Atlant

Atlant am Palazzo Davia Bargellini (Bologna), 17. Jahrhundert

Ein Atlant (auch Telamon, Gigant und Herkulant[1]) ist in der Architektur eine meist überlebensgroße, männliche Gestalt, die anstelle einer tektonischen Stütze das Gebälk trägt.[2]

Atlas Farnese, römische Kopie einer hellenistischen Skulptur, 2. Jahrhundert (Museo Archeologico Nazionale, Neapel)

Begriffsherkunft und -unterscheidung

Der Begriff Atlant bezieht sich auf Atlas, den Titan der griechischen Mythologie und Träger des Himmelsgewölbes.[1] Bildliche Darstellungen zeigen Atlas daher allgemein als Träger einer besonders schweren Last, später einer Himmelskugel oder nicht selten eines Globus. Der tragende Atlas wurde das Urbild aller tragenden Gestalten.[3]

Nach Ansicht des Archäologen Adolf Furtwängler soll sich anstatt der griechischen Atlanten in Rom zu Vitruvs Zeit der Begriff Telamones als eine andere griechische Bezeichnung derselben Stützfiguren festgesetzt haben.[4]

Geschichte und Verwendung

Die architektonische Indienststellung des Atlas-Motivs als Atlant und figürlichen Gebälk-Träger gab es bereits in der Antike[1], in der Regel als Ersatz für eine Säule oder einen Pilaster.

Tragefiguren wurden in der mittelalterliche Baukunst aufgegriffen. In der christlichen Ausstattungskunst spielen Tragefiguren eine Rolle als symbolisch bedeutsame Träger u. a. von Lesepulten, Taufbecken und Kanzeln.[1] Teilweise haben sich mittelalterliche Baumeister (vgl. Naumburger Meister[5]) oder Steinmetze (vgl. Adam Kraft) als Tragefiguren selbst dargestellt und damit symbolisch in den Dienst ihres Werks gestellt.

Der Begriff Atlant im engeren Sinne wird für Tragefiguren der Renaissance und des Barock (und der Neostile des Historismus) verwendet, als Träger an den Fassaden der Paläste, an Kaminen, an Grabdenkmälern sowie in der dekorativen Malerei und im Kunstgewerbe.[1] Beispielhaft für die Wiederentdeckung des Atlanten in der Architektur ist die Beschreibung des Göttinger Architekturtheoretikers Johann Friedrich Penther von 1744: „Atlas, Telamon, Last-Träger (...) ist eine Statue, so in der Architectur statt eine Säule das Gebälcke oder andere schwere Lasten, als gantze Decken, Welt-Kugeln u. d. g. tragen muß. Man hat dieses von der Heydnischen Dichtung, welche dem Atlanti den Himmel auf die Schultern legt angenommen. Artige Beyspiele von Antlantibus finden sich in dem Eugenischen Palast vor Wien, da selbst statt der Pfeiler ansehnliche Creutz-Gewölbe tragen müssen.“[6] Atlanten verweisen also einerseits auf die griechische Antike und repräsentieren die klassische Bildung und den Status der Bewohner, gleichzeitig verdeutlichen sie die Standfestigkeit und Dauerhaftigkeit der Gebäudekonstruktion.[7]

Ein klassischer Atlant zeigt sich als halbnackter kräftig-muskulöser Mann, oft vorgebeugt und mit emporgestreckten Armen, die sich der schweren Traglast eines Balkons oder einer Portalverdachung entgegenstemmen. Atlanten lassen sich meist als spiegelsymmetrische Paare finden.

Im Gegensatz zum unbekleideten, gebeugten männlichen Atlant kommt als weibliche Tragefigur die bekleidete Karyatide mit gerader Körperhaltung zur Anwendung, oft ohne erhobene Arme und mit der Traglast direkt auf dem Haupt. Die inhaltlichen und gestalterischen Variationen des Atlanten-Motivs sind vielfältig; es gibt fließende Übergänge, d. h. auch unbekleidete weibliche Atlanten und Engel als Atlanten. Zudem sind Atlanten vielfach mit dem Hermen-Motiv kombiniert worden,[8] was dann Atlanten-Hermen (bzw. Karyatiden-Hermen) ergibt. Im ausklingenden Historismus gab es als spielerische Variante Atlanten in Putto-Form.[9]

Verbreitung in Außereuropa

Auch in der hellenistisch beeinflussten Bildhauerkunst Nordindiens und angrenzender Gebiete sowie in der Kunst Mesoamerikas kommen Atlanten vor.

