Krematorium Berlin-Baumschulenweg

Krematorium Baumschulenweg

Das Krematorium Berlin-Baumschulenweg ist eine Feuerbestattungsanlage mit Sakralgebäude im Berliner Ortsteil Baumschulenweg, der zum Bezirk Treptow-Köpenick gehört. Es wurde von den Berliner Architekten und Stadtplanern Axel Schultes und Charlotte Frank entworfen, die durch ihren Entwurf für das Band des Bundes sowie das Bundeskanzleramt bekannt wurden.

Lage

Das Krematorium liegt auf dem Alten Städtischen Friedhof, der im Norden an den Britzer Verbindungskanal angrenzt. Von Westen nach Süden wird das Gelände durch die Südostallee begrenzt, während von Norden in südöstlicher Richtung die Kiefholzstraße die Grenze zwischen dem Alten und dem Neuen Städtischen Friedhof darstellt. Hier befinden sich auch der Besuchereingang sowie ein Parkplatz.

Geschichte

1910 bis 1945

Mit der Einführung der Feuerbestattung in Preußen im Jahr 1911 wurde auf dem Standort des heutigen Krematoriums von den Architekten Bientz und Bardenheuter in den Jahren 1911 bis 1913 ein neoklassischer Zentralbau mit Kuppel errichtet. In der Zeit des Nationalsozialismus wurden ab 1940 rund 2000 getötete Insassen aus den Konzentrationslagern Dachau und Sachsenhausen mit Güterwagen hierher zur Einäscherung gebracht. Auch Opfer der Euthanasie-Versuche wurden hier verbrannt.[1]

1950 bis 1990

Das Gebäude wurde im Zweiten Weltkrieg stark beschädigt und in den Jahren 1950 bis 1952 wieder aufgebaut, wenn auch in einfacherer Ausführung.[2]

Die DDR nutzte die Anlage später wiederum zur heimlichen Einäscherung von Todesopfern der Berliner Mauer, beispielsweise Klaus Garten,[3] oder anderer Personen, deren Todesumstände verschleiert werden sollten, wie Rudolf Berger.[4]

Seit 1991

Nach der Wende sollte das Krematorium aufgrund von Baumängeln abgerissen werden. 1992 schrieb das Land Berlin einen internationalen Architektenwettbewerb aus, den das Büro Schultes und Frank gewann. Drei Jahre später erfolgte der Abriss, 1996 der Neubau des Gebäudes, das schließlich am 3. Mai 1999 mit der ersten Trauerfeier eingeweiht wurde.[5] Es galt zu dieser Zeit als modernste Einäscherungsanlage in Europa.[6] Die Baukosten beliefen sich auf rund 60 Millionen DM und wurden in Form einer Public Private Partnership von einer Leasingfirma aus Eschborn vorfinanziert. Der Senat ist seitdem in der Verantwortung, in den nächsten 30 Jahren jährlich fünf Millionen DM, d. h. in Summe 150 Millionen DM (umgerechnet rd. 75 Millionen Euro) zur Tilgung der Leasing-Raten aufzubringen.[7]

In den ersten Jahren traten diverse Mängel am neuen Gebäude auf. So war das Dach undicht, und wegen Defekten an den Verbrennungsöfen musste die gesamte Anlage zeitweise stillgelegt werden.[8]

Architektur

Rückseitige Kellerausfahrt des Krematoriums

Das Gebäude besteht aus einem fugenlosen Quader mit den Abmessungen 48,96 × 67,20 Meter. Bei einer Gebäudehöhe von 11 Metern wurden 4.058 m² Fläche bebaut, was einer Bruttogeschossfläche von 9.339 m² entspricht. Die Oberfläche besteht aus einer Sichtbeton-Fassade, die durch vorgelagerte und zurückgesetzte Räume durchbrochen wird. Die Fenster sind mit türkisgrauen Lamellen verkleidet. Diese verjüngen sich in ihrem Abstand nach oben hin und können verstellt werden. So kann zum einen der Lichteinfall gesteuert werden, zum anderen können die Trauerräume gegen Blicke von außen abgeschirmt werden. Der symmetrisch geformte Baukörper wird nur durch drei skulptural ausgeformte Schornsteine durchbrochen, die bündig an der Westseite angebracht sind und einen Hinweis auf die Funktion geben. Das Bauwerk wird in Fachkreisen zu den wichtigsten Sichtbetonbauwerken des 20. Jahrhunderts gezählt. Begründet wird dies u. a. durch die Verwendung von Hochofenzement der Güteklasse CEM II/B, durch die eine minimale Rissneigung erreicht werden konnte.[9] Es wurde ein aufsteigend variables Höhenraster von 82 bis 105 cm genutzt, wodurch die großen Sichtbetonflächen den Eindruck „riesiger Gesteinsblöcke“ vermitteln.[10] Neben der glatten Betonoberfläche sollte die Wandschalung in der Deckenschalung ohne Plattenstöße fortgeführt werden. Die Rödellöcher sind in der Haupthalle offen, während sie in den Trauerhallen bis zu einer Höhe von rund drei Metern verschlossen wurden.

