Naturhistorisches Museum der Universität Göttingen

Gebäude des Naturhistorisches Museum zur Zeit des nachfolgenden Zoologischen Museums mit Vorgarten, Ansicht von Nordosten (2011)

Das Naturhistorische Museum Göttingen war ein Universitätsmuseum und Institutsgebäude der Georg-August-Universität in Göttingen in Niedersachsen (Berliner Straße 28). Es war eine Nachfolgeinstitution des Königlich Academischen Museums. Der in den 1870er-Jahren außerhalb der Wallanlagen neben dem Tierärztlichen Institut und der Anatomie in Nähe des Bahnhofes errichtete Museumsbau ist nach jahrzehntelanger Zwischennutzung u a. als Zoologisches Museum Göttingen seit Juni 2022 Sitz des Universitätsmuseums Forum Wissen.

Bau und ursprüngliche Nutzung des Gebäudes

Stadtkarte Göttingen von 1910 mit Lage des Naturhistorischen Museums an der Bahnhofstraße (heute nach Osten verschwenkt als Berliner Straße), in Schräglage ausgerichtet auf den nördlich liegenden Bahnhof.

Das 1873–1879[1] nach Entwürfen der Berliner Architekten Alfred Lipschitz und Albert Kortüm erbaute Naturhistorische Museum markierte den Beginn des preußischen Hochschulbaus in Göttingen. Vorangegangen waren ab 1867 Planungen des Göttinger Universitätsbaumeisters Friedrich Doeltz im auch nach der preußischen Annexion des Königreichs Hannover von 1866 noch hannoversch geprägten Baustil.[2][3] Doeltz überwarf sich mit der preußischen Bauverwaltung und musste 1871 eine „möglicherweise auch politisch motivierten Versetzung“[4] nach Stade hinnehmen. Der nunmehr in Berliner Tradition errichtete und 1879 eingeweihte Neubau stand allerdings „als Gemeinschaftsbau für verschiedene deskriptive Naturwissenschaften noch ganz in der Tradition der naturhistorischen Sammlungen“.[5] Denn trotz der Bezeichnung als Museum sollten auch alle Funktionen von auf Forschung und Lehre ausgerichteten Universitätsinstituten aufgenommen werden.[5]

In dem breitgelagerten, dreigeschossigen Bau mit einer mittenbetonten Natursteinfassade und einem „renaissancehaften Rundbogenstil“[6] waren drei Institute strikt getrennt: Im Erdgeschoss links die Mineralogie und rechts die Paläontologie mit einer angegliederten Provinzialsammlung, die in einem 2015 abgerissenen, rückwärtigen Rundanbau untergebracht war. Im ersten Obergeschoss lag die Zoologie, darüber befanden sich zoologische Sammlungen. Das Sockelgeschoss diente mit chemischem Labors und Dienerwohnungen für alle drei Institute.[7] Im symmetrisch gegliederten Außenbau ist die ursprüngliche Funktionsdreiteilung nicht erkennbar, sondern wird in zwei bauzeitlichen Inschriftentafeln auf Geologie und Zoologie verkürzt.

Die Raumdispositionen des Naturhistorischen Museums und die eigens entwickelten Sammlungsschränke sind bald nach der Fertigstellung musterhaft in der Architekten-Fachliteratur veröffentlicht worden.[1][8]

1902[9] wurde der Bau rückseitig um weitere Flügel ergänzt, die u. a. einen Hörsaal, Lehr- und Studienräume sowie Labore und Büros enthielten. Das Museum gliederte sich nun in die vier Abteilungen Mineralogie/Geologie, Zoologie, Anthropologie und Ethnographie.

Bis Ende der 1930er Jahre waren die anthropologischen, ethnologischen und geowissenschaftlichen Sammlungen aus dem Museum ausgezogen. Seitdem befand sich (bis zum Umbau 2017) weiterhin das Zoologische Museum der Universität mit seinen umfangreichen Sammlungen im Gebäude, was im Inneren eine starke architektonische Überformung durch Einbauten mit sich brachte.[10]

Historische Pläne

Umbau zum Forum Wissen und Kritik

Im Juni 2022 eröffnete das interdisziplinäre Universitätsmuseum Forum Wissen im ehemaligen Zoologischen und vormaligen Naturhistorischen Museum.

