Société Franco-Belge

Firmenschild

Die Société Franco-Belge de Matériel de Chemins de Fer war ein französisches Maschinenbau-Unternehmen, das sich hauptsächlich auf den Bau von Schienenfahrzeugen sowie deren Komponenten und Zubehör spezialisiert hatte. Firmensitz war Raismes bei Valenciennes im Département Nord.

Vorgeschichte

Auf der Weltausstellung 1867 gezeigter Viehwagen

Im Jahr 1859 kaufte der belgische Unternehmer Charles Evrard die Firma Parmentier Freres et Cie aus La Croyère (bei La Louvière) auf. Er vereinigte sie mit seinen in Brüssel ansässigen Établissements Charles Évrard zur Compagnie Belge pour la Construction de Matériel de Chemins de Fer[1] mit einem Kapital von 1 Million Francs. Auf der Weltausstellung des Jahres 1867 zeigte diese eine Lokomotive, Personen- und Güterwagen sowie einen Schienendampfkran. 1872 bestellte die Grand Central Belge eine Lokomotive der Bauart Meyer, die vor Auslieferung auf der Weltausstellung 1873 in Wien ausgestellt wurde.[2][3]

Ab 1876 wurden auch Dampftriebwagen hergestellt, ab 1880 nach Lizenz Rowan, die gemeinsam mit Borsig erworben wurde. Bis 1891 entstanden bei beiden Unternehmen etwa 85 drei- und vierachsige Rowan-Straßen- und Nebenbahnen. Der erste dieser Triebwagen war ein Doppelstockwagen mit vier Achsen für 98 Passagiere, davon 8 in der ersten, 30 in der zweiten und 60 in der dritten Klasse im offenen Oberstock.[4]

Geschichte

Am 15. September 1881 ging die Firma in der Société Anonyme pour la Construction de Machines et Matériel de Chemins de Fer auf, an der die Banque franco-égyptienne beteiligt wurde. Die Fabrik in Brüssel wurde in jenem Jahr geschlossen. Neben La Croyère entstand, um französischen Protektionismus zu unterlaufen, 1882 ein zweites Werk in Raismes in Nordfrankreich.[5] Dort wurden zunächst nur in Belgien gefertigte Teile zusammengesetzt.

Charles Evrard starb im Jahr 1896. 1911 wurde die Firma in Société Franco-Belge de Matérial de Chemins de Fer umbenannt. Die hergestellten Lokomotiven und Eisenbahnwagen wurden nicht nur nach Frankreich und Belgien, sondern auch in asiatische, afrikanische und südamerikanische Länder verkauft. 1900 bekam die Gesellschaft sogar einen Auftrag von der britischen Barry Railway. Dies waren zugleich fünf von insgesamt nur acht Dampflokomotiven die jemals von französischen oder belgischen Unternehmen für das Vereinigte Königreich gebaut wurden.[6] Ein Exemplar davon wurde auf der Weltausstellung Paris 1900 gezeigt.[7] Bis 1914 wurden jährlich rund 50 Lokomotiven und mehr als 1500 Wagen gebaut. Hatten bis dahin Belgier den Vorstand des Unternehmens dominiert, so änderten sich die Eigentumsverhältnisse fortan zugunsten der Franzosen. Während des Ersten Weltkriegs sollte das Werk in Reismes Reparaturarbeiten für die deutschen Besatzer durchführen. Da dies verweigert wurde, wurde es vorübergehend zu einem Sägewerk umfunktioniert.

1927 wurde das Unternehmen in die Société Franco-Belge de Matériel de Chemins de Fer (mit Firmensitz im französischen Raismes) und die mit englischem Kapital gestützte Société Anglo-Franco-Belge de Matériel de Chemins de Fer (SAFB) (Sitz im belgischen La Croyère) aufgespalten.

1945 in Raismes gebaute Franco-Belge 040 KDL N° 10 bei der Museumsbahn Chemin de fer Froissy-Dompierre (CFCD)

In den 1930er Jahren baute die Société Franco-Belge de Matériel de Chemins de Fer in Raismes unter anderem Garratt-Lokomotiven für die algerischen Strecken der französischen Compagnie Paris-Lyon-Méditerranée[8] und Wagen für den Zug des äthiopischen Herrschers Haile Selassie.