Schultes und Frank erhielten für ihren Entwurf im Jahr 1999 den Architekturpreis Beton.[11] Die Jury lobte dabei unter anderem die „Vermischung von seelenvollem Pathos und funktionaler Flexibilität“ eines Gebäudes, in dem der „Beton gleichsam zum Leuchten gebracht wird.“[12]

(c) Wolfgang Reich – CC-BY-SA-4.0
Säulenhalle des Krematoriums

Der Innenraum auf quadratischem Grundriss wird durch 29 Säulen dominiert, die mit schmalen Kragarmen ausgestattet sind. Die Säulen sind teilweise in Gruppen angeordnet, teilweise einzeln aufgestellt und erinnern durch ihre Lichtkapitelle sowohl an einen römischen Tempel als auch an einen Sternenhimmel (campo stella).[13] Teilweise wird sogar der Vergleich zum ägyptischen Karnak-Tempel oder der Moschee von Córdoba gezogen.[14] Die Verbindung zwischen der Stütze und der Decke wird durch einen schmalen Anschluss in der Deckenebene hergestellt. Die Säulen schaffen durch ihre unregelmäßige Position in der Halle zusätzliche virtuelle Räume, in die sich die Trauernden zurückziehen können. Im Gegensatz zu anderen Krematorien ermöglicht die Halle daher einen individuellen Rückzug. Dies wird auch dadurch unterstrichen, dass es keinen zentralen Eingang gibt, sondern die Halle über mehrere Türen an unterschiedlichen Seiten des Gebäudes betreten bzw. wieder verlassen werden kann. In der Mitte der Halle befindet sich ein kleines Wasserbecken, über dem ein Marmor-Ei schwebt. Dies soll Tod und Wiedergeburt symbolisieren. In die Wände sind 13 symbolische Türen eingelassen, die teilweise mit Sand aufgeschüttet sind und so an die Ewigkeit erinnern sollen.[15] In anderen Quellen wird der Eindruck einer antiken Grabkammer geschildert.[16] Wandschmuck oder Ornamente sind nicht vorhanden, lediglich eine spartanische Möblierung in der türkisgrauen Farbe porschegrün.[17] Zur Formensprache befragt, sagte Schultes:

„Es galt einen Ort herzustellen, der das Vergängliche und das Endgültige ausbalanciert, das Schwere deutlich und Erleichterung möglich macht.“

Axel Schultes[18]

Die Halle dient auch als Zugang zu drei Räumen, die für Trauerfeiern zur Verfügung stehen. Der Lichteinfall ist dabei so gestaltet, dass sich die Trauergemeinde im eher abgedunkelten Teil des Gebäudes befindet, während die Urne im erleuchteten Bereich platziert werden kann. Die Leiterin des Krematoriums Sylvia Wachholz beschreibt es mit den Worten: „Das Dunkle, das Morbide – das findet sich hier nicht.“.[19]

Die Bauakustik wurde vom Berliner Akustik Ingenieurbüro Moll gestaltet[20] und erlaubt es, Konzerte vornehmlich in der Osterzeit, aber auch zum Totensonntag abzuhalten.[21]

Technik

Keller des Krematoriums

Das Krematorium verfügt in zwei Untergeschossen über ein Kühllager für 628 Särge sowie ein Sonderkühllager für die Gerichtsmedizin mit 24 Plätzen. Die Särge werden nach der Anlieferung (über die Südostallee) elektronisch erfasst und mit einem Strichcode versehen. Zusätzlich wird ein feuerfester Stein mit einer individuellen Nummer dem Sarg hinzugefügt. Damit kann die Asche nach der Kremation der Leiche eindeutig zugewiesen werden. Die Verbrennung erfolgt weitgehend automatisch; so wird beispielsweise der Sarg durch ein über Induktionsschleifen gesteuertes Hubgerät per Knopfdruck zum Ofen transportiert. Die Einäscherungsanlage besteht aus insgesamt drei Etagen-Kremationsöfen, die in einem Dreischicht-Betrieb an fünf Tagen in der Woche genutzt werden kann. Durch drehbare Stahlplatten können bis zu drei Särge gleichzeitig verbrannt werden, ohne dass es zu einer Vermengung der Gebeine kommt. So sind bis zu 10.000 Einäscherungen pro Jahr möglich.[22] Die Öfen sind mit einer Rauchgasnachbrennkammer ausgestattet, in der Rauchgase durchmischt werden, um sie anschließend mit einem Nachbrenner bei mindestens 850 °C zu verbrennen. Hierdurch wird eine Schadstoffbelastung für die Umwelt vermindert.[23] Drei weitere Öfen sind vorbereitet, aber noch nicht mit Schamott verkleidet. Die Kellerräume wurden mit denselben architektonischen Mitteln gestaltet: Sichtbeton mit offenen Schalungsankern sowie türkisgraue Geländer, Türen und Fensterrahmen. Damit besteht kein Unterschied zwischen der funktionalen Kremation im Keller und der Architektur und Trauer im Obergeschoss.