Nach ersten Ideen zu einem Wissenschaftsmuseum ab 2011 begannen die tiefgreifenden Umbau- und Umnutzungsarbeiten 2017,[12] unter Leitung des Universitätsbaumanagements und geplant von einer Arbeitsgemeinschaft (Arge Forum Wissen) aus den Architekturbüros Dr. Krause + Pfohl und gildehaus.partner, beide aus Weimar.[13][14][15] Nach außen drückte sich die Umnutzung vor allem durch einen voluminöse Dachaufbau mit Metallverkleidung[16] und gestalterisch kontrastierende Anbauten auf der Rückseite aus. Der Umbau des Haupteingangs zum Museumsgebäude wurde wegen des gravierenden Substanzeingriffs in die repräsentative, nunmehr „zerschnittene Freitreppe[17] kritisiert.[18] Auch die im Zuge der Umbauarbeiten vollständig zu einer „Steinwüste“ befestigten Flächen des ehemaligen Museums-Vorgartens fanden 2023 heftige Kritik in Presseöffentlichkeit und Politik.[19][20][21]

Weiterer Ausbau

Durch weitere Ausbauten sollen in dem Gebäude zukünftig im zweiten Obergeschoss und in den rückwärtigen Bereichen noch das Biodiversitätsmuseum Göttingen[22] sowie das Thomas-Oppermann-Kulturforum[23] hinzukommen. Dadurch würden weitere 2500 Quadratmeter Nutzfläche in die Neunutzung des Gebäudes einbezogen.

Im Nordflügel wird das Kulturforum eine Bühne für den Austausch zwischen Wissenschaft, Kultur und Öffentlichkeit sowie für Konzerte und Lesungen bieten.[24]

Siehe auch

Literatur

  • Christine Nawa: Sammeln für die Wissenschaft? Das Academische Museum Göttingen (1773–1840). 2010 überarbeitete Fassung der Magisterarbeit an der Universität Göttingen von 2005. (PDF/Digitalisat, 1,85 MB, auf ediss.uni-goettingen.de, abgerufen am 6. Juni 2022.)
  • Kortüm: Sammlungsschränke des naturhistorischen Museums in Göttingen. In: Zeitschrift für Bauwesen, Jg. 36, 1886, Sp. 481–488 (Digitalisat auf digital.zlb.de, abgerufen am 7. Juni 2022).
  • Alfred Oberdiek: Göttinger Universitätsbauten. Die Baugeschichte der Georg-August-Universität. Verlag Göttinger Tageblatt, 2. Auflage Göttingen 2002, ISBN 3-924781-46-X (Digitalisat auf gt-extra.de, abgerufen am 7. Juni 2022), S. 64–65.
  • Gert Tröster: Zoologisches Museum. In: Die Sammlungen, Museen und Gärten der Universität Göttingen. 2. aktualisierte und erweiterte Auflage, Universitätsverlag Göttingen, Göttingen 2018, ISBN 978-3-86395-338-6 (Digitalisat auf univerlag.uni-goettingen.de, abgerufen am 6. Juni 2022), S. 102–103.
  • Rainer Willmann: Das Zoologische Museum der Universität Göttingen. In: „Ganz für das Studium angelegt.“ Die Museen, Sammlungen und Gärten der Universität Göttingen. Hrsg. Dietrich Hoffmann, Kathrin Maack-Rheinländer, Wallstein Verlag, Göttingen 2001, ISBN 3-89244-452-8, S. 249–259.
  • Eduard Schmitt: Mineralogische und geologische Institute. In: Handbuch der Architektur, Bd. IV, 6, 2a, zweite Auflage, Alfred Kröner Verlag, Stuttgart 1905, S. 393 (Fig. 327, 328; Digitalisat auf daten.digitale-sammlungen.de, abgerufen am 24. Juli 2023), S. 394, S. 444 (Digitalisat auf daten.digitale-sammlungen.de, abgerufen am 24. Juli 2023).
  • Christine Nawa: Zum „öffentlichen Gebrauche bestimmt“: Das Academische Museum Göttingen. In: Göttinger Jahrbuch, Bd. 58, 2010, S. 23–62.
  • Dieter Nägelke: Hochschulbau im Kaiserreich. Historistische Architektur im Prozess bürgerlicher Konsensbildung. Ludwig, Kiel 2000, ISBN 978-3-933598-09-7, S. 330–332.

