Parzival (Tankred Dorst)

Parzival mit Herzeloyde im Walde
(um anno 1440 aus einer spätmittelalterlichen Bilderhandschrift)

Parzival ist ein Theaterstück von Tankred Dorst nach Vorbildern aus der Artursepik, das am 12. September 1987 unter der Regie von Robert Wilson im Thalia Theater Hamburg uraufgeführt wurde[1][A 1].

Inhalt

Parzivals Mutter, die verwitwete Königin Herzeloyde, hat sich mit ihrem Jungen in eine Waldeinsamkeit zurückgezogen. Auf die Frage nach dem Warum, erhält Parzival die Antwort: „Wenn du unter Menschen kommst, bringen sie dich um.“[2] Als bestes Beispiel nennt die Mutter den Tod von Parzivals Vater Gachmuret vor Bagdad.

Als am Waldrand zwei glitzernde Reiter warten, hält Parzival diese für Engel. Bei den beiden Herren handelt es sich um Gesandte des Königs Artus. Die Ritter Sir Bedivere und Sir Pinel le Savage[3] harren auf ihren Pferden aus. Parzival will gegen den Willen der Mutter ebenfalls Ritter werden. Bevor Herzeloyde dem Sohn noch einiges mit auf die Reise geben kann, stirbt sie.

Parzival, unterwegs zu König Artus, rastet bei Jeschute, zieht sie ganz aus und beißt ihr einen Finger ab. Sir Orilus, der Gatte Jeschutes, kommt hinzu.

Bei Hofe dann nimmt der Tod ein paar Kandidaten in Augenschein – als da wären Sir Orilus, Sir Lancelot, Sir Kay und Sir Gawain. Gleich nach seiner Ankunft will Parzival unbedingt zu König Artus vorgelassen werden. Die Ritter haben ihren Spaß mit dem Ankömmling, den sie für einen Wilden halten. Sir Gawain lässt sich im Scherz zum König krönen. Parzival, der – wie gesagt – auch Ritter werden möchte, will die rote Rüstung. Sir Gawain empfiehlt dem Jungen, dann müsse er sich die Schutzbekleidung eben von Sir Ither draußen auf dem Felde holen. Gesagt, getan. Parzival zieht wieder hinaus, trifft Ither und sticht ihm mit einem Ast die Augen aus. Die Attacke ist tödlich. Parzival legt sich die rote Rüstung des Toten an.

Am Hofe des Königs Artus gibt sich Sir Gawain zu erkennen, entschuldigt sich für den Spaß und bietet seine Hilfe – falls Parzival immer noch Ritter werden will – an. Parzival, der glaubt, mit der roten Rüstung bekleidet, sei er ein Ritter, lehnt das Anerbieten schroff ab und zieht hinaus. Auf der Suche nach Gott begegnet der Reiter auf dem weißen Pferd zuerst Sigune und reitet weiter.

Sir Gawain will dann mit ihm gehn. Parzival schlägt das wiederum aus. Der Reiter kann Gott in keinem der Länder finden. Wutentbrannt tötet er wahllos. Merlin, der dem Rasenden immer einmal in dieser oder jener Gestalt erscheint, ist darob erzürnt. Der junge Held nennt den alten Zauberer einen Narren und zieht weiter. Die zweite Schöne, der Parzival nach Sigune begegnet, ist Blanchefleur, die Geliebte des Pfauenritters. Parzival bringt letzteren kurzerhand um und legt sich gemeinsam mit dem Leichnam zu der schönen Frau ins Bett. Parzival liebe Blanchefleur nicht, gesteht er dem omnipräsenten Merlin. Der Zauberer verrät dem ruhelosen Reiter, weswegen dieser Gott nicht finden könne: Weil er immer der Stärkere sein möchte.[4] Parzival will Merlin mit dem Schwert erschlagen, doch die Waffe verwandelt sich in einen hölzernen Prügel. Am Wege tanzt Sir Galahad. Die beiden Ritter streiten, wer von beiden der Verrücktere sei; der Gottsucher oder der Tänzer?

Sodann gibt Tankred Dorst dem Zuschauer eine Vorstellung vom Gral – ein aufglühender Stein aus Luzifers Krone; ein Kelch, mit dem Blute des mit der Lanze verwundeten Christus gefüllt. Joseph von Arimathia feiert den Gral. Bilder vom Gral werden im Stück etliche geboten: So das wunderbare Licht über dem Gletschereis, in dem sich Galahad aufgelöst hat.

Parzival hat sich geirrt. Er und Blanchefleur werden doch noch ein Paar. Jenes Licht spielt wieder die Hauptrolle. Nackt liegen die Liebenden darin. Sir Gawain ist außer sich vor Freude. Parzival aber hält Gawain für den Versucher. Gawain bleibt dabei – Parzival sei ein Glücklicher. In der Gralsburg habe er das Wunder des Grals erlebt. Parzival winkt ab. Die Ritter am Tisch in der Burg hätten einen verwesten Eindruck gemacht. Und Gawains schönes Bild vom Gral wird weiter getrübt. König Amfortas[5] – unsäglich leidend – wird übers Feld getragen. Zwar leuchtet die Gralsschale, doch von der Lanzenspitze tropft Blut. Gawain muss erleben, wie sich Parzivals Sinne verwirren. Parzival erschlägt einen Vogel, den er für einen Stein gehalten hatte.

