Äolsharfe

Äolsharfe im Neuen Schloss von Baden-Baden, ca. 1885
Eine weitere Äolsharfe

Die Äolsharfe oder Aeolsharfe (auch Geister-, Wind- oder Wetterharfe genannt) ist ein Saiteninstrument, dessen Saiten durch Einwirkung eines Luftstroms zur Resonanz und somit zum Klingen gebracht werden. Ihr Name leitet sich von Aiolos, lateinisch Aeolus, dem Beherrscher der Winde in der griechischen Mythologie, her. Nach ihrer Bauart gehört die Äols- oder Windharfe zur Familie der Zitherinstrumente, nicht zu den Harfen.

Die Äolsharfe wird häufig als Sinnbild für den Poeten gesehen. Dieser Zusammenhang beruht auf dem Begriff des Afflatus.

Funktionsweise

Eine Äolsharfe besteht aus einem langen, schmalen Resonanzkasten (meist mit Schalllöchern), auf dem eine beliebig große Anzahl Saiten geringer Dichte (zum Beispiel Naturdarm- oder Nylonsaiten) über zwei Stege aufgespannt ist. Die Saiten sind in der Regel gleich lang, auf denselben Grundton gestimmt, aber unterschiedlich dick und haben gegebenenfalls unterschiedliche Oberflächenbeschaffenheit. Der Wind streicht über die Saiten und erzeugt dabei die sogenannten Äolstöne durch Luftwirbel (siehe auch Kármánsche Wirbelstraße). Durch diese werden die Saiten in Schwingung versetzt, die ihrerseits einen Ton erzeugen. Je nach Windgeschwindigkeit entstehen Melodiefolgen oder auch Akkorde, wenn die Obertöne der verschiedenen Saiten des Instruments angeregt werden. Der Klang gestaltet sich dynamisch, da je nach der Stärke des Windes die Akkorde vom Pianissimo zum Forte anschwellen und wieder verhallen. Durch entsprechende Leitwerke über den Saiten kann der Luftstrom und damit der Effekt einer Windharfe verstärkt werden.

Herkunft

Äolsharfen waren schon in der Antike bekannt. König David soll sein Instrument, das Kinnor, über sein Bett gehängt haben, um nachts dem Klang der durch den Wind angeregten Saiten lauschen zu können. Von Harfen, die durch den Luftzug erklingen, berichtet auch das Mittelalter, wo der Klang der Äolsharfe häufig mit Zauberei in Verbindung gebracht wurde. Der heilige Dunstan von Canterbury (10. Jahrhundert) soll ihre Wirkungsweise verbessert haben. Erste theoretische Erläuterungen der Äolsharfe gab Athanasius Kircher (1602–1680) in Musurgia universalis (1650) sowie Phonurgia nova (1673). Sie geriet dann in Vergessenheit und wurde Mitte des 18. Jahrhunderts von englischen Dichtern (James Thomson, William Collins, Tobias Smollett sowie Alexander Pope) wiederentdeckt. Im späten 18. und im 19. Jahrhundert gelangte das Instrument zu neuer Blüte und erfuhr instrumentenbauliche Weiterentwicklungen durch den deutschen Musiktheoretiker Heinrich Christoph Koch und den in Paris lebenden österreichischen Klavierbauer Ignaz Josef Pleyel.[1] Als Symbol fand es vielfach Eingang in literarische und musikalische Werke (Novalis, Jean Paul, E. T. A. Hoffmann, Herder, Justinus Kerner, Joseph von Eichendorff; Beethoven, Berlioz, Liszt, Reger, Schreker, Cowell, Henze und weitere).

In seinem 1977 erschienenen Album Dis verwendet der norwegische Saxophonist Jan Garbarek Aufnahmen einer Äolsharfe, die an einem Fjord aufgestellt war.

