Boetius von Dacien
Boetius von Dacien (auch Boethius von Schweden; † vermutlich um 1284) war ein schwedischer bzw. dänischer Philosoph.
Leben
Boetius war vermutlich ein säkularer Kleriker und Kanoniker der Diözese von Linköping. Er ist der bekannteste Anhänger des Siger von Brabant und ein Führer der radikalen Aristoteliker und Averroisten, die vor allem in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts an der Artistenfakultät der Pariser Universität lehrten und deren spezifische Lehren 1270 und 1277 durch den Pariser Bischof Stephan Tempier verurteilt wurden. Nach 1277 floh Boetius mit Siger aus Paris und appellierte an den Papst. In Orvieto wurde er aber durch die päpstliche Kurie festgesetzt und schloss sich dem Dominikanerorden an, wobei er der Ordensprovinz Dacia (Dänemark) zugehörte.
Denken
Boetius verteidigte einen ungebändigten Rationalismus in dem Sinne, dass jeder Gegenstandsbereich rational untersuchbar sei und der Verstand auch Schlüsse begründen könne, die dem christlichen Glauben widersprächen. Beispielsweise hielt er die Schöpfung aus dem Nichts für ebenso unmöglich wie die Auferstehung der Toten und die Nichtewigkeit der Welt. In De summo bono erklärt er das Leben der Vernunft als philosophische Wahrheitsschau und tugendsame Lebensführung im Sinne des Aristoteles als höchstes Ziel menschlichen Lebens. Boetius versuchte aber einen Widerspruch zwischen Philosophie und Theologie zu vermeiden. Dazu teilte er zunächst deren Zuständigkeiten auf: die Philosophie untersucht die natürlichen Ursachen, die Religion dagegen gründet auf Übernatürlichem, die Theologie also in einer höherstufigen Erkenntnisquelle. Darum gebühre ihr in Konfliktfällen durchaus Vorrang und müsse, was philosophisch notwendig erscheint, etwa die Ewigkeit der Welt, den Offenbarungswahrheiten Platz machen. Man hat Boetius eine Lehre der doppelten Wahrheit zugeschrieben, tatsächlich aber scheint er stets vermieden zu haben, eine philosophische Schlussfolgerung wahr zu nennen, wenn sie dem Glauben widersprach.[1]
Werke
- De summo bono (englisch: Boethius of Dacia: On the Supreme Good, on the Eternity of the World, on Dreams, übers. von John F. Wippel, Pontifical Institute of Mediaeval Studies, Toronto 1987)
- De aeternitate mundi (deutsch: Bonaventura, Thomas von Aquin, Boethius von Dacien: Über die Ewigkeit der Welt. Mit einer Einleitung von Rolf Schönberger. Übersetzung und Anmerkungen von Peter Nickl, 2000)
- Martin Grabmann: Die Sophismataliteratur des 12. und 13. Jahrhunderts mit Textausgabe eines Sophisma des Boetius von Dacien. In: Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters. Band 36.1, Aschendorff, Münster 1940.
- The Sophisma Every Man Is of Necessity an Animal. In: Norman Kretzmann, Eleonore Stump (Hrsg.): The Cambridge Translations of Medieval Philosophical texts. Bd. 1: Logic and the Philosophy of Language. Cambridge University Press, Cambridge 1998, ISBN 0-521-28063-X.
- Modi significandi sive quaestiones super Priscianum Maiorem, Omnis homo de necessitate est animal, Topica. In Boethius von Dacien. Sprache , Wahrheit und Logik, Lateinisch - Deutsch. Übersetzt und eingeleitet von Stefan Schick. Herder. Freiburg im Breisgau 2018.
Literatur
- Angela Beuerle: Sprachdenken im Mittelalter. Ein Vergleich mit der Moderne. Studia Linguistica Germanica 99, De Gruyter, 2010.
- Sten Ebbesen: The Paris Arts Faculty: Siger of Brabant, Boethius of Dacia, Radulphus Brito. In: J. Marenbon (Hrsg.): Medieval Philosophy. Routledge, London und New York 1998, S. 269–290.
- Martin Grabmann: Die Opuscula De Summo Bono sive De Vita Philosophi und De Sompniis des Boetius von Dacien. In: Archives d’histoire doctrinale et du Moyen Age. Band 6, 1931, S. 287–317, leicht erweitert auch in: Mittelalterliches Geistesleben. Band 2, 1936, S. 200–224.
- Richard Heinzmann: Philosophie des Mittelalters. 3. Auflage, Stuttgart 2008.
- L. Hödl: Averroismus. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Band II. S. 285–287.
- L. Hödl: Aristotelesverbote. In: Lexikon des Mittelalters. Band I. München und Zürich 1980, S. 948f.
- Wolfgang Kluxen: Abendländischer Aristotelismus. V/1. Mittelalter. In: Theologische Real Enzyklopädie. Band 3. 1978, S. 783–789.
- Armand A. Maurer: Boetius of Dacia. In: Encyclopedia of Philosophy. Band 1. 1967, S. 628f.
- G. Sajó: Boetius de Dacia und seine philosophische Bedeutung. In: Miscellania Mediaevalia. Band 2: Die Metaphysik im Mittelalter. De Gruyter, Berlin 1963.
- Stefan Schick: Science is a Game that Theologians can't Play - Boethius of Dacia's Semantic Solution to the Problem of Double Truth. In: Classica et Mediaevalia 64 (2014), S. 371–408.
Weblinks
- Werke und Quellen
- Boetius von Dacien: De mundi aeternitate (Memento vom 30. Dezember 2013 im Internet Archive) (lateinisch)
- Boetius von Dacien: De Somniis (Memento vom 30. Dezember 2013 im Internet Archive) (lateinisch)
- Boetius von Dacien: De summo bono sive de vita philosophi (Memento vom 30. Dezember 2013 im Internet Archive) (lateinisch)
- Étienne Tempier: Opiniones ducentae undeviginti Sigeri de Brabantia, Boetii de Dacia aliorumque, a Stephano episcopo Parisiensi de consilio doctorum Sacrae Scripturae condemnatae 1277 (Memento vom 30. Dezember 2013 im Internet Archive) (lateinisch)
- Sekundärliteratur
- Alexander Baumgarten: Disputation on the Unity of the Intellect and the Birth of Parisian University Intellectual (Memento vom 31. August 2012 im Internet Archive) (PDF; 1,5 MB)
- Sten Ebbesen: Boethius of Dacia. In: Edward N. Zalta (Hrsg.): Stanford Encyclopedia of Philosophy, 2020.
- G. Klima: Boetius of Dacia on the supreme good
Einzelnachweise
- ↑ Maurer S. 629
Personendaten | |
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NAME | Boetius von Dacien |
ALTERNATIVNAMEN | Boethius von Schweden |
KURZBESCHREIBUNG | schwedischer Philosoph |
GEBURTSDATUM | 13. Jahrhundert |
STERBEDATUM | unsicher: um 1284 |