Während der Deutschen Besetzung Frankreichs im Zweiten Weltkrieg wurden im Werk Raismes deutsche Lokomotiven repariert. Dessen Direktor Gilbert Bostsarron schloss sich 1941 der Résistance an. Als Mitglied der Widerstandsgruppe „Cohors“ im Département Nord warb er in seinem Werk Agenten für Nachrichtendienste und Sabotageakte an. Am 14. Dezember 1943 wurde er von den deutschen Besatzern verhaftet und am 20. Januar 1944 hingerichtet.

Für die Indian Railways entstanden in den frühen 1950er Jahren mehr als 80 Güterzugloks der Class WG. In den 1970er Jahren wurden in Raismes mehrere hundert Corail-Wagen für die SNCF und 118 U-Bahn-Wagen für die Metropolitan Atlanta Rapid Transit Authority im US-amerikanischen Atlanta gebaut.

1982 ging die Société Franco-Belge de Matériel de Chemins de Fer im Bahnkonzern Alsthom (seit 1998: Alstom) auf. In dessen Werk in Petite-Forêt nahe Raismes werden U-Bahn-Züge, Straßenbahnfahrzeuge und Doppelstockwagen gebaut.

Société Anglo-Franco-Belge (AFB)

(c) Gary Ruddy, CC BY-SA 3.0
1952 in La Croyère gebaute Schlepptenderlokomotive NG124 der südafrikanischen Baureihe NG 15

Die belgische Société Anonyme Anglo-Franco-Belge des Ateliers de la Croyère, Seneffe et Godarville (AFB) entstand 1939 durch den Erwerb zweier metallverarbeitender Fabriken in Seneffe und Godarville durch die SAFB. Während der Deutschen Besetzung Belgiens im Zweiten Weltkrieg baute das Unternehmen für die Deutsche Reichsbahn mehr als 100 Kriegsdampflokomotiven (KDL) und führte in deren Auftrag Reparaturen durch.

Dieselelektrische Lokomotive 1602 der CFL, umlackiert als belgische 202.020

1954 bestellte die Nationale Gesellschaft der Belgischen Eisenbahnen (NMBS/SNCB) bei AFB 40 dieselelektrische Streckenlokomotiven. Die weitgehend mit den NOHAB AA16 identischen Maschinen – selbst das Fahrpult wurde trotz des Linksverkehrs auf der rechten Seite angeordnet – entstanden als Baureihen 202 (mit Dampfheizkessel) für den Reisezug- und 203 (ohne Heizkessel) für den Güterzugdienst. Die vier zuletzt gelieferten Loks der Baureihe 204 wiesen ein verändertes Getriebe und eine größere Höchstgeschwindigkeit auf. Die dritt- bis sechstgebaute Maschine wurden an die Société Nationale des Chemins de Fer Luxembourgeois (CFL) nach Luxemburg ausgeliefert.[9]

Im Jahr 1964 wurde die Société Anonyme des Ateliers Germain aufgekauft und der Firmenname änderte sich in Société Anglo-Germain. Fehlende Aufträge und die Ankündigung einer möglichen Werksschließung führten zu einem Streik, der nationale Beachtung fand und sogar den Premierminister Paul Vanden Boeynants in die Fabrik führte. 1968 meldete der belgische Ableger der einstigen Société Franco-Belge Insolvenz an.