Verbreitung

In Verbindung mit einer Klaviatur spricht man bei einer Äolsharfe auch von einem Anemochord. Ein anderes, vom Wind angeregtes Saiteninstrument ist der von den Khoisan in Südafrika durch Anblasen gespielte Musikbogen Gora. Ebenfalls vom Wind angeregt werden die ostasiatischen Drachen-Musikbögen.

Ähnlich der Windharfe ist auch die Windharmonika, ein Schallrohr mit Stimmzungen, welche durch den Wind angeregt werden. Diese Instrumente wurden in Markneukirchen in den 1920er/1930er Jahren gebaut und erlebten um 1990 eine kurze Renaissance. Auf dem Dach des Musikinstrumenten-Museums Markneukirchen ist seit 1997 eine Windharmonika angebracht, gefertigt von der Firma Guriema.[2]

Eine Wind-Röhrenzither stellten nach einer Beschreibung von 1883 die indigenen Bewohner im Gebiet von Guyana her. Diese bestand aus einem zwei bis drei Meter langen Blattstängel der heimischen Palmenart Mauritiella armata, der senkrecht aufgestellt und aus dessen äußerer Schicht Saiten herausgeschnitten wurden. Nach dem Prinzip etwa der philippinischen Bambusröhrenzither kolitong wurden die Saiten durch an beiden Enden untergeschobene Stege auf Abstand gebracht.[3]

Bekannte Windharfen

Baden-Badener Windharfe auf Schloss Hohenbaden

1789 beschrieb Georg Christoph Lichtenberg im Göttinger Taschenkalender in der Rubrik Neue Erfindungen, physikalische und andere Merkwürdigkeiten eine 15-saitige, fast 100 Meter lange und auf der einen Seite fast 50 Meter hohe Wetterharfe in einem Garten in Basel. Die Saiten hatten Stärken von etwa zwei, drei und vier Millimetern und einen Abstand von etwa fünf Zentimetern. Da die Intensität der Klänge von der Tageszeit und der Himmelsrichtung der Ausrichtung der Saiten abhing und die Wetterharfe mit Eisensaiten, aber nicht mit Messingsaiten funktionierte, wurde die Ursache für die Tonerzeugung nicht nur in der Luftbewegung gesehen, sondern es wurden auch alle möglichen elektrischen, magnetischen und thermischen Effekte in Betracht gezogen. Erst 1825 erwähnte Ernst Florens Friedrich Chladni in der Zeitschrift Annalen der Physik, dass die Ursache der Tonentstehung bei dieser Riesen-Wetterharfe wohl ausschließlich im Wind zu suchen ist, da dieser im besagten Garten vorwiegend in einer Vorzugsrichtung geweht hat. Da Eisen einen etwa doppelt so hohen Elastizitätsmodul wie Messing hat, ist davon auszugehen, dass die Messingsaiten wegen der zu geringen realisierbaren Belastbarkeit nicht hinreichend stark gespannt werden konnten, um zum Klingen gebracht zu werden.

Die zurzeit größte Windharfe Europas steht im Rittersaal des Alten Schlosses in Baden-Baden. Die 1999 aufgestellte Harfe hat eine Gesamthöhe von 4,1 Meter und 120 Saiten, sie wurde von dem in der Region ansässigen Musiker und Harfenbauer Rüdiger Oppermann entwickelt und gebaut. Die Nylonsaiten werden vom Luftzug zu den Grundtönen C und G angeregt. Bereits von 1851 (?) bis 1920 gab es im Alten Schloss eine kleine Windharfe im Rittersaal. In der Musikinstrumentensammlung des Württembergischen Landesmuseums Stuttgart steht eine historisch besonders bemerkenswerte Rekonstruktion einer Äolsharfe mit Windfang, hergestellt durch den Konzertharfenbauer Rainer Thurau (Wiesbaden 1991).