Sonstiges

Literatur

  • Das Krematorium Baumschulenweg in Berlin Treptow. In: Beton-Informationen, Jahrgang 42, Nr. 2, 2002, S. 30–35, ISSN 0170-9283.
  • Thomas M. Krüger: Krematorium Berlin. 1. Auflage. 2008, ISBN 978-3-86711-051-8

Weblinks

Commons: Krematorium Baumschulenweg – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Ein Weg wird zur Straße, u. a. mit Geschichtshinweisen zum Krematorium; abgerufen am 6. März 2020.
  2. Geschichte des Krematoriums. krematorium-berlin.de; abgerufen am 24. Mai 2020.
  3. Geschichte von Klaus Garten auf berliner-mauer-gedenkstaette.de (Memento des Originals vom 24. März 2013 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.berliner-mauer-gedenkstaette.de, abgerufen am 12. November 2011.
  4. Geschichte von Rudolf Berger. 17juni53.de; abgerufen am 12. November 2011.
  5. Daten und Fakten des Krematoriums auf krematorium-berlin.de, abgerufen am 24. Mai 2020.
  6. Norbert Fischer: Die Industrialisierung des Todes: Feuerbestattung und Krematoriumsbau. auf n-fischer.de, abgerufen am 21. November 2015.
  7. Reiner Fischer: Konkurrenzkampf unter Krematorien. In: Welt Online. 16. Februar 2000, abgerufen am 14. November 2011.
  8. Neues Krematorium stillgelegt. In: Berliner Zeitung, 23. Februar 2002.
  9. Krematorium Baumschulenweg auf baufachinformation.de, abgerufen am 12. November 2011.
  10. Schalungen und Gerüste im Krematorium Berlin. baunetzwissen.de; abgerufen am 12. November 2011.
  11. Bundesverband der Deutschen Zementindustrie e. V.: Zement Jahresbericht 1999–2000, S. 24–25 (vdz-online.de (Memento vom 21. September 2013 im Internet Archive; PDF; 1,9 MB))
  12. Preisträger 1999 des Architekturpreises-Beton abgerufen am 24. Mai 2020.
  13. Krematorium Baumschulenweg. In: archINFORM; abgerufen am 13. November 2011.
  14. Krematorium Baumschulenweg. berlin-hidden-places.de – Verborgene Orte in Berlin; abgerufen am 12. November 2011.
  15. Jochen Schmidt: Die Hades-Maschine. In: die tageszeitung. vom 16. März 2000, abgerufen am 15. November 2011.
  16. Krematorium Berlin-Treptow auf baunetzwissen.de, abgerufen am 15. November 2011.
  17. Annette Goebel: Mathilde wohin bist du geraten. In: Der Tagesspiegel. vom 14. Februar 2004, abgerufen am 18. November 2011.
  18. Zur Architektur des Krematoriums auf krematorium-berlin.de, abgerufen am 24. Mai 2020.
  19. Matthias Kunert, Michael Prellberg: Im Krematorium nur zu Besuch. In: Berliner Zeitung, 27. November 2000.
  20. Referenzen des Ingenieurbüros Moll. mollakustik.de @1@2Vorlage:Toter Link/www.mollakustik.de (Seite nicht mehr abrufbar, Suche in Webarchiven) abgerufen am 17. November 2011.
  21. Veranstaltungshinweise des Krematoriums. krematorium-berlin.de; abgerufen am 24. Mai 2020.
  22. Kapazität des Krematoriums. krematorium-berlin.de; abgerufen am 24. Mai 2020.
  23. Zur Technik des Krematoriums. krematorium-berlin.de; abgerufen am 24. Mai 2020.
  24. Hainer Weißpflug: Krematorium Ruhleben. In: Hans-Jürgen Mende, Kurt Wernicke (Hrsg.): Berliner Bezirkslexikon, Charlottenburg-Wilmersdorf. Luisenstädtischer Bildungsverein. Haude und Spener / Edition Luisenstadt, Berlin 2005, ISBN 3-7759-0479-4 (luise-berlin.de – Stand 7. Oktober 2009).
  25. Drehorte von Æon Flux auf imdb.de, abgerufen am 18. November 2011.
  26. Aeon Flux Pictures: Image 7 of 117. (Nicht mehr online verfügbar.) IGN, archiviert vom Original am 16. Juli 2012; abgerufen am 12. November 2011.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/uk.movies.ign.com

Koordinaten: 52° 27′ 34,9″ N, 13° 29′ 29,1″ O

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Warten auf den letzten Akt .... im Untergeschoß des Krematoriums Baumschulenweg (Berlin-Baumschulenweg); 1996-98 nach Plänen der Architekten Charlotte Frank mit Axel Schultes
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Krematorium Baumschulenweg (Berlin-Baumschulenweg) - 1996-98 nach Plänen der Architekten Charlotte Frank mit Axel Schultes