen mit dem Zustand des Pareto-Optimums. Das Nash-Gleichgewicht sagt auch voraus, dass größere Gruppen und/oder niedrigere Rückflüsse (durch eine niedrigere Vervielfachung des öffentlichen Guts) zu weniger Kooperation führten, weil die Anreize zur Bereitstellung des öffentlichen Guts immer weiter sinken.

Tatsächlich kommt die mit dem Nash-Gleichgewicht verbundene Unterversorgung in Experimenten selten bis gar nicht vor; die Beteiligten neigen dazu, zumindest einen kleinen Teil ihrer privaten Ausstattung zu investieren. Das Ausmaß der Beteiligung einzelner Individuen variiert dabei stark. Jedoch wird auch das soziale Optimum (komplette Kooperation aller Teilnehmer) selten bis nie erreicht, dagegen häufiger in nicht-wiederholten Spielen.[1] Entgegen der weitverbreiteten Meinung und ökonomischen Theorie führt auch eine größere Gruppe bzw. ein höherer Multiplikationsfaktor nicht zwangsläufig zu mehr Kooperation bzw. höheren Einzelbeiträgen zum öffentlichen Gut.[2] Die soziologische Interpretation dieser Befunde betont die Gruppenkohäsion und kulturelle Normen zur Erklärung der prosozialen Ergebnisse von Öffentliche-Güter-Spiele.

Erklärungsansätze

Das Interesse der Wissenschaft fokussierte sich nach den ersten Öffentliche-Güter-Spielen darauf, warum die Spielteilnehmer von der ökonomischen Rationalität abweichen oder ob eher die Theorie Unzulänglichkeiten aufweise. Praktisch orientierte Untersuchungen erforschten zusätzlich, Gruppen-Kooperation mit einem geeigneten Anreizsystem zu induzieren. Daraus können sich Hinweise für viele Problemlösungen in der Gesellschaft ableiten (siehe Abschnitt Abwandlungen).

Obwohl die Diskussion über Ergebnisse nicht abgeschlossen ist, kristallisierten sich schon früh einige Erklärungsansätze heraus:

  • Unter anderem setzte das spieltheoretische Nash-Gleichgewicht komplette Information über Rückflüsse aus dem öffentlichen Gut sowie die Höhe der Anfangsausstattung aller Spieler voraus. Abwandlungen mit mehr und weniger Information zeigen jedoch keinen Unterschied im Verhalten.[2]
  • Da in Einzelspielen tendenziell eine höhere Kooperation als in wiederholten Spielen beobachtet wurde, wurde die Lern-Hypothese gebildet: Zumindest einige Spieler müssen erst lernen, wie sie sich rationalerweise in Optimierungsproblemen zu verhalten haben, und ihre Strategie aufbauen. Eine zeitverzögerte Anpassung an die dominante Strategie wurde auch bei anderen Spielen beobachtet.[3] Die Lern-Hypothese konnte weder in Öffentliche-Güter-Spielen noch in anderen Spielen verifiziert werden.[1]
  • Spieler handeln nicht gemäß der Logik der Rückwärtsinduktion in wiederholten Spielen, das heißt, sie denken bei Spielen mit mehreren Runden nicht vom Ende her.
  • Spieltheorie basiert darauf, dass Spieler ihren Nutzen ausschließlich über monetäre Rückflüsse maximieren. Einige Ökonomen wandten deshalb ein, dass die Theorie zu kurz greife, und Spieler ihren Nutzen auch durch andere Begleiterscheinungen maximieren: So würden Spieler auch Nutzen aus dem "warmen Glühen" (englisch warm glow) des Gebens ziehen,[4] beziehungsweise Fairnesskalküle in ihre Entscheidungen[5] einfließen lassen.

Kritik

Jedoch wurde auch kritisiert, inwiefern einfache, abstrakte, kurze und endliche Laborexperimente in überschaubaren Gruppen geeignet sind, Vorhersagen für das menschliche Verhalten in komplexen Alltagssituationen zu geben.[6] In der Realität kann man nicht ausschließen, dass sich Marktakteure wieder treffen und dann möglicherweise die Folgen ihres Handelns aus vorherigen Aktionen – wie der Nichtkooperation – zu spüren bekommen.