Lyrik

Windharfe im „Turm der Lüfte“ des Universum Bremen (fertiggestellt 2007)

Eduard Mörike war vom Klang einer Äolsharfe so angetan, dass er ihr mit dem Gedicht An eine Äolsharfe 1837 ein Denkmal gesetzt hat, das sowohl von Johannes Brahms als auch von Hugo Wolf und Emil Kauffmann in Form eines Liedes mit Klavierbegleitung vertont worden ist:

Angelehnt an die Efeuwand
Dieser alten Terrasse,
Du, einer luftgebor'nen Muse
Geheimnisvolles Saitenspiel,
Fang' an,
Fange wieder an
Deine melodische Klage!
Ihr kommet, Winde, fern herüber,
Ach! von des Knaben,
Der mir so lieb war,
Frisch grünendem Hügel.
Und Frühlingsblüten unterweges streifend,
Übersättigt mit Wohlgerüchen,
Wie süß bedrängt ihr dies Herz!
Und säuselt her in die Saiten,
Angezogen von wohllautender Wehmut,
Wachsend im Zug meiner Sehnsucht,
Und hinsterbend wieder.
Aber auf einmal,
Wie der Wind heftiger herstößt,
Ein holder Schrei der Harfe
Wiederholt, mir zu süßem Erschrecken
Meiner Seele plötzliche Regung;
Und hier - die volle Rose streut, geschüttelt
All' ihre Blätter vor meine Füße!

Goethe hatte 1822 sein Gedicht Äolsharfen. Ein Gespräch verfasst, und bereits 1796 war der lyrische Beitrag des englischen Romantikers Samuel Taylor Coleridge zum Thema Äolsharfe erschienen.[4]

In Goethes Faust 1 wird in der vierten (letzten) Strophe der Zueignung Bezug genommen auf das Instrument.

Und mich ergreift ein längst entwöhntes Sehnen
Nach jenem stillen, ernsten Geisterreich,
Es schwebet nun in unbestimmten Tönen
Mein lispelnd Lied, der Äolsharfe gleich,
Ein Schauer faßt mich, Träne folgt den Tränen,
Das strenge Herz, es fühlt sich mild und weich;
Was ich besitze, seh ich wie im Weiten,
Und was verschwand, wird mir zu Wirklichkeiten.

Am Beginn von Faust 2 wird Ariels Gesang laut Regieanweisung „von Äolsharfen begleitet“.