Siehe auch

Literatur

Commons: Atlanten – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. a b c d e Edmund W. Braun: Atlant. In: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, Bd. I, 1937, Sp. 1179–1194. (Abschrift auf rdklabor.de, abgerufen am 18. Mai 2024)
  2. Hans Koepf, Günther Binding: Bildwörterbuch der Architektur. Mit englischem, französischem, italienischem und spanischem Fachglossar (= Kröners Taschenausgabe. Bd. 194). 4., überarbeitete Auflage. Kröner, Stuttgart 2005, ISBN 3-520-19404-X (Digitalisat auf moodle.unifr.ch, abgerufen am 18. Mai 2024), S. 34: Atlant.
  3. Furtwängler: Atlas in der Kunst. In: Wilhelm Heinrich Roscher (Hrsg.): Ausführliches Lexikon der griechischen und römischen Mythologie. Band 1,1, Leipzig 1886, Sp. 709–711, hier Sp. 711. (Digitalisat).
  4. Furtwängler: Atlas in der Kunst. In: Wilhelm Heinrich Roscher (Hrsg.): Ausführliches Lexikon der griechischen und römischen Mythologie. Band 1,1, Leipzig 1886, Sp. 709–711, hier Sp. 711. (Digitalisat)
  5. Diana Ecker: Ein Selbstbildnis des Naumburger Meisters? Der Atlant aus dem Ostchor des Mainzer Domes neu gesehen. In: Kunstchronik, Jg. 77, 2024, Nr. 5, S. 291–304. (Digitalisat auf journals.ub.uni-heidelberg.de, abgerufen am 18. Mai 2024)
  6. Johann Friedrich Penther: Ausführliche Anleitung zur bürgerlichen Bau-Kunst (Band 1): Enthaltend ein Lexicon Architectonicum oder Erklärungen der üblichsten Deutschen, Französischen, Italiänischen Kunst-Wörter der Bürgerlichen Bau-Kunst. Augspurg 1744, S. 10. (Digitalisat)
  7. Atlant, auf baunetzwissen.de, abgerufen am 18. Mai 2024.
  8. Atlant, auf denkmalstiftung-baden-wuerttemberg.de, abgerufen am 18. Mai 2024.
  9. Beispiel aus Moskau und Beispiel aus Carrara von 1926.

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Maya kneeling atlante, Post-classic era (900 - 1250 CE), limestone, Chichén Itza, Yucatan, Mexico.
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Interior of Upper Belvedere palace in Vienna. Constructed in the baroque era for Prince Eugene of Savoy. This was his summer residence.
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Télamon dans le tepidarium des thermes de Pompei (Italie).
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Abbatiale Saint-Pierre; Beaulieu-sur-Dordogne; Limousin, Corrèze, France; ref: PM_018661_F_Beaulieu_sur_Dordogne; Portail sud, trumeau; ; Photographer: Paul M.R. Maeyaert; www.pmrmaeyaert.eu, © Paul M.R. Maeyaert; pmrmaeyaert@gmail.com; Cultural heritage; Cultural heritage/Romanesque; Europe/France/Beaulieu-sur-Dordogne
Atlanten Lange Reihe.jpg
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Details eines Hauses in der Langen Reihe in St. Georg.

Original description:

  • Bildbeschreibung: Kunst am Bau, Hamburg, St.Georg, Lange Reihe
  • Fotograf eigene Aufnahme
  • Datum: 2004
Hirsau Relief romanischer Eulenturm Ost.jpg
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Ehem. Kloster St. Peter und Paul Hirsau Relief romanischer Eulenturm Ost
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Hamburg, St. Georg, Lange Reihe 71, Geburtshaus des Volksschauspielers und Sängers Hans-Albers. Rechts an der Tür ist die Gedenktafel.
Dieses Bild zeigt ein Baudenkmal.
Es ist Teil der Denkmalliste von Hamburg, Nr. 2992.
Frari (Venice) nave left - Monument to Doge Giovanni Pesaro - first telamon on the left by Melchior Barthel.jpg
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The Basilica di Santa Maria Gloriosa dei Frari, monument of Doge Giovanni Pesaro. The monument was commissioned by the Doge Leonardo Pesaro nephew. It was built from 1665 to 1669. The Doge had left 12,000 ducats for its realization. The Project Manager was chosen Baldassarre Longhena. The many sculptures of Melchior Barthel of Dresden Josse de Corte, with Francesco Cavrioli and Michele Fabris. One has to Cavrioli two bronze skeletons. Michele Fabris carved the two dragons, symbols of eternity. Corte was responsible for little angels holding the weapons of the family, the statue of Giovanni Pesaro, and the four entwined allegories: Religion and the Value, left, Concorde and Justice, right. The following: Intelligence, Nobility, and Wealth Study, alluding to the achievements and merits of the Doge. The two digits representing: Religion Constance and then Truth and Justice were executed by Melchior Barthel.
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Bronzefünte von 1392 in der Kirche St. Blasius, gefertigt von Nikolaus von Stettin
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Die Sala terrena des Augustiner-Chorherrenstiftes in der niederösterreichischen Stadt Klosterneuburg.
Ab 1730 ließ Kaiser Karls VI. das Stift zu einer Klosterresidenz nach dem Vorbild des Escorial bei Madrid ausbauen. Nachdem der Kaiser 1740 überraschend starb und weder seine Nachfolgerin Kaiserin Maria Theresia, noch das Stift ein Interesse hatten, die Pläne des verstorbenen Kaisers weiterzuführen, wurden die Ausbauarbeiten eingestellt und daher blieb unter anderem die Sala terrena (ebenerdiger Saal bzw. Gartensaal) unvollendet. Im Zuge der Restaurierungsarbeiten ab 2005 wurde die Sala terrena zu einer Besucher-Empfangshalle umgestaltet und in einem Bauzustand von 1740 zurückversetzt. Die acht tragenden Atlanten schuf der Hofbildhauer Lorenzo Mattielli (1688–1748): [1].
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Agrigent, Sizilien, Italien, ein Telamon im Museum.
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Nürnberg, St. Lorenz, Sakrementshaus von Adam Kraft
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Der linker Atlant am Portal des Stiftes St. Florian ist eine Arbeit von Leonhard Sattler. Er schuf den figuralen Schmuck des St. Florianer Hauptportals in den Jahren 1711 bis 1713.
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Pilier de la porte nord de Notre-Dame du Réal à Embrun, Hautes-Alpes, France
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Bilder aus Freudenstadt, hier die Stadtkirche
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Roman statue of Atlas (2nd century AD). Already in the Farnese Collection, today at the National Archaeological Museum of Naples.