Commons: Société Franco-Belge – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Firmin Lentacker: La frontière francobelge. Service de reproduction des thèses, Univ. de Lille, 1974 eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche
  2. Rolf Ostendorf: Ungewöhnliche Dampflokomotiven von 1803 bis heute. Motorbuchverlag, Stuttgart 1978, ISBN 3-87943-406-9, S. 118.
  3. Abbildung der Lokomotive im Katalog von Franco-Belge. Abgerufen am 26. Mai 2024.
  4. Walter Hefti: Dampf-Strassenbahnen, Birkhäuser Verlag Basel (1984); ISBN 3-7643-1536-9, Hardcover; S. 37–40
  5. Odette Hardy-Hémery: Industries, patronat et ouvriers du Valenciennois pendant le premier XXè siècle. Atelier National Reproduction des Theses, Université Lille III, 1985 eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche
  6. Liste ausländischer Dampflokomotiven in Großbritannien. Abgerufen am 10. Mai 2022.
  7. France. Ministère du commerce, de l'industrie, des postes et des télégraphes (Hrsg.): Exposition universelle internationale de 1900 à Paris. Rapports du jury international. Groupe VI. Génie civil. Moyens de transport. Deuxième partie. Classes 32 (Tome I). Imprimerie nationale, Paris 1902, S. 396 (cnam.fr).
  8. PLMA Beyer-Garratt-Lokomotiven. Abgerufen am 10. Mai 2022.
  9. Reihen 52/53/54 der Belgischen Staatsbahnen in: Eisenbahn Journal Sonderausgabe 4/2003 NOHABs, S. 58 ff.

Koordinaten: 50° 23′ 10,1″ N, 3° 28′ 29,6″ O

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2010-05-08 sncb 202020 Saint Ghislain PFT-TSP.jpg
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Diesel locomotive 202.020 from belgian heritage railway association "Patrimoine Ferroviaire et Touristique" (PFT), as seen at the Saint Ghislain loc yard, owned by the association, during on open door event. This locomotive, build 1955 by Anglo Franco Belge under licence of General Motors' Electro Motive Division was originally purchased by the Belgian Railways (SNCB-NMBS) and sold to the Luxemburgish railways (CFL) before it's delivery, as part of Class 1600 with number 1602. Unlike it's belgian counterpart (Class 52, former type 202), the luxemburgish loc have stayed in their original bodywork (with US F-class based so calles "big nose" or "bulldog nose" style). PFT decided to by one of teh retired CFL locs and paint it back to the belgian livery of the sixties (green with yellow stripes making a kind of moustaceh on both ends). Since then, PFT also bought CFL's 1603 after the bankruptcy of the Vennbahn, another heritae railway. This one i sstill in his CFL livery.
Plaque de construction Raismes nord.JPG
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plaque de construction
Iron cattle truck, Compagnie Belge (Charles Evrard), Paris Exhibition, 1867.PNG
From the book text
The Compagnie Belge manufacturers of general machinery locomotive and rolling stock exhibit amongst their other railway plant a ten ton goods or cattle truck of which we now give drawings Fig 1 is a half elevation and half section Fig 2 a plan and Figs 3 and 4 a section and end view respectively. In its general dimensions and arrangement it corresponds exactly with similar vehicles in use on the Belgian states railways but with the exception of an oak flooring it is constructed entirely of iron The body is formed of panels sheet iron riveted on the outer side to angle and channel irons which latter surround the body of the truck in single lengths A door is placed on each of the four sides those at the being hung on hinges whilst the others are carried on rollers as seen in Fig I An inclined plane is placed at each end of the truck to facilitate the ingress and egress of cattle and the binges to which the doors are hung are arranged adapt themselves to the varying positions of the plane.
There are four sets of fixed louvres in each side of the Fig 1 which can be covered either partially or altogether the outside by sheet iron slides which work in grooves are moved by the handles shown in elevation
The frame is formed of two longitudinal channel irons connected by cross beams of an I section a judicious of gusset and stiffening pieces removing the necessity of any bracing Brackets are riveted to the outside of the frames to which the body of the truck is secured and the structure is mounted upon disc wheels furnished with Bessemer axles On referring to Fig 2 it will be seen that the draw hooks are connected with a central frame which runs along whole length ot the truck and is rivetted by gusset plates the end framing Tins forms a central support for the planking and takes the place of draw bar and springs The total of the vehicle is a little over 6 tons and nearly a ton than a similar truck constructed in wood".. see page 179 of source, Aug 30 1867
SAR Class NG 15 124 (2-8-2).JPG
(c) Gary Ruddy, CC BY-SA 3.0
SAR Class NG 15 124 (2-8-2)
Location: Van Stadens River Bridge
Franco Belge 040 KDL.jpg
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Locomotive construite par "Franco-Belge" à Raismes type 040 type KDL-11 (N° 2836 de 1945) de l'APPEVA (Chemin de fer Froissy-Dompierre).