Abwandlungen

Wiederholte Spiele

Wiederholte Spiele bedeuten, dass das gleiche Spiel in gleicher oder geänderter Zusammensetzung für eine bestimmte Anzahl von Runden wiederholt wird. Ein typisches Resultat ist ein abnehmender Anteil von Beiträgen zum öffentlichen Gut im Vergleich zum einmaligen Spiel. Spieler tendieren dazu, selbst weniger als in der Vorrunde beizutragen, wenn sie sehen, dass andere auch weniger geben.[6][7] In der nächsten Runde wiederholt sich der Effekt, jetzt aber von einer niedrigeren Basis. Jedoch wird niemals von allen nichts beigetragen, weil ein harter Kern von „Gebern“ bestehen bleibt.

Eine Erklärung dafür ist die Ungleichheitsaversion (englisch inequity aversion). In wiederholten Spielen haben Spieler Gelegenheit, Reputation aufzubauen, wie von anderen beobachtet wird. Auf der anderen Seite lernen Spieler bestimmte Eigenschaften der gesamten Gruppe kennen und passen ihr Verhalten kontinuierlich an. Genauer: Sie passen ihre Erwartungen über zukünftige Zahlungen der anderen Gruppenmitglieder an, denn niemand möchte alleine zum öffentlichen Gut beitragen. Beobachten Spieler, dass andere Spieler eine größere Rückzahlung für einen kleineren Beitrag erhalten, widerspricht dies ihrem Gerechtigkeitsempfinden.[8]

Transparente/Offene Spiele

Wenn die Beitragshöhe oder sogar die Identität der Spieler transparent gemacht wird, sind Einzelbeiträge regelmäßig höher.[9] Dieses Ergebnis gilt unabhängig vom konkreten Experimentaufbau, also ob die Spieler von Anfang an bekannt sind, nur in Paaren, oder am Ende des Experiments genannt werden etc.

Diesen Fakt machen sich Benefiz-Veranstaltungen regelmäßig zu eigen, wo die Spender regelmäßig genannt werden und teils entsprechend ihrer Spendenhöhe geehrt werden.

Belohnung und/oder Bestrafung

Die Anwendung von Belohnungen oder Bestrafung ist Gegenstand zahlreicher Studien. In der Regel bestrafen sich die Spieler untereinander, nachdem das öffentliche Gut bereitgestellt wurde. Dabei wird ein Spieler zufällig ausgewählt, der auf seine Kosten ein Gruppenmitglied bestraft. Belohnungen funktionieren analog. Alternativ werden Belohnungen oder Strafen automatisch vom Spielleiter nach einer bekannten Regel ausgeführt. Ein zentrales Ergebnis ist, dass Belohnungen und Strafen als unterschiedliche Mittel benutzt werden: Belohnungen sind nicht identisch mit Nicht-Bestrafen, während eine Strafe nicht als abwesende Belohnung gilt.

Strafen werden selbst unter Kosten ausgeführt und führen in den meisten Experimenten zu höheren Beiträgen bzw. zu höherer Kooperation. Der Effekt von Belohnungen alleine ist dagegen schwächer.[10][11] Dies darf nicht verwechselt werden mit höheren Gruppenauszahlungen: Da Strafen kosten, bedeutet vermehrte Kooperation nicht unbedingt höhere Auszahlungen aus dem öffentlichen Topf. Zumindest in der ersten Runde können Strafen also zu (marginal) niedrigeren Gruppenauszahlungen führen.[12] Tatsächlich scheinen Strafen, zumindest längerfristig, bezüglich Gruppenauszahlungen effizienter zu sein als ohne, da die Bestrafungskosten sinken.[13][14]

Viele Studien heben deshalb die Kombination von Strafen und Belohnungen hervor. Sie führt sowohl zu vermehrter Kooperation als auch zu höheren Beiträgen. Das gilt sowohl für wiederholte Spiele in wechselnden Gruppen,[10][11] als auch für identische Gruppen.[12]

Asymmetric costs and/or benefits

Asymmetrie hinsichtlich der privaten Kosten einer Bereitstellung oder der Auszahlung aus dem öffentlichen Topf haben einen direkten Einfluss auf das Spielerverhalten. Sie reagieren zwar stärker auf monetäre Anreize und verhalten sich entsprechend der ökonomischen Theorie rational. Jedoch wird auch hier mehr zum öffentlichen Gut beigetragen als im Nash-Gleichgewicht.[7]

Framing

Unterschiedliche Darstellung derselben Struktur bzw. desselben Spiels (englisch framing) zeigen ein vom Originalspiel abweichendes Verhalten. Eine Variante des framings ist die Assoziation mit wirklichen Problemen, in denen öffentliche Güter bereitgestellt werden müssen. Dies können Klimaschutzverhandlungen, der Bau einer Straße oder Mitbringsel zu einer privaten Feier sein. Dies erlaubt den Spielern Informationsrückschlüsse auf Präferenzen der anderen Spieler, Wahrscheinlichkeitseinschätzungen über deren Handlungen und Wahrnehmung.