Einzelnachweise

  1. a b Kortüm: Sammlungsschränke des naturhistorischen Museums in Göttingen. In: Zeitschrift für Bauwesen, Jg. 36, 1886, Sp. 481–488, hier Sp. 481.
  2. Christian Freigang: Architektur und Städtebau von der Mitte des 17. Jahrhunderts bis 1866. In: Ernst Böhme, Rudolf Vierhaus (Hrsg.): Göttingen, Geschichte einer Universitätsstadt. Band 2: Vom Dreißigjährigen Krieg bis zum Anschluss an Preußen – Der Wiederaufstieg als Universitätsstadt (1648–1866). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2002, ISBN 3-525-36197-1, S. 765–812, hier S. 811 f.
  3. Bärbel Schwager: Das Göttinger Auditoriengebäude von 1862/65. Ein Beitrag zur Universitätsarchitektur im 19. Jahrhundert und zur Hannoverschen Variante des Rundbogenstils. Peter Lang, Frankfurt am Main 1995 (Europäische Hochschulschriften, Reihe 37, Architektur, Bd. 16), ISBN 3-631-48702-9, S. 299 ff.
  4. Thomas Appel: Göttinger Künstlerlexikon. Maler – Grafiker – Bildhauer – Architekten. Vom 14. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts. Universitätsverlag Göttingen, Göttingen 2022, ISBN 978-3-86395-504-5, S. 244.
  5. a b Dieter Nägelke: Hochschulbau im Kaiserreich. Historistische Architektur im Prozess bürgerlicher Konsensbildung. Ludwig, Kiel 2000, S. 330–332, hier S. 330.
  6. Dieter Nägelke: Hochschulbau im Kaiserreich. Historistische Architektur im Prozess bürgerlicher Konsensbildung. Ludwig, Kiel 2000, S. 330–332, hier S. 331. Nägelke zitiert hier Helmut Börsch-Supan.
  7. Dieter Nägelke: Hochschulbau im Kaiserreich. Historistische Architektur im Prozess bürgerlicher Konsensbildung. Ludwig, Kiel 2000, S. 330–332, hier S. 331.
  8. Eduard Schmitt: Mineralogische und geologische Institute. In: Handbuch der Architektur, Bd. IV, 6, 2b, zweite Auflage, Alfred Kröner Verlag, Stuttgart 1905, S. 393 (Fig. 327, 328), 394, 444.
  9. Dieter Nägelke: Hochschulbau im Kaiserreich. Historistische Architektur im Prozess bürgerlicher Konsensbildung. Ludwig, Kiel 2000, S. 330–332, hier S. 332.
  10. Rainer Willmann: Das Zoologische Museum der Universität Göttingen. In: „Ganz für das Studium angelegt.“ Die Museen, Sammlungen und Gärten der Universität Göttingen. Wallstein Verlag, Göttingen 2001, ISBN 3-89244-452-8, S. 249–259.
  11. Biodiversitätsmuseum Göttingen. Konzept und Storyline. Vorgestellt von der Georg-August-Universität Göttingen und Kunstraum GfK mbH – vivid exhibitions. Universitätsverlag Göttingen, Göttingen 2021, ISBN 978-3-86395-487-1 (Digitalisat auf univerlag.uni-goettingen.de, abgerufen am 26. Februar 2023) S. 12–13.
  12. Regina Lange: Feierliche Einweihung FORUM WISSEN. In: campuspost.goettingen-campus.de. Georg-August-Universität Göttingen, 2. Juni 2022, abgerufen am 6. Juni 2022.
  13. Forum Wissen, Göttingen. Architekturbüro Alexander Pfohl, Weimar, abgerufen am 6. Juni 2022.
  14. Das Forum Wissen und seine Architekten. In: blog.forum-wissen.de. Georg-August-Universität Göttingen, 14. März 2018, abgerufen am 6. Juni 2022.
  15. Robert Förster: Sanierung und Umnutzung von Gebäuden unter Denkmalschutz. In: Räume des Wissens. Die Basisausstellung im Forum Wissen. Hrsg. Marie Luisa Allemeyer, Joachim Baur, Michael Fürst, Karsten Heck, Christine Nawa, Christian Vogel. Wallstein Verlag, Göttingen 2022, ISBN 978-3-8353-5189-9, S. 358–359.
  16. Lea Lang: Forum Wissen jetzt von Weitem gut erkennbar. In: goettinger-tageblatt.de. 7. Mai 2022, abgerufen am 6. Juni 2022.
  17. Biodiversität in der Steinwüste? In: Göttinger Tageblatt, 18. Februar 2023, S. 13 (Leserbrief von Bettina Lange-Malecki).
  18. Göttinger Forum Wissen: Kritik am geplanten Umbau des Portikus. In: goettinger-tageblatt.de. 12. April 2019, abgerufen am 6. Juni 2022.
  19. Elena Everding: Steinwüste am Groner Tor: Wem gehört die Stadt? (Kommentar) auf goettinger-tageblatt.de, 16. Februar 2023, abgerufen am 18. Februar 2023.
  20. Elena Everding: Großteil der Fläche versiegelt. Steinwüste statt Pflanzen: Warum verlor das Groner Tor sein Grün? In: goettinger-tageblatt.de. Göttinger Tageblatt, 16. Februar 2023, abgerufen am 18. Februar 2023.
  21. Elena Everding: Verschwindet die Steinwüste doch noch? In: Göttinger Tageblatt, 19./19. Februar 2023, S. 9.
  22. Museum. In: biodivmuseum.de. Biodiversitätsmuseum Göttingen, abgerufen am 6. Juni 2022.
  23. a b Willkommen zum Thomas-Oppermann-Kulturforum. In: uni-goettingen.de. Georg-August-Universität Göttingen, abgerufen am 6. Juni 2022.
  24. Forum Wissen – Über uns. In: forum-wissen.de. Georg-August-Universität Göttingen, abgerufen am 15. Juni 2022.

Koordinaten: 51° 32′ 3″ N, 9° 55′ 35″ O

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