Kartaune

Rekonstruktion einer Wandlafette mit Halbkartaune von 1669 in Magdeburg
Scharfmetze „Greif“ auf der Festung Ehrenbreitstein, gegossen 1524, zu ihrer Zeit die größte Kanone Europas
Österreichische Kartaune, gegossen 1669, Heeresgeschichtliches Museum in Wien

Die Kartaune ist ein Vorderlader-Geschütz aus der Zeit des 15./16. Jahrhunderts. Der Begriff Kartaune ist eine Eindeutschung von italienisch quartana bombarda ‚Viertelbüchse‘, deren Eisenkugel ein Viertel einer hundertpfündigen Hauptbüchsenkugel wog. Kartaunen glichen in ihrer äußeren Form einer Scharfmetze, hatten jedoch kleinere Kaliber und ein geringeres Gewicht. Sie wurden nach der Rohrlänge in lange Kartaune (sogenannte „Singerin“) und kurze Kartaune (sogenannte „Nachtigall“) unterteilt. In England war der Name Cannon gebräuchlich.

Das durchschnittliche Kugelgewicht der aus den Viertelbüchsen entstandenen Singerinnen betrug 12 bis 20 kg, das der aus den kurzen Notbüchsen entstandenen Nachtigallen betrug bis zu 25 kg. Eine Kartaune in Wandlafette wog etwa 1,5 bis 2 Tonnen und man brauchte zwölf Pferde, sie zu ziehen.

Entstehung und Entwicklung

In den Allianzkriegen hatte der Habsburger Kaiser Maximilian I. Munitionsprobleme für seine Geschütze durch die Vielzahl der verschiedenen Kaliber und Geschossgewichte und strebte deshalb eine Vereinheitlichung auf der Basis des Kugelgewichtes, bezogen auf die Eisenkugel, an.

Im 15. Jahrhundert ließen sich die Geschütze in folgende Arten einteilen:

Die schweren und mittelschweren Steinbüchsen wurden unter dem Begriff Hauptbüchsen zusammengefasst. Notbüchsen hatten lange Rohre und ein mittleres Kaliber und verschossen Eisenkugeln, während die Viertelbüchsen Eisenkugeln von einem Viertel des Gewichtes einer Hauptbüchsensteinkugel verschossen.

Ausgehend von den alten Not- und Viertelbüchsen wurde von Maximilian I. ein neuer Geschütztyp geschaffen: Die Kartaune.

Maximilians neue Einteilung sah für Belagerungsgeschütze vier Geschlechter nach Eisenkugelgewicht vor:

BezeichnungKugelgewicht(Eisen)
Hauptbüchsen40–50 kg
Scharfmetzen25–35 kg
Kartaunen12–25 kg
Basilisken8–12 kg

Es gab aber auch weiterhin Geschütze, die sich nicht eindeutig den genannten vier Geschlechtern zuordnen lassen, so zum Beispiel das Dorndrel. Karl V. vereinheitlichte 1550 nochmals die gesamte Artillerie, er stellte auf das Kaliberssystem um. Er reduzierte die schweren Belagerungsgeschütze und behielt nur die Kartaunen in drei verschiedenen Formen bei:

BezeichnungKaliberKugelgewichtGesamtgewichtRohrlänge
Doppelkartaunen20–22 cm30–40 kg3–4 t17 Kaliber
Kartaunen16–18 cm18 kg1,8 t17 Kaliber
Halbkartaunen12–14 cm7–14 kg1,5–2,5 t17 Kaliber

Nach Mieth gab es auch noch:

BezeichnungKaliberKugelgewichtGesamtgewichtRohrlänge
Dreiviertelkartaunen16–17 cm15–25 kg2,5–3 t17 Kaliber
Viertelkartaunen11,4 cm6 kg? t24 Kaliber
Falkaunen9,1 cm3 kg? t27 Kaliber

In England wurden die Kartaunen (Cannons) wie folgt unterteilt:

(alle Maße und Gewichte sind Etwa-Werte)

englische TypenKaliberKugelgewichtGesamtgewichtPulverladung
Cannon-Royal21,6 cm30 kg3,6 t13,5 kg
Cannon17,7 cm27 kg2,7 t12 kg
Cannon-Serpentine17,5 cm11 kg2,5 t11 kg
Bastard-Cannon17,5 cm19 kg2,1 t9 kg
Demi-Cannon16,5 cm15 kg1,8 t8 kg
Cannon-Petro15 cm11 kg1,8 t6,5 kg

Der Einsatz von Cannon-Royal und Cannon-Serpentine auf Kriegsschiffen der englischen Flotte ist nicht belegt.