Der Effekt einer Assoziierung (Attribut-Framing) ist unterschiedlich und abhängig von den persönlichen Erfahrungen der Spieler. Dies gilt besonders für einmalige Spiele, wo Spieler das Verhalten anderer Spieler nur aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen in der Realität vorhersagen (können). Selbst Spieler derselben Kultur können von demselben Attribut unterschiedliche Begriffe haben und sowohl mit höheren als auch niedrigeren Beiträgen reagieren.[15]

Zusätzlich kann grundsätzlich jedes Spiel als Wahl zwischen Gewinnen oder Wahl zwischen Verlusten dargestellt werden. Wegen des Framing-Effekts reagieren Spieler vollkommen unterschiedlich: Wenn Öffentliche-Gut-Spiele als Verlust dargestellt werden statt eines Gewinns (d. h., ein Beitrag zu einem privaten Gut reduziert die Auszahlungen anderer Spieler) sind die Beiträge signifikant kleiner.[16]

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. a b Andreoni, James: Why free ride? Strategies and learning in public goods experiments. In: Journal of Public Economics. Band 37, 1988, S. 291–304.
  2. a b Isaac, R. Mark, James M. Walker und Arlington W. Williams: Group Size and the Voluntary Provision of Public Goods: Experimental Evidence Utilizing Large Groups. In: Journal of Public Economics. Band 54, Nr. 1, 1994.
  3. Kagel, J. und D. Levin: Independent private value auctions: Bidder behavior in first, second, and third price auctions with varying numbers of bidders. In: Economic Journal. Band 103, 1993, S. 868–879.
  4. Andreoni, James: Giving with impure altruism: Applications to charity and Ricardian equivalence. In: Journal of Political Economy. Band 97, 1989, S. 1447–1458.
  5. Kahneman, Daniel, Jack L. Knetsch, und Richard H. Thaler,: Fairness and the assumptions of economics. In: Journal of Business. Band 59, 1986, S. 285–300.
  6. a b Levitt, Steven D. und John A. List: What Do Laboratory Experiments Measuring Social Preferences Reveal about the Real World? In: The Journal of Economic Perspectives. Band 21, Nr. 7, 2007, S. 153–174.
  7. a b McGinty, Matthew und Garrett Milam: Public Goods Contribution by Asymmetric Agents: Experimental Evidence. In: Social Choice and Welfare. 2012.
  8. Fehr, E. und K. M. Schmidt: A Theory of Fairness, Competition, and Cooperation. In: Quarterly Journal of Economics. Band 114, 1999, S. 817–868.
  9. Rege, Mari und Kjetil Telle: The impact of social approval and framing on cooperation in public good situations. In: Journal of Public Economics. Band 88, Nr. 7–8, 2004, S. 1625–1644.
  10. a b James Andreoni, William Harbaugh, Lise Vesterlund: The Carrot or the Stick: Rewards, Punishments, and Cooperation. In: The American Economic Review. Band 93, Nr. 3, 2003, S. 893–902.
  11. a b M. Sefton, R. Shupp, J. M. Walker: The Effect of Rewards and Sanctions in Provision of Public Goods. In: Economic Inquiry. Band 45, Nr. 4, 2007, S. 671–690.
  12. a b David G. Rand, Anna Dreber, Tore Ellingsen, Drew Fudenberg, Martin A. Nowak: Positive Interactions Promote Public Cooperation. In: Science. Band 325, 2009, S. 1272–1275.
  13. Simon Gächter, Elke Renner, Martin Sefton: The Long-Run Benefits of Punishment. In: Science. 322. Jahrgang, Nr. 5907, 2008, S. 1510, doi:10.1126/science.1164744 (science.org).
  14. Ulrich J. Frey, Hannes Rusch: An evolutionary perspective on the long-term efficiency of costly punishment. In: Biology & Philosophy. 27. Jahrgang, 2012, S. 811–831, doi:10.1007/s10539-012-9327-1 (springer.com).
  15. Dufwenberg, Martin, Simon Gächter und Heike Hennig-Schmidt: The framing of games and the psychology of play. In: Games and Economic Behavior. Band 73, Nr. 2, 2011, S. 459–478.
  16. Willinger, Marc und Antohny Ziegelmeyer: Framing and cooperation in public good games: an experiment with an interior solution. In: Economics Letters. Band 65, Nr. 3, 1999, S. 323–328.