Literatur

  • Jean-Georges Kastner: La harpe d’éole et la musique cosmique - Etudes sur les Rapports des Phénomènes sonores de la Nature avec la science et l’art - suivies de „Stephen“ ou la Harpe d’Eole, grand monologue lyrique avec choeurs. Brandus/Renouard, Paris 1856.
  • Kilian Jost: „Daß Harmonie in der Natur tief gründet (…) zeigt uns ganz besonders auch die Aeolsharfe“. Eine vergessene akustische Ausstattung des frühen Landschaftsgartens. In: Die Gartenkunst. 26 (2/2014), S. 201–208.
  • Athanasius Kircher: Musurgia Universalis, sive Ars Magna consoni et dissoni in X. libros digesta. 2. Rom 1650, S. 352–354.
  • Ilse Maltzahn: Die Äolsharfe. In: Die Gartenkunst. 2 (2/1990), S. 258–269.
  • Walter Windisch-Laube: A Magic Lantern Of Sound? The Aeolian Harp between Cheap Showmanship and Spiritual Mystery, here shown as a Catalyst within the History of Music. In: Mildorf, Seeber, Windisch (Hrsg.): Magic, Science, Technology, and Literature. Berlin 2006, S. 249–266.
  • Jan Brauers: Von der Äolsharfe zum Digitalspieler. 2000 Jahre mechanische Musik – 100 Jahre Schallplatte. Klinkhardt und Biermann, München 1984.
  • Mins Minssen, Georg Krieger, u. a.: Äolsharfen. Der Wind als Musikant. Erwin Bochinsky, Frankfurt 1997, ISBN 3-923639-14-7.
  • Athanasius Kircher: Neue Hall- vnd Thon-Kunst, Oder Mechanische Gehaim-Verbindungen der Kunst und Natur, durch Stimme und Hall-Wissenschafft gestifftet, Worinn ingemein der Stimm, Thons, Hall- und Schalles Natur, Eigenschafft, Krafft und Wunder-Würckung … in gleichen wie die Sprach- und Gehör-Instrumenta, Machinen und Kunst-Wercke … verfertiget werden. Übers. von Agatho Carione (d. i. Tobias Nisslen). Schultes, Nördlingen 1684, S. 104 ff.
  • A. Langen: Zum Symbol der Äolsharfe in der deutschen Dichtung. In: Festschrift J. Müller-Blattau. Kassel 1966.
  • Walter Windisch-Laube: Einer luftgebornen Muse geheimnisvolles Saitenspiel. Zum Sinn-Bild der Äolsharfe in Texten und Tönen seit dem 18. Jahrhundert. Are Verlag, Mainz 2004, ISBN 978-3-924522-18-6.
  • Johann Friedrich Hugo von Dalberg: Die Aeolsharfe. Erfurt 1801.
  • Aeolian Harp. In: Encyclopædia Britannica. 11. Auflage. Band 1: A–Androphagi. London 1910, S. 258 (englisch, Volltext [Wikisource]).
  • Athanasius Kircher: Phonurgia Nova sive Conjugium Mechanico-physicum Artis & Naturae paranympha phonosophia Concinnatum. Rudolphum Dreherr, Campidonae [Kempten i. Allgäu] 1673, S. 143–145.
  • Georg Christoph Lichtenberg: Beschreibung der Riesen-Wetterharfe unter Neue Erfindungen, physikalische und andere Merkwürdigkeiten. In: Göttinger Taschenkalender 1789. S. 129–134.
  • Heinrich Christoph Koch: Musikalisches Lexikon. Frankfurt am Main 1802.
  • Ernst Florens Friedrich Chladni: Wetterharfe. In: Annalen für Physik. 79 (1825), S. 471–473.

Weblinks

Commons: Aeolian Harps – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wiktionary: Äolsharfe – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Äolsharfe. In: Musik in Geschichte und Gegenwart.
  2. Heidrun Eichler, Gert Stadtlander (Red.): Musikinstrumenten-Museum Markneukirchen (= Sächsische Landesstelle für Museumswesen (Hrsg.): Sächsische Museen. Band 9). Deutscher Kunstverlag, Berlin/München 2000, ISBN 3-422-03077-8.
  3. Everard Im Thurn: Among the Indians of Guiana. Being sketches, chiefly anthropologic from the interior of British Guiana. Kegan Paul, Trench & Co., London 1883, S. 310 (archive.org).
  4. Samuel Taylor Coleridge – The Æolian Harp vom 20. August 1795 (Memento vom 16. November 2007 im Internet Archive)

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Windharfe.jpg
Autor/Urheber: Martin Dürrschnabel (Martin-D), Lizenz: CC BY-SA 2.5

Motiv:

Windharfe im Schloss Hohenbaden in Baden-Baden. Die derzeit größte Windharfe Europas mit 120 Saiten und 4.10 Höhe. Entwickelt und gebaut von Rüdiger Oppermann und 1999 im Rittersaal des Alten Schlosses aufgestellt. Fotografiert von Martin Dürrschnabel mit Kamera Sony DSC-F717.
Windharfe im Technikmuseum Universum, Bremen.jpg
Windharfe im „Turm der Lüfte“ im Universum, Bremen
Erläuterung:
Treten Sie an die Windharfe heran. Hören Sie ein vielstimmiges Konzert? --- Durch den Wind werden die Saiten der Windharfe in Schwingung versetzt. Je nach Windgeschwindigkeit ertönen leise oder laute Töne. Mit zunehmenden Wind werden neben den Grundtönen auch deren sogenannte Obertöne hörbar. Diese sind höher als der Grundton und ergänzen ihn harmonisch.