Schließlich glaubt Parzival in einem nackten Mann den Heiligen gefunden zu haben, der ihn von seinem Jähzorn befreien kann. Das erweist sich neuerlich als Irrtum. Der nackte Witwer hatte die Witwe seines Bruders geheiratet und diese seine zweite Frau später verlassen. Ohne Ernährer sind zwei der drei Kinder verhungert. Parzival schlägt das Inventar der Hütte des nackten Mannes kurz und klein und macht sich davon. In einer verfallenen Ziegelei hat Trevrizent[6] beim Geißeln die Kraft verloren. Parzival soll die Peitsche übernehmen und weitermachen. Er lehnt ob und bekommt von Trevrizent vorgeworfen, er sei in der Gralsburg ausersehen gewesen, habe jedoch mit seinem Schweigen versagt. Trevrizent zieht sich die Haut vom Leibe. Der Zuschauer erlebt die letzte Verwandlung in diesem Theaterstück. Trevrizent wird Merlin.

Wiederum strebt Parzival hinauf in die Gletscherregion des Grals. Blanchefleur – gleich zu Stelle – wärmt den Geliebten; bewahrt ihn vor dem Erfrieren.

Form

Tankred Dorst muss beigepflichtet werden: Die Geschichte hat kein Ende und ist Fragment geblieben.[7] Zudem wird der Zuschauer – auf das Mittelalter eingestimmt – mit schwer verständlichen Einschüben aus der Neuzeit vor den Kopf gestoßen.

Selbstzeugnis

Der Autor gibt als Quellen Wolfram von Eschenbach, Chrétien de Troyes und Malory an.[8]

Tankred Dorst notiert, beim Schreiben des „Parzival“ habe er manchmal an die deutschen Jungen gedacht, die einfältig-hochmütig gen Stalingrad[A 2][9] gezogen waren und sich hinterher gehasst hätten. Von deutscher Schuld[10] zu Kriegszeiten sei die Rede. Die große Frage sei: Kann die deutsche Gesellschaft solche Helden tolerieren?[11]

Inszenierungen

Literatur

Textausgaben

  • Parzival. Ein Szenarium. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1990, 166 Seiten. Mit Abbildungen. ISBN 3-518-40181-5
  • Parzival. Ein Szenarium. S. 7–91 in Tankred Dorst. Die Schattenlinie und andere Stücke. Mitarbeit Ursula Ehler. Werkausgabe 6 (Inhalt: Parzival. Fernando Krapp hat mir diesen Brief geschrieben. Herr Paul. Nach Jerusalem. Die Schattenlinie. Die Geschichte der Pfeile). Nachwort: Günther Erken. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1995 (1. Aufl.), ohne ISBN, 375 Seiten (Verwendete Ausgabe).

Sekundärliteratur

  • Peter Bekes: Tankred Dorst. Bilder und Dokumente. edition spangenberg, München 1991, ISBN 3-89409-059-6.
  • Heinz Ludwig Arnold (Hrsg.): text + kritik Heft 145: Tankred Dorst. Richard Boorberg Verlag, München im Januar 2000, ISBN 3-88377-626-2.
  • Gero von Wilpert: Lexikon der Weltliteratur. Deutsche Autoren A–Z. Stuttgart 2004, ISBN 3-520-83704-8, S. 126, linke Spalte.

Anmerkungen

  1. Bei Bekes finden sich auf den S. 64–65 drei Abbildungen zu der Uraufführung. Die Abbildung auf S. 64 zeigt den nackten Mann auf einer Zeichnung von Johannes Grützke (siehe auch unter „Inhalt“). Das Foto auf S. 65 oben zeigt Tankred Dorst und Ursula Ehler bei der Arbeit mit Robert Wilson und auf derselben Seite unten ein Bühnenbild: Galahad im Wahnsinn (siehe unter „Inhalt“) – Fotografinnen: Elisabeth Henrichs und Karin Rocholl.
  2. Sich selbst kann der Autor im Zusammenhang mit dem folgenschweren Feldzug gen Osten nicht gemeint haben. Dorst wurde erst 1944 an die Westfront eingezogen.

Einzelnachweise

  1. Verwendete Ausgabe, S. 375, erster Eintrag
  2. Verwendete Ausgabe, S. 15, 3. Z.v.u.
  3. Cousin von Lamorak (eng.)
  4. Verwendete Ausgabe, S. 50, 4. Z.v.u.
  5. Anfortas (Memento des Originals vom 24. Mai 2013 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/mediaewiki.org
  6. Trevrizent (Memento des Originals vom 25. Februar 2013 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/mediaewiki.org
  7. Tankred Dorst in der verwendeten Ausgabe, S. 91, 7. Z.v.u.
  8. Tankred Dorst in der verwendeten Ausgabe, S. 90, 12. Z.v.u.
  9. Tankred Dorst in der verwendeten Ausgabe, S. 91, 4. Z.v.o.
  10. Tankred Dorst in der verwendeten Ausgabe, S. 91, 15. Z.v.o.
  11. Tankred Dorst in der verwendeten Ausgabe, S. 91, 4. Z.v.u.
  12. Günther Erken bei Arnold, S. 87, linke Spalte, 3. Eintrag v.u.

Auf dieser Seite verwendete Medien

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Herzeloyde und Parzival im Wald von Soltane. Aus: Wolfram von Eschenbach, Parzival (Handschrift), Hagenau, Werkstatt Diebold Lauber, um 1443-1446, Cod. Pal. germ. 339, I. Buch, Blatt 87r.
  • Bildtitel: Herzeloyde und Parzival im Wald von Soltane
  • Transkription Bildüberschrift: Also fröwe hertzeloide iren suon parcifalen in einem walde zoch