Mitte des 16. Jahrhunderts waren die Doppelkartaunen die schwersten Belagerungsgeschütze. Zu dieser Zeit wandelte sich auch der Sprachgebrauch, der das Geschossgewicht zur Geschützbezeichnung werden ließ, zum Beispiel wurden Kartaunen zu „40-Pfündern“ und Halbkartaunen zu „24-Pfündern“.

Museale Rezeption

In der über 550 Geschütze und Rohre umfassenden Geschützrohrsammlung des Heeresgeschichtlichen Museums in Wien befinden sich auch mehrere Kartaunen, darunter eine halbe Kartaune „Singerin“, gegossen 1579 von Martin II. Hilger (1538–1601). Die Zugehörigkeit zur Gattung „Singerin“ spiegelt sich auf dem Rohr wider, wo auf dem Langfeld ein Singvogel dargestellt wurde.[4]

Verwendung des Begriffs in der Neuzeit

Der Begriff „Kartaune“ wurde vereinzelt auch noch in der Neuzeit für moderne Hinterlader-Geschütze verwendet. So wurde etwa im Ersten Weltkrieg ein Geschütz, das aus der Lafette der berühmten Dicken Bertha und einem neuen (kleineren und längeren) Rohr entstanden war, als Schwere Kartaune bzw. „β-M-Gerät“ bezeichnet.[5]

Literatur

  • Ulrich Israel, Jürgen Gebauer: Segelkriegsschiffe. Militärverlag der DDR, Berlin 1982, DNB 830355472 (Kapitel: Die Rohrartillerie auf Segelkriegsschiffen).
  • Wendelin Boeheim: Die Zeugbücher des Kaisers Maximilian I. 1892. In: Jahrbuch der kunsthistorischen Sammlung des Allerhöchsten Kaiserhauses. Band 13. Wien 1892, S. 94–201, doi:10.11588/diglit.5884.6.
  • Michael Mieth: Artilleria Recentior Praxis. Frankfurt/Leipzig 1683, doi:10.3931/e-rara-9276 (Scan bei e-rara.ch), Scan bei digitale-sammlungen.de des Münchener Digitalisierungszentrums.
  • Volker Schmidtchen: Bombarden, Befestigungen, Büchsenmeister – Von den ersten Mauerbrechern des Mittelalters zur Belagerungsartillerie der Renaissance. Droste Verlag, Düsseldorf 1977, ISBN 3-7700-0471-X (Zugl.: Bochum, Univ., Abt. für Geschichtswiss., Diss., 1977).
  • Gerhard Kurzmann: Kaiser Maximilian I. und das Kriegswesen der österreichischen Länder und des Reiches (= Militärgeschichtliche Dissertationen österreichischer Universitäten. Band 5). Österreichischer Bundesverlag Ges.m.b.H., Wien 1985, ISBN 3-215-06067-1.
  • Kartaune. In: Zeugbuch Kaiser Maximilians I. Innsbruck um 1502, urn:nbn:de:bvb:12-bsb00020956-6, Bl. 31v (historische Abbildung: digitale-sammlungen.de. Bayerische Staatsbibliothek-Hss. Cod.icon. 222).

Weblinks

Wiktionary: Kartaune – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Notbüchsen. In: Zeugbuch Kaiser Maximilians I. Innsbruck um 1502, Bl. 50v (historische Abbildung: digitale-sammlungen.de. Bayerische Staatsbibliothek-Hss. Cod.icon. 222).
  2. Schlangenbüchsen. In: Zeugbuch Kaiser Maximilians I. Innsbruck um 1502, Bl. 69r (historische Abbildung: digitale-sammlungen.de. Bayerische Staatsbibliothek-Hss. Cod.icon. 222).
  3. Kammerschlangen. In: Zeugbuch Kaiser Maximilians I. Innsbruck um 1502, Bl. 67r (historische Abbildung: digitale-sammlungen.de. Bayerische Staatsbibliothek-Hss. Cod.icon. 222).
  4. Manfried Rauchensteiner, Manfred Litscher (Hrsg.): Das Heeresgeschichtliche Museum in Wien. Styria Verlag, Graz/Wien 2000, ISBN 3-222-12834-0, S. 95.
  5. Franz Kosar: Die schweren Geschütze der Welt. Motorbuch Verlag, Stuttgart 2002, ISBN 3-613-02204-4, S. 